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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tuning in Tokio Nächtlicher Turbo-Treff auf dem Parkplatz
Im Land der aufgehenden Sonne wird es des Nächtens richtig heiß. Wenn sich die Fahrer mit ihren Turbo-befeuerten und alles andere als serienmäßigen -Modellen zwischen den Wolkenkratzern Tokios treffen, dann brennt nicht nur die Luft, sondern auch der Asphalt.
Es ist Nacht. Die Lichter der Rainbow-Bridge sorgen für ein wenig Licht in der Dunkelheit. Im Hintergrund türmen sich die unzähligen Hochhäuser der japanischen Hauptstadt Tokio auf. Es wird lauter, der Boden der erdbebensicheren Autobahn beginnt spürbar zu vibrieren. Ein Erdbeben ist es jedoch nicht.
Es sind drei Nissan GT-R, die auf einem Autobahnparkplatz zum selben Zeitpunkt ihre hochgezüchteten Triebwerke zum Leben erwecken. Insgesamt dröhnen nun 1500 PS aus den überdimensionalen Auspuffendrohren, die unter den Heckschürzen der R33- und R34-Modellreihen hervorlucken. Dass sich auf dem an jedem Abend von Sportwagen-Enthusiasten befahrenen Parkplatz noch Ferraris, Lamborghinis und das eine oder andere deutsche Fabrikat tummeln, wird in Anbetracht des infernalen Sounds der drei Japaner zur Nebensache. Die ganze Szenerie könnte ohne weiteres als Sequenz innerhalb des Films The Fast and the Furious-Tokyo Drift durchgehen. >>
"Ich habe an meinem Schätzchen nur eine weitere Benzinpumpe eingebaut und noch ein paar andere Kleinigkeiten verändert. Jetzt hat es - zumindest für einen kurzen Augenblick - rund 600 PS", verrät Masayuki Ohashi über seinen R33. Ein Blick in das von Anzeigen jedweder Art ziemlich zugepflasterte Cockpit lässt auf eine gewisse Affinität des Fahrers zum Thema Technik schließen, oder auf zu viel Zeit und Geld.
Der laut eigenen Angaben 50 Jahre alte Japaner schwört auf seinen Lieblings-Tuningladen Top Secret, bei dem mittlerweile auch sein Sohn, der den hochgezüchteten Nissan an diesem Abend voller Stolz pilotieren darf, zum Teile-Shoppen geht.
Verrückt nach Autos
Ebenfalls einem Tuningshop verfallen, jedoch dem der Marke Mine´s, ist der 43-jährige Aki Itoh. Der in den USA aufgewachsene Rechtsanwalt lebt seit zehn Jahren in Japan, genauer gesagt in Yokohama, und war schon immer verrückt nach Autos. Nachdem er gelernt hat auf der falschen Seite zu fahren, hat er sich einen Nissan Skyline GT-R aus dem Jahr 1997 gekauft - das war im Juni 2005. >>
Bis heute hat in seinen damals 30.000 US-Dollar teuren R33 nochmals mehr als seinen kompletten Einkaufspreis gesteckt. "Ich habe 25.000 Dollar in den Motor und 6000 Dollar in eine neue Bremsanlage investiert", schwärmt der stolze Besitzer des 500 PS-GT-R.
Der Name des dritten Nissan-Jünger liest sich nicht nur italienisch, er ist es auch. Dino Dalle Carbonare ist Motorjournalist und liebt seinen 400 PS starken blauen R34. Der gerade zum ersten Mal Vater gewordene 37-Jährige hat schon immer einen GT-R haben wollen: "Ich habe alles, worin irgendetwas mit einem GT-R zu lesen war verschlungen. Und jetzt? Jetzt habe ich selbst einen. Ich kann es kaum glauben." Beim gemütlichen Herumstehen bleibt es an solch einem Abend aber nur selten. Dann werden die Motoren gestartet und die tief, tiefer und am tiefsten liegenden Wagen langsam auf der Beschleunigungsspur zur Autobahn aufgereiht.
Wenn jetzt über allem noch ein und derselbe Musiktitel abgespielt werden würde: das Finale von The Fast and the Furious-Tokyo Drift wäre perfekt. Lediglich der grundlos böse dreinschauende Filmschurke fehlt. Denn bei einem solchen Treffen gibt es nahezu alles, nur keinen Neid oder irgendwelche Arten von Gewalt. Das Familientreffen einiger Autoverrückter ist zudem auch kein Startpunkt für illegale Straßenrennen, sondern tatsächlich nur eine weitere Art und Weise der ansonsten sehr stringent lebenden Japaner aus dem uniformen Alltag zu entfliehen.
Was nicht heißen soll, dass die gemeinsame Ausfahrt zur Kaffeefahrt wird. Die den unseren sehr nahe kommenden Tempolimit-Schilder sind an solch einem Abend eher als Empfehlungen zu betrachten. Angst vor Blitzern hat in solch einem leistungsstarken Konvoi kaum jemand. Denn vor Radarfallen warnt ein kleines eingebautes Gerät im Innern eines jeden Boliden. Wie im Film werden Spurwechsel auch nicht mit einem mehrmaligen Blinken eingeleitet und sanft durchgeführt, sondern möglichst flott und auf jeden Fall eckig.
Das Lenkrad eines getunten GT-R ist ganz offenbar nicht zum Streicheln, sondern für harte Kurswechsel konstruiert. Für die notwendige Traktion sorgt der allseits bekannte Allradantrieb der vierrädrigen Geschosse. >>
Nach dreigeschossigen Autobahnen, zweigeschossigen Brücken und gut beleuchteten Tunnels nimmt der abendliche Geschwindigkeitstrip, der filmuntypisch ohne Drift-Action ausgekommen ist, dann doch irgendwann ein Ende. Der Parkplatz, der zuvor noch von teils unbezahlbaren automobilen Schmuckstücken überflutet war, wirkt nun wie jeder andere.
Echtes Erdbeben
Plötzlich beginnt der Boden erneut zu vibrieren. Der Blick hebt sich suchend nach einem erneuten PS-Konvoi. Doch dieses Mal ohne Erfolg, denn das war jetzt ein echtes Erdbeben.