Summen statt Brummen Mercedes startet Produktion des E-Lkw Actros 600 Ende des Jahres
Mercedes elektrifiziert den großen Lkw Actros und will so auch den Fernverkehr von fossiler Energie und Abgasen befreien.
Ihren Einstand in der Moderne hat die Elektromobilität mit einem flotten Roadster gegeben. Doch im Jahr 16 nach dem ersten Tesla erfasst die Elektromobilität jetzt so langsam auch die rechte Spur: Denn nachdem immer mehr Pkw-Hersteller auf den Batteriebetrieb umschwenken, ziehen nun die schweren Jungs nach und auch der Lastwagen rollt an die Ladesäule.
Zum Pionier will dabei einmal mehr Mercedes werden. Daimler Truck beginnt die Produktion seines ersten batterieelektrischen Fernlasters eActros Ende November im deutschen Hauptwerk Wörth. Bisher gebe es 2.000 Bestellungen und Absichtserklärungen von Kunden in vierstelliger Höhe, teilte der Lkw-Bauer Vorfeld der Nutzfahrzeugmesse IAA Transportation in Hannover mit.
Der eActros, erprobt mit Testfahrten über insgesamt mehr als 15.000 Kilometer kreuz und quer durch Europa, bringt es mit einer Batterieladung bei voller Ladung auf 500 Kilometer Reichweite. An einem Tag seien auch Touren von über 1.000 Kilometern drin – bei einem Ladestopp, heißt es vom Hersteller. Die Nutzlast ist allerdings wegen der voluminösen Batterie geringer als bei herkömmlichen Trucks, was für Speditionen wirtschaftlich von Nachteil ist. Mit 103 Kilowattstunden durchschnittlichem Stromverbrauch oder umgerechnet zehn Litern Diesel pro 100 Kilometern ist der eActros sparsamer als ein konventionell angetriebener Lkw.
Lkw-Bauer denken in anderen Dimensionen
Um eine Fuhre zu bewegen, die schnell mal 40 Tonnen und auch mehr wiegen darf, denken die Lastwagenbauer in Dimensionen, bei denen Pkw-Fahrer nur neidvoll staunen können: Die beiden Motoren, die über ein Vierganggetriebe an der Hinterachse angeschlagen sind, leisten zusammen 600 kW/816 PS und damit mehr als in den meisten Supersportwagen.
Und wo die Pkw-Entwickler mit Batteriegrößen von 100 kWh prahlen, hängen hier drei Blöcke von jeweils 207 kWh im Rahmen – sodass am Ende rund 600 kWh nutzbare Energie zur Verfügung stehen.
Ladepause – wörtlich genommen
Das ist zwar imposant, aber selbst das reicht nicht für eine Schicht am Steuer, geschweige denn für einen Einsatz rund um die Uhr, den es für einen rentablen Betrieb oft braucht. Deshalb wird auch beim Laden nicht gekleckert, sondern geklotzt: Schon heute lädt der Actros mit 400 kW und damit schneller als die allermeisten Pkw.
Und sobald die Netzbetreiber endlich die ersten Säulen aufstellen, rüstet Daimler den Truck auch fürs Megawatt-Laden nach. Dann reichen 30 Minuten für den Hub von 20 auf 80 Prozent. Aber schon jetzt fließt in der Zwangspause, die ein Lkw-Fahrer nach 4,5 Stunden Lenkzeit machen muss, so viel Strom, dass er über den Rest seiner Schicht kommt.
Gut zu wissen
Das Bundesverkehrsministerium hat bekannt gegeben, dass am Montag das Ausschreibungsverfahren für die ersten 130 Schnellladestationen an unbewirtschafteten Rastanlagen gestartet worden sei. Bis 2030 sollen demnach insgesamt an 350 Standorten entlang der deutschen Autobahnen 4.200 Ladepunkte entstehen, auch an bewirtschafteten Rastanlagen.
Fahren mit dem kleinen Finger und dem großen Zeh
Die technischen Daten sind je nach Perspektive faszinierend oder furchteinflößend – genau wie das Fahrzeug selbst, wenn es groß und mächtig wie die Eiger-Nordwand vor einem aufragt. Aber wer erst einmal die Leiter hinaufgeklettert ist wie auf einen Hochsitz im Wald, sich in den luftgefederten Sessel fallen lässt und sich mit dem Lenkrad von der Größe einer Familienpizza anfreundet, erlebt gleich die nächste Überraschung: Trotz seiner Größe und seines Gewichts lässt sich der Koloss fahren wie ein Kleinwagen.
Viel mehr als den kleinen Finger und den großen Zeh braucht es nicht. Selbst an Steigungen kommt der Sattelzug mühelos in Fahrt, die Autobahnauffahrt ist ein Kinderspiel und Passstraßen verlieren ihren Schrecken. Und wo es früher gedröhnt und gewackelt hat wie im Maschinenraum eines Kraftwerks bei einem fernen Erdbeben, herrscht jetzt gespenstische Ruhe. Und selbst eine Münze würde wohl auf dem Armaturenbrett stehen bleiben.
Nur muss man in Kurven etwas weiter ausholen und immer wieder auf die Monitore der digitalen Außenspiegel schauen, damit man nicht ringsum alles abräumt.
Bremsen mit der rechten Hand
Umstellen muss sich der E-Lkw-Fahrer auch beim Bremsen: Während Trucker am Lenkrad den Hebel von der Motorbremse, dem sogenannten Retarder, gewohnt sind, staunen Autofahrer nicht schlecht, wie viel Verzögerung die zum Generator umgepolten E-Motoren ermöglichen. Und während der Laster tatsächlich bis fast zum Stillstand bremst (und dabei viel Geld für Verschleißteile wie Bremsscheiben spart), geht der Akkustand tapfer wieder in die Höhe. Je nach Topografie und Tonnage kann man so schnell mal 50, 100 Kilometer einsammeln.
Die Technik hat ihren Preis
Doch wie so oft hat die Elektromobilität auch beim Lastwagen einen Haken: den Preis. Denn der eActros kostet rund 2,5 Mal so viel wie ein Diesel und startet deshalb ganz grob bei 250.000 Euro.
Und auch wenn der Staat den Stromern die Lkw-Maut erlässt und beim Ausbau privater Ladestationen unterstützt, gibt es für das Fahrzeug selbst keine Subventionen mehr. Aber anders als ein Pkw ist ein Lastwagen nicht auf bestenfalls 300.000, sondern auf mindestens 1,2 Millionen Kilometer ausgelegt und hat deshalb viermal mehr Zeit, sich über die niedrigeren Betriebskosten zu amortisieren. Daimler strebt für das Ende des Jahrzehnts einen Jahresabsatz von etwa 30.000 elektrischen Schwerlastern eActros an. "Ich hoffe, wir werden so gut sein, dass wir mehr schaffen", sagte Karin Radström, ab Oktober Vorstandschefin des Dax-Konzerns.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa