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Der nächste große Auto-Schwindel: Neue Abgasnorm Euro-7


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Kaufpreis um Tausende Euro rauf?
Der nächste große Auto-Schwindel


Aktualisiert am 22.02.2023Lesedauer: 4 Min.
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Autos in einem VW-Autohaus: Die neue Abgasnorm Euro-7 bringt offenbar unerklärbare Mehrkosten mit sich. (Quelle: Ute Grabowsky/photothek.net via www.imago-images.de)

Autos werden um mehrere Tausend Euro teurer, warnt die Industrie. Und benennt einen Schuldigen. Mit der Wahrheit habe das Ganze wenig zu tun, sagen zwei Insider.

Die große Angstmache läuft bereits. Euro-7 werde neue Autos um Tausende Euro verteuern – eine "drohende Kostenexplosion für Verbraucher", donnert der allmächtige Verband der Automobilindustrie (VDA). Und gleich noch einmal: Auf die Verbraucher kämen signifikante Preiserhöhungen zu, "eine unzumutbare weitere Belastung" und so weiter. Alles ganz entsetzlich.

Alles unwahr, sagen hingegen Experten. Die wahren Kosten seien verschwindend gering; die Industrie und ihr Lobbyverband würden die Abgasnorm einfach schamlos ausnutzen, um nochmals ihre Autos zu verteuern. Das gezielte Verbreiten von Ängsten – eine reine Gewinnsteigerungsstrategie.

Worum genau geht es?

Im Jahr 2025 will die EU-Kommission die Abgaslimits im Straßenverkehr noch einmal verschärfen. Dadurch werde die Luft sauberer, weniger Menschen müssten vorzeitig sterben. Für Autos, leichte Nutzfahrzeuge, Lkw und Motorräder werden dann neue Emissionsgrenzen gelten. Im Zentrum der Diskussion steht ein bestimmter Grenzwert: Unter Euro-7 dürfen alle Autos nur noch 60 Milligramm Stickoxid ausstoßen. Für Benziner ändert sich dadurch nichts, für Diesel hingegen lag der Grenzwert bislang bei 80 Milligramm. Sie müssen also um 20 Milligramm sauberer werden. Ursprünglich härtere Maßnahmen wurden längst aufgeweicht.

Denn Autoindustrie und der Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) warnen beharrlich vor zu strengen Regeln. Die Vorstellungen der EU-Kommission seien nicht machbar und zu teuer. VW-Konzernchef Oliver Blume etwa sagte kürzlich über das Brüsseler Konzept: "Dieser Vorschlag ist zeitlich nicht zu verwirklichen."

In einigen Märkten bereits deutlich strengere Grenzen

Seltsam ist: Schon heute gelten in anderen Ländern wie beispielsweise im US-Bundesstaat Kalifornien Grenzwerte, die um ein Vielfaches strenger sind. "Und für diese Märkte liefert die deutsche Automobilindustrie erfolgreich Exportfahrzeuge, die diese Werte einhalten", sagt Jürgen Resch. Viele deutsche Dieselautos würden diesen strengen US-Grenzwert (20 Milligramm Stickoxid) sogar unterschreiten, erklärt der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Sie erfüllen also schon heute die Euro-7-Norm, die Hersteller müssten überhaupt nichts tun.

Zwar gilt das nicht für jedes Dieselauto. Allerdings wissen die Hersteller bereits seit vier Jahren, dass Euro-7 kommt. Und es bleiben ihnen immer noch zwei Jahre. "Das genügt, um die Prüfabläufe und Verfahren so zu gestalten, dass die Zulassungen der neuen Modelle ab Sommer 2025 reibungslos klappen", sagt Resch.

Greenpeace-Mobilitätsexperte Benjamin Stephan bestätigt: "Mehr als zwei Jahre, die den Herstellern bis zum Inkrafttreten von Euro-7 noch bleiben, reichen aus, um die Umstellung vorzunehmen. Insbesondere, weil die Hersteller schon seit Jahren absehen konnten, dass es eine Weiterentwicklung der Abgasgrenzwerte geben würde."

Zwei Jahre Zeit, und kaum etwas zu tun. Und trotzdem stünden Hunderttausende Jobs auf der Kippe, Hersteller könnten pleitegehen, Verbrauchern drohe laut VDA die Kostenexplosion. Und dessen Mitglieder gießen eifrig Öl ins Feuer. Autos könnten durch Euro-7 um bis zu 5.000 Euro teurer werden, behauptet etwa VW-Markenchef Thomas Schäfer. Damit liegt er nochmals weit über den 2.000 Euro, die immer wieder kolportiert werden. Und Luca de Meo, Präsident des europäischen Automobilherstellerverbands ACEA, nennt gar Mehrkosten pro Auto von sieben bis zehn Prozent. Ein BMW X5 beispielsweise würde demnach 8.600 Euro teurer werden. Wie beide auf diese Zahlen kommen, sagen die Manager leider nicht.

Verglichen mit anderen Angaben scheinen sie nämlich ein bisschen hoch gegriffen zu sein. Denn was ist schon gefordert? Eine etwas solidere Fertigung der Katalysatoren und etwas stärkere Beschichtungen da und dort zählt die DUH auf. Und nennt ein Beispiel: Die Feinstaubemissionen der Bremsen zu senken, bedeute Mehrkosten in Höhe von 20 Euro. Außerdem sei die nötige Technik längst vorhanden. Nur komme sie bislang nicht zum Einsatz.

Euro-7 kostet 100 bis 150 Euro

Im Ergebnis hätte selbst die ursprünglich geplante und viel strengere Euro-7-Norm pro Auto nur etwa 300 Euro gekostet. So hat es beispielsweise Transport and Environment (T&E) errechnet, eine nicht staatliche Organisation, der 53 wichtige Verkehrsclubs und Vereinigungen in ganz Europa angehören.

Letztlich wird Euro-7 sogar noch viel günstiger. "Denn die strengeren Werte sind vom Tisch, die aktuelle Light-Version verursacht kaum Kosten", sagt Resch. "Wir stimmen der aktuellen Kostenabschätzung der EU-Kommission zu, dass die Mehrkosten pro Fahrzeug im Durchschnitt bei etwa 100 bis 150 Euro liegen."

Zwar könne es im Einzelfall eben auch mal mehr sein. Denn: "Aufwand und Mehrkosten für die Abgasreinigung können je nach Fahrzeugmodell und Hersteller stark variieren", räumt Greenpeace-Experte Stephan ein. Während die EU-Kommission aber die Durchschnittskosten für Millionen von Autos nennt, scheine sich die Autoindustrie bei ihren Angaben auf die Konstellationen zu fokussieren, bei denen die Mehrkosten am höchsten sind.

Unerklärbare Mehrkosten vielleicht doch erklärbar?

Der feine Unterschied: Die EU-Kommission könne ihre Kostenschätzung belegen – die Hersteller hingegen würden nicht erklären, wie sie auf Mehrkosten von 2.000 Euro kommen, sagt Resch.

Vielleicht ist es ja ganz einfach: "Die DUH hat über mehrere Jahrzehnte erlebt, dass die Industrie zur Vermeidung von höheren Grenzwerten faszinierend genau um den Faktor zehn höhere Kosten behauptet. Mit den absurden 2.000 Euro liegt sie diesmal sogar nochmals darüber."

Sogar die befürchteten Kostenexplosionen werden immer entsetzlicher. Zumindest in der Autobranche.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Deutsche Umwelthilfe-Geschäftsführer Jürgen Resch
  • Interview mit dem Greenpeace-Mobilitätsexperten Benjamin Stephan
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