Wegen hoher Gaspreise AdBlue-Hersteller produziert nicht mehr: Diese Folgen drohen
Sorge um die Sicherheit der Lieferketten in Deutschland: In den Stickstoffwerken Piesteritz wurde der Betrieb eingestellt. Das kann weitreichende Folgen haben.
Eine Flüssigkeit droht, die Versorgungsketten in Deutschland zu sprengen. Die Rede ist von AdBlue, einem Additiv zur Abgasreinigung. Die Lager bei einem der wichtigsten Produzenten von AdBlue sind so gut wie leer – die hohen Gaspreise haben dafür gesorgt, dass der Betrieb eingestellt wurde. "Wir laufen trocken", sagte ein Sprecher des Chemieunternehmens SKW Stickstoffwerke Piesteritz der Nachrichtenagentur Reuters. "Da wir nichts mehr produzieren, leeren sich unsere Lager."
Das Unternehmen aus der Lutherstadt Wittenberg gehört mit BASF und Yara zu den größten Herstellern von AdBlue in Deutschland. 40 Prozent des deutschlandweiten Bedarfs werden allein durch das AdBlue aus Piesteritz gedeckt.
Das ist AdBlue
Die wässrige Harnstofflösung AdBlue wird in Dieselfahrzeugen zur Abgasreinigung von Stickoxiden eingesetzt. Das spezielle Gemisch wandelt die Stickoxide in Stickstoff und Wasser um, sodass die Grenzwerte für den Schadstoffausstoß eingehalten werden können. Etwa jedes zehnte Auto in Deutschland braucht die Substanz laut ADAC, allerdings ist es bei Lkw anders: Hier ist inzwischen fast jedes Fahrzeug auf das Mittel angewiesen.
Doch wegen der drastisch gestiegenen Gaspreise steht die Produktion bei SKW Piesteritz seit bereits zwei bis drei Wochen vollständig still, da sie für das Unternehmen nicht mehr wirtschaftlich ist. Bei der Herstellung von AdBlue ist Gas nicht nur als Energiequelle nötig, sondern auch Basisrohstoff. "Wir können es nicht ersetzen", sagte der Sprecher. Jährlich benötigt das Unternehmen 14 Terrawattstunden Gas, die explodierten Preise treffen SKW daher ins Mark. Zudem müsse der Konzern monatlich voraussichtlich 30 Millionen Euro Gasumlage zahlen. Das sei finanziell nicht zu stemmen. Eigentlich sei SKW ein "kerngesundes" Unternehmen, sagte der Sprecher.
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Der AdBlue-Mangel gefährdet die Logistikbranche
Das große Problem: Ohne den Abgasreiniger fährt kaum ein Lkw. Die Logistik-Branche warnte deshalb schon vor Versorgungsengpässen: "Kein AdBlue bedeutet keine Brummis. Und das bedeutet keine Versorgung in Deutschland", sagte der Chef des Branchenverbandes BGL, Dirk Engelhardt. Bereits in zwei Wochen könne es zu ersten Engpässen im Handel kommen.
Eine alternative Beschaffung des Additivs hält er für schwierig. AdBlue sei schwer aus dem Ausland zu importieren, sagte Engelhardt. "Überall in Europa stehen die Werke still." Außerdem fehlten die Transportkapazitäten, um die benötigten Mengen zu transportieren, so Engelhardt.
SKW Piesteritz hat mit dem BGL zwar eine Notfallreserve vereinbart. Von dieser waren aber zuletzt nur noch rund eine Million Liter AdBlue übrig, wie der SKW-Sprecher zu Reuters sagte. Laut Jürgen Ziegner, Geschäftsführer des Zentralverbands des Tankstellengewerbes, liegt der AdBlue-Verbrauch bei Lkw bei rund 1,5 Litern pro 100 Kilometer; bei Pkw sind es 1,5 Liter auf 1.000 Kilometer. Der BGL beziffert den täglichen Verbrauch von Lkw mit etwa fünf Millionen Liter pro Tag.
Von der Politik fordert SKW Piesteritz – das nach eigenen Angaben Deutschlands größter Ammoniak- und Harnstoffproduzent ist und auch Stickstoff-Düngemittel herstellt – eine Deckelung des Gaspreises und eine Ausnahme bei der Gasumlage für Unternehmen, die Gas als Rohstoff einsetzen. "Wenn nichts passiert, müssen wir zum 1. Oktober Kurzarbeit anmelden." SKW Piesteritz beschäftigt 850 Mitarbeiter, den Großteil davon in der Produktion.
Das sagt die Politik
Die Bundesregierung habe die Betriebseinstellung in Piesteritz in Sachsen-Anhalt "mit Besorgnis zur Kenntnis genommen", sagte ein Regierungssprecher. "Wenn nötig" würden Maßnahmen ergriffen, es stehe etwa ein "Liquiditätsprogramm" zur Verfügung.
Das Bundeswirtschaftsministerium verwies darauf, dass man die Lage seit Längerem aufmerksam beobachte und mit dem Hersteller in Kontakt stehe. Zur Versorgungslage sagte der Sprecher, dass es aber mehrere Hersteller in Deutschland gebe und auch die Möglichkeit von Importen bestehe. "Eine echte Mangellage konnten wir nicht feststellen. Aber falls diese eintreten sollte, werden wir Maßnahmen ergreifen." Er verwies auf die Hilfsinstrumente für Unternehmen, mit denen die Regierung für ausreichende Liquidität der Firmen sorgen wolle. Diese würden auch noch ausgeweitet.
In anderen Werken läuft die Produktion noch
Bei BASF in Ludwigshafen läuft die AdBlue-Produktion noch uneingeschränkt, "trotz des herausfordernden Markumfeldes", wie eine Sprecherin erklärte. BASF liefere weiterhin und stehe in engem Kontakt mit ihren Kunden. Ob der Chemieriese den Ausfall bei SKW am Markt kompensieren könne, wollte die Sprecherin nicht kommentieren.
Der Konzern hatte zu Wochenbeginn bekräftigt, bei Anlagen, die große Mengen Erdgas benötigen, etwa zur Herstellung von Ammoniak, seine Produktionsmengen zu reduzieren und Ammoniak teilweise vom Weltmarkt zuzukaufen. AdBlue besteht zu knapp einem Drittel aus Harnstoff, dessen Herstellung direkt im Verbund mit der Ammoniaksynthese erfolgt.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen Reuters und AFP