Für diesen Beitrag haben wir alle relevanten Fakten sorgfältig recherchiert. Eine Beeinflussung durch Dritte findet nicht statt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Buchtipp "5 Wochen Rabenmutter" Eine Kur ohne Kinder war für Tanja die letzte Rettung
Fünf Wochen Kur ohne die Kinder – für viele Mütter wäre das ein Alptraum. Für Tanja Bräutigam war es die letzte Rettung. Sie war mit den Nerven am Ende. Burnout. In ihrem Buch "5 Wochen Rabenmutter" verarbeitet sie das emotionale Auf und Ab. Im Gespräch mit t-online.de erzählt die ehemalige Leistungssportlerin, wie die Kur ihr Leben verändert hat.
t-online.de: Mütter erfahren wenig Verständnis, wenn sie wegen chronischer Erschöpfung eine Mutter-Kind-Kur antreten. Erst recht, wenn sie ohne Kinder in Kur gehen. Wieso haben Sie sich trotzdem dafür entschieden, ihre Kinder daheim zu lassen?
Sie entschieden sich bewusst für eine anthroposophische Klinik. Aber auch dort waren Antidepressiva und Schlafmittel ein Thema. Sie mussten dafür kämpfen, ohne Medikamente durch das Burnout zu kommen. Kam Ihnen manchmal der Gedanke, der Versuchung nachzugeben?
Ich bin kein Gegner von Antidepressiva. Diese Form der Therapie bietet vielen Menschen eine große Unterstützung. Natürlich war ich in den ganz schlechten Phasen oft nah dran, es doch damit zu versuchen. Mein Ziel war es aber, in meinem Leben Bausteine zu verändern, die mir nicht gut tun, statt mich mit Tabletten zu regulieren. Ich wollte nicht mehr nur funktionieren.
Trotzdem sind Sie direkt nach der Kur zunächst wieder in alte Muster gefallen und haben es nicht sofort geschafft, sich Inseln der Ruhe im Alltag zu bilden.
Es ist wichtig, das Idealbild einer Mutter endlich aufzubrechen, für individuelle Lebensentwürfe Raum zu schaffen und Abschied vom Perfektionismus zu nehmen. Dann würde es zahlreichen Müttern wesentlich besser gehen.
Sie haben am eigenen Leib erfahren, dass die Erwartungen an Mütter in unserer Gesellschaft sehr hoch sind. Sie sollen funktionieren, nicht jammern, ihre Kinder erfolgreich bis zum Abitur bringen, nebenbei berufstätig sein und immer gut aussehen. Wer übt diesen Druck aus?
Das ist auf der einen Seite ein gesellschaftliches Problem, weil das Idealbild der Mutter sehr hoch gehalten wird. Auf der anderen Seite spielen eigene Wertevorstellungen und Muster eine Rolle. Ich habe mein ganzes Leben lang gelernt zu funktionieren - im Leistungssport, im Job und später als Mutter. Ich wollte immer alles nur gut machen. Drunter hat nicht gereicht. Inzwischen habe ich gelernt, meinen Perfektionismus Stück für Stück abzulegen.
Sie waren beruflich sehr erfolgreich, haben viel gearbeitet, waren hohen Belastungen ausgesetzt. Doch das Burnout kam erst im Alltag mit den Kindern. Ist es anstrengender, zwei kleine Kinder zu versorgen?
Was mich angeht, kann ich das mit Ja beantworten. Mama zu sein ist für mich in der Kleinkindphase anstrengend gewesen, da über Jahre die Schlafqualität verloren gegangen ist, man 24 Stunden emotional eingebunden ist, kaum Pausen und Anerkennung geschenkt bekommt.
Schlafstörungen, Ängste und Depressionen wirken sich so stark auf die Persönlichkeit aus, dass Kinder das spüren. Ihnen scheint es aber trotzdem gelungen zu sein, dass Ihre Kinder gut durch diese Phase zu bringen. Woran liegt das?
Durchzuhalten für meine Kinder war auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Ich glaube auch, dass Kinder besser mit Ehrlichkeit und Authentizität umgehen können. Dazu gehört, dass ich als Mutter kommunizieren darf, dass es mir nicht gut geht, auch mal vor den Kindern weinen darf. Kinder spüren genau, wie es uns Mamis geht.
Wichtig ist es immer gewesen, meinen Kindern mitzuteilen, dass sie an meinem Zustand keine Schuld tragen. Und aufzuzeigen, dass es leider schlechte Tage im Leben, aber auch immer eine Lösung gibt. Meine Kinder haben in dieser Zeit weiter lebensfrohe Bilder gemalt. Für mich war das ein Zeichen, dass meine Krankheit ihnen nicht zu nahe gekommen ist.
Nach Ihrer Ankunft in der Klinik haben Sie als erstes das in ihren Augen fürchterliche Zimmer ausgeräumt. Für sie war es damals eine Verzweiflungstat. Heute sehen Sie es als lösungsorientiertes Handeln. Wie wichtig ist der Blickwinkel, wenn man sich überfordert fühlt?
Wichtig ist es, sich in stressigen Situationen nicht in die Opferrolle zu begeben und den Rückzug anzutreten. Das verschlimmert die Situation in den meisten Fällen. Heute versuche ich, Lösungen für meine Probleme zu finden, um aktiv aus der Stressfalle heraustreten zu können.
Wenn Sie mit dem Wissen von heute noch einmal in der gleichen Situation stecken würden wie vor der Kur, würden Sie dann etwas anders machen?
Nein, ich würde immer wieder die Entscheidung treffen, mir selbst wichtig genug zu sein, Hilfe zu holen und diese Auszeit in der Kur einzufordern. Nur wenn es mir als Mutter gut geht, können Kinder ein glückliches Leben führen.
Als Sie nach Hause kamen, ist etwas Typisches passiert: Ihr Umfeld war der Meinung, es hätte sie jetzt genug entlastet und Sie seien nach fünf Wochen Pause wieder voll einsatzfähig. Wie haben Sie sich da gefühlt?
Zum Glück haben mich Therapeuten und Ärzte in der Kur darüber aufgeklärt, dass es weit über ein Jahr dauert, um vom Kopf bis zur Achillessehne wieder gesund zu werden. Trotzdem war die Rückkehr in den Alltag ein Schock. Weil tatsächlich das Umfeld erwartete, dass ich sofort wieder zu funktionieren habe. Hier Grenzen zu setzen und Schwäche weiter offen zuzulassen, bedarf einer enormen Anstrengung.
Mein Veränderungsprozess hat langfristig dazu geführt, dass wir uns als Paar getrennt haben. Man stellt sich früher und ehrlicher Fragen wie "Tut mir diese Ehe gut? Tun wir uns noch gut?"
In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie Sie direkt nach der Kur mit zwei kranken Kindern zu Hause saßen, weil Ihr Mann beruflich verreist war. Wie verzweifelt Sie waren, weil niemand da war, der die vollgespuckte Bettwäsche in die Maschine räumte, während sie die Kinder trösteten. Ein Problem, das sie jetzt als alleinerziehende Mutter regelmäßig haben werden. War das damals Jammern auf hohem Niveau?
Jede Mutter hat unterschiedliche Belastungsgrenzen. Die eine Mutter ist bereits nach einer Stunde Stress hilflos und emotional aufgelöst, die andere erst nach einer Woche. Ebenso sind die Werte verschieden. Die eine Mutter genießt es, nicht zu arbeiten, die andere braucht es, schnell wieder arbeiten zu gehen und dort Anerkennung zu bekommen. Von daher ist jedes "Jammern" doch irgendwie gerechtfertigt, weil es individuell ist.
Mittlerweile bin ich seit einem Jahr alleinerziehend und komme mit dieser Situation gut zurecht. Es ist klarer für mich, alleinerziehend zu sein, als verheiratet und dabei immer alleine. Es ist an der Zeit, den Job von uns Müttern mehr wertzuschätzen. Unabhängig von der Entscheidung, wie man die Mutterrolle lebt.
Buchtipp: Tanja Bräutigam, "5 Wochen Rabenmutter". Eden Books, ISBN 9783959100786