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9-Euro-Ticket: Frust oder Riesenchance? DB hat "keinen blassen Schimmer"


Deutschlands 9-Euro-Experiment
Frust oder Riesenchance? Bahn hat "keinen blassen Schimmer"

Von dpa
Aktualisiert am 29.05.2022Lesedauer: 4 Min.
Öffentlicher Personennahverkehr: Für jeweils 9 Euro im Monat kann man im Juni, Juli und August mit Bahn und Bussen fahren.Vergrößern des Bildes
Öffentlicher Personennahverkehr: Für jeweils 9 Euro im Monat kann man im Juni, Juli und August mit Bus und Bahn fahren. (Quelle: Andreas Arnold/dpa)
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Billig, billiger, Bahn? Bald starten die 9-Euro-Tickets und sollen nicht nur viele Schnäppchenjäger neugierig machen. Sie sind auch eine Bewährungsprobe für die Branche – mit wohl spannenden Erkenntnissen.

Für Millionen Fahrgäste wird es ein ungewöhnlicher Sommer. Statt teurer wie sonst regelmäßig werden Busse und Bahnen ab diesem Mittwoch auf einen Schlag drastisch billiger. Für jeweils 9 Euro im Monat heißt es im Juni, Juli und August "bitte einsteigen" in den bundesweiten Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).

Schon im Vorverkauf ist das Interesse an den Billigtickets vielerorts groß, Verkehrsbetriebe wappnen sich für einen Andrang. Dabei ist es für Kundinnen und Kunden sowie die Branche auch ein großer Test: Glückt die Charmeoffensive, damit mehr Leute vom Auto umsteigen? Die Politik setzt auf viele neue Erkenntnisse auch über die Sommeraktion hinaus.

Die Fahrgäste

Die 9-Euro-Tickets seien eine "Riesenchance", sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Die Anbieter könnten nun zeigen, was der ÖPNV alles kann. Und die Bürger könnten in Sachen Mobilität etwas Neues ausprobieren.

Tatsächlich lautet die Hoffnung, dass viele mit einer 9-Euro-Flatrate in der Tasche überhaupt einmal auf den Gedanken kommen, zum Beispiel mit dem Bus zum Kino zu fahren – ohne Suche nach der richtigen Ticket-Tarifzone und einem Parkplatz in der City. Für Stammkunden mit Monats- und Jahresabos bedeutet die Billigaktion drei Monate Entlastung von höheren Kosten.

Hunderttausende 9-Euro-Tickets sind bereits verkauft. Wie oft die Menschen damit fahren, wie weit, zu welchen Uhrzeiten – das ist alles ungewiss. Voll dürfte es vor allem im Berufsverkehr werden, wenn in Ballungsräumen ohnehin häufig Gedränge herrscht – und an Wochenenden in schon jetzt oft vollen Zügen zu Ausflugszielen.

Wie viele Kunden dazu kommen? "Wir haben keinen blassen Schimmer", meinte kürzlich der Chef der Bahn-Regionaltochter DB Regio, Jörg Sandvoß. Zu rechnen sei wohl mit 30 Millionen Ticketnutzern pro Monat, hieß es beim Verband der Verkehrsunternehmen (VDV). Das sei aber nur eine Schätzung.

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Die Marktforscher

Um Einstellungen der Fahrgäste zu erfragen, haben Bund und Länder eine zentrale Evaluierung vereinbart, wie das Verkehrsministerium mitteilte. Diese Auswertung läuft über den VDV. Die Branchenorganisation hat Marktforscher mit Umfragen beauftragt. In drei Wellen sollen repräsentativ ausgewählte Bürger während der Aktion telefonisch und online befragt werden, etwa wie oft sie das 9-Euro-Ticket nutzen und wie weit sie damit fahren.

Befragungen in Bussen und Bahnen soll es für diese Auswertung hingegen nicht geben. "Es geht uns nicht nur um die Kunden, sondern auch um die Nicht-Kunden", begründete dies ein Verbandssprecher. Herausfinden will die Branche außerdem, wie das Bus- und Bahnfahren den Menschen gefallen hat.

"Spannend ist die Frage: Wie viele Kunden sind zurückgekehrt und wie viele bleiben?" Erste Ergebnisse sollen während der Aktion veröffentlicht werden. Darüber hinaus können die Länder und Verkehrsverbünde auch noch selbst vor Ort Marktforschung machen.

Das Bahn-Personal

Vollere Züge, das kann ebenso heißen: überquellende Papierkörbe, Abfall unter den Sitzen, verdreckte Toiletten. Die Bahn verstärkt nach eigenen Angaben ihre Reinigungsteams und lässt auch unterwegs Müll einsammeln. Die Instandhaltung in den Werkstätten werde ebenfalls verstärkt.

"Wir setzen alles in Bewegung", erläuterte DB-Regio-Chef Sandvoß. Zahlen hierzu nannte der Konzern nicht. Nur so viel: An Bahnhöfen sollen 700 zusätzliche Sicherheits- und Servicekräfte für ein möglichst reibungsloses Ein- und Aussteigen sorgen – viermal so viele wie in einem normalen Sommer.

Gewerkschafter befürchten Konflikte mit Zugbegleitern und anderen Mitarbeitern – wenn etwa Menschen aus überfüllten Zügen geschickt werden oder es Streit um Tickets gibt. "Lassen Sie Ihren Frust nicht an den Beschäftigten aus, die einfach ihre Arbeit tun", appellierte Martin Burkert, Vizechef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), an alle. "Das Pfingstwochenende wird der große Stresstest."

Die Bahn-Planer

Eine große Herausforderung ist zudem, dass Bauarbeiten im Gleisnetz keinen Sand ins 9-Euro-Getriebe streuen. Denn die Bahn baut auf Rekordniveau, kämpft gegen einen großen Sanierungsstau. Das bleibt nicht ohne Folgen. Im April war sie so unpünktlich wie lange nicht. Immer wieder schimpfen Industriekunden der Güterbahn, die Personenzügen Vorfahrt gewähren muss.

Über den Sommer stehen zahlreiche größere Baustellen an, etwa an den Hauptbahnhöfen Frankfurt, Dortmund, Stuttgart und Berlin, zwischen Hamburg und Hannover, Fulda und Würzburg, Osnabrück und Rheine, Braunschweig und Magdeburg sowie München und Salzburg.

Die Politiker

Wissing setzt auf wertvolle Erkenntnisse aus dem Experiment. "Weil wir dann wissen: Was erwarten die Menschen ganz konkret von uns?" In diesem Maße habe man Fahrgäste bislang noch nicht befragt. Erforscht werden soll laut Ministerium zum Beispiel die Nutzung verschiedener Kundengruppen – ihre Gründe, Hindernisse, die Preiswahrnehmung und Zufriedenheit. Die Ergebnisse sollen dann auch einfließen, wenn die Ressortchefs von Bund und Ländern im Herbst ohnehin beraten wollen, wie es generell mit Bussen und Bahnen weitergehen soll. Eine Arbeitsgruppe sitzt seit Längerem an Vorschlägen.

Seit Jahren diskutiert die Branche auch über billigere Tarife wie 365-Euro-Jahrestickets. Lassen viele Leute dann ihr Auto stehen? Das war bisher weitgehend eine theoretische Diskussion. Nun kommt ein Wirklichkeitscheck.

Gelingt das Experiment, ist neuer Schwung in diese Richtung denkbar – auch wenn die Versuchsanordnung so speziell ist, dass sie kaum einfach zu verlängern wäre. Denn zeitgleich zum Billigsommer für den ÖPNV greift eine Steuerentlastung auf Benzin und Diesel an den Tankstellen. Und neben dem Preis kommt es gerade abseits der Zentren auch auf mehr attraktive Verbindungen an.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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