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Gefährliches Ethylenoxid sorgt für Rückrufwelle


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Wenig bekannter Schadstoff
Gefährliches Ethylenoxid sorgt für Rückrufwelle


Aktualisiert am 16.09.2021Lesedauer: 4 Min.
Johannisbrotkernmehl: Das Ethylenoxid in belasteten Lebensmittel stammt häufig von den verwendeten Verdickungsmitteln.Vergrößern des Bildes
Johannisbrotkernmehl: Das Ethylenoxid in belasteten Lebensmittel stammt häufig von den verwendeten Verdickungsmitteln. (Quelle: agefotostock/imago-images-bilder)

Derzeit mehren sich Rückrufe von Lebensmitteln – und der Grund ist oft ein Stoff namens Ethylenoxid. Wie gelangt er in die Produkte? Und was macht ihn so gefährlich?

Rote Grütze, Fertiggerichte, Eiscreme oder Diätpulver: In den letzten Wochen häufen sich die Rückrufe von Lebensmitteln, weil darin Ethylenoxid oder das Abbauprodukt 2-Chlorethanol nachgewiesen wurde. Doch was genau steckt dahinter, und warum wird es in letzter Zeit so oft gefunden?

Was ist Ethylenoxid?

Ethylenoxid ist ein farbloses Gas. Es wird als Desinfektions- und Pflanzenschutzmittel eingesetzt. In der EU ist es in der Lebens- und Futtermittelindustrie zwar seit 1991 verboten, in Deutschland sogar bereits seit 1981. In anderen Ländern wird es jedoch immer noch eingesetzt.

Wie gefährlich ist Ethylenoxid?

Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung ist Ethylenoxid krebserzeugend und erbgutverändernd, und das auch in äußerst geringen Dosen. "Einen Richtwert ohne Gesundheitsrisiko gibt es somit nicht und Rückstände des Stoffes in Lebensmitteln sind grundsätzlich unerwünscht", heißt es dazu in der entsprechenden Stellungnahme des Instituts.

Gleiches gilt für das Abbauprodukt 2-Chlorethanol, da die Datenlage für eine gesonderte Bewertung bisher nicht ausreiche. Beide Stoffe werden in der Regel unter der Bezeichnung "Ethylenoxid" zusammengefasst.

Verbraucher sollten solche Rückrufe also ernst nehmen. Haben Sie ein betroffenes Produkt zu Hause, sollten Sie es nicht mehr verzehren.

Warum werden jetzt so viele Produkte wegen Ethylenoxid zurückgerufen?

Das Verfahren, mit dem Ethylenoxid nachgewiesen werden konnte, war bis vor Kurzem sehr aufwendig und kostspielig. Kontrollen erfolgten darum nur selten. Nachdem im Jahr 2020 in Belgien in Sesam aus Indien ein hoher Ethylenoxid-Gehalt festgestellt worden war, entwickelte das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart (CVUA Stuttgart) ein schnelleres und günstigeres Verfahren.

Die Untersuchung verschiedener Lebensmittelgruppen führte daraufhin auch in Deutschland zu etlichen Rückrufen, etwa von Sesam, Nahrungsergänzungsmitteln und Instantnudeln verschiedener Hersteller. Hersteller von Lebensmitteln kontrollieren jetzt auch intern verstärkt auf Ethylenoxid. Es ist daher zu erwarten, dass es in Zukunft noch mehr solcher Rückrufe geben wird.

Wie kommt das Ethylenoxid in die Lebensmittel?

Die vergangenen Rückrufe betrafen meist stark verarbeitete Produkte, in denen häufig Verdickungsmittel wie Johannisbrotkernmehl (E410) oder Guarkernmehl (E412) verwendet wurden. Diese sind grundsätzlich unbedenklich, waren in den betreffenden Fällen aber mit Ethylenoxid belastet und haben so den Schadstoff in die Lebensmittel eingetragen.

Wer entscheidet, welche Produkte zurückgerufen werden?

In der Regel sind die Hersteller dafür verantwortlich, dass ihre Produkte sicher für den Verbraucher sind. In den meisten Fällen werden Produkte daher direkt vom Hersteller zurückgerufen. Nur wenn dieser nicht handelt, werden die Behörden aktiv. Das ist in Deutschland Sache der Verbraucherschutzministerien der Länder.

Wann werden Produkte wegen Ethylenoxid zurückgerufen?

Hier herrscht Uneinigkeit: Innerhalb der EU hatte man sich im Sommer eigentlich geeinigt, sämtliche mit Ethylenoxid belastete Produkte zurückzurufen. Das soll auch dann gelten, wenn in einem Produkt belastete Zutaten verwendet wurden, im Endprodukt aber kein Ethylenoxid mehr nachgewiesen werden kann. In Frankreich etwa waren darum bereits Tausende Lebensmittel betroffen.

In Deutschland wird dieser Beschluss jedoch nicht immer befolgt: Zurückgerufen wird grundsätzlich, wenn bestimmte Grenzwerte überschritten werden. Liegen die nachgewiesenen Rückstände aber darunter, wird die Entscheidung meist vom Einzelfall abhängig gemacht. In einigen Fällen erfolgen darum keine Rückrufe. Dennoch dürfen diese Produkte in der Regel dann nicht weiter verkauft werden.

Als Orientierung bei solchen Entscheidungen werden entweder die Grenzwerte der EU herangezogen. Er liegt für Sesam bei 0,05 Milligramm Ethylenoxid pro Kilogramm. Manche Bundesländer orientieren sich aber auch an der "Aufnahmemenge geringer Besorgnis", die vom Bundesinstitut für Risikobewertung festgelegt wurde. Sie sagt aus, welche Menge Ethylenoxid Verbraucher jeden Tag zu sich nehmen könnten, ohne dass das zusätzliche Risiko an Krebs zu erkranken 1:100.000 übersteigt. Dieser Wert liegt bei 0,037 Mikrogramm je Kilogramm Körpergewicht und Tag.

Konnte Ethylenoxid nur in den Rohstoffen, nicht aber im Endprodukt nachgewiesen werden, soll laut EU eigentlich auch zurückgerufen werden. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz etwa schließen jedoch in diesem Fall behördliche Maßnahmen aus. Es fehle dafür die Rechtsgrundlage, heißt es zur Begründung. Andere Bundesländer entscheiden auch hier bei jedem Einzelfall neu.

Rufen Hersteller Produkte immer freiwillig zurück?

Nein. Das sieht man aktuell am Beispiel Eiscreme. Der Mars-Konzern musste beispielsweise in Frankreich etliche Eiscreme-Sorten zurückrufen, tat dies in Deutschland aber zunächst nicht. Da der Gehalt an Ethylenoxid sehr niedrig war, wurden auch die Behörden nicht aktiv. Erst nach öffentlichem Druck, unter anderem durch die Verbrauchschutzorganisation Foodwatch, wurden die Produkte zurückgerufen.

Aktuell steht der Eishersteller Froneri in der Kritik. Auch er musste zum Beispiel in Spanien, Frankreich, Polen oder Österreich Eiscreme der Marken Smarties, Nuii oder Oreo zurückrufen, weigert sich aber bisher, in Deutschland nachzuziehen. Der Konzern verweist darauf, dass im Endprodukt kein Ethylenoxid nachgewiesen werden könne. Die Rückstände hätten sich nur kurzzeitig in einer einzelnen Zutat befunden.

Scharfe Kritik an solchem Vorgehen kommt von Foodwatch: "Krebserregende Stoffe haben in unserem Essen nichts verloren", so Kampagnendirektor Oliver Huizinga. "Es ist inakzeptabel, wenn Froneri die Menschen in anderen Ländern besser schützt als in Deutschland. Die zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden dürfen das nicht durchgehen lassen."

Darf Ethylenoxid für andere Alltagsprodukte verwendet werden?

In der EU ist Ethylenoxid zwar für Lebensmittel tabu, zur Desinfektion, zum Beispiel von medizinischen Produkten, jedoch erlaubt. Ein Beispiel sind Corona-Tests. Die Tupfer für den Nasenabstrich müssen bei der Herstellung mit starken Chemikalien desinfiziert und von DNA befreit werden. Dazu wird auch Ethylenoxid eingesetzt.

Dass die Tupfer aber mit Ethylenoxid beschichtet seien, stimmt nicht: Es handelt sich um ein Gas, höchstens minimale Rückstände verbleiben auf dem Stäbchen. Da die Tupfer nur kurz mit den Schleimhäuten in Kontakt kommen, schätzen Experten dies als unbedenklich ein.

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