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Tierschutz-Expertin: Corona-Krise befeuert illegalen Welpenhandel


Interview
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Expertin vom Tierschutzbund
Was passiert, wenn die Kapazitäten im Tierheim ausgeschöpft sind?

InterviewVon Sandra Simonsen

Aktualisiert am 10.07.2021Lesedauer: 7 Min.
Katze im Tierheim: Im Lockdown haben sich besonders viele Menschen Haustiere angeschafft.Vergrößern des Bildes
Katze im Tierheim: Im Lockdown haben sich besonders viele Menschen Haustiere angeschafft. (Quelle: Kai Horstmann/imago-images-bilder)

Immer mehr Tierheime müssen sich um Tiere kümmern, die während der Pandemie angeschafft wurden. Auch der illegale Welpenhandel wurde von der Corona-Krise befeuert, wie Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund im Interview mit t-online berichtet.

Einsamkeit, Homeoffice oder Kurzarbeit: In der Corona-Zeit gab es viele Menschen, die sich Haustiere angeschafft haben. Doch jetzt zeigt sich die andere Seite der Medaille: Die Tierheime füllen sich langsam mit all jenen Tieren, die unüberlegt gekauft wurden, mit denen die Besitzer jetzt überfordert sind oder die der Urlaubsplanung im Wege stehen.

"Die aktuelle Entwicklung lässt uns mit Sorge in die Zukunft blicken", sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. "Auch wenn Tierheime bisher nur vereinzelt mit vermehrten Abgaben zu kämpfen haben, rechnen sie in der kommenden Zeit mit einer Flut von Neuaufnahmen. Die Kapazitäten könnten dann irgendwann erschöpft sein."

Erste Tierheime verkündeten bereits einen Aufnahmestopp. Dabei geht es meist nicht um die "Rückgabe" von Tierheimtieren – ein größeres Problem sind die Tiere, die im Internet, im Zoofachhandel oder bei Züchtern gekauft worden sind. t-online hat mit Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund über die Probleme und Chancen der Corona-Krise gesprochen. Sie erklärt, welche Tiere besonders beliebt sind und warum es für die Tiere so schwierig ist, wenn sie abgegeben werden.

t-online: Wie hat sich die Tierhaltung seit Beginn der Pandemie verändert – haben jetzt viel mehr Menschen ein Haustier?

Lea Schmitz: Es sind deutlich mehr Menschen mit Haustieren geworden. Die Nachfrage war sehr groß: Die Tierheime haben es gemerkt, teilweise gab es extrem viele Anfragen. Auch die Züchter haben berichtet, dass sie überrannt wurden von Menschen, die Hundewelpen haben wollten. Und auch der illegale Welpenhandel hat leider profitiert. Umfragen haben gezeigt, dass von 2019 zum Corona-Jahr 2020 fast eine Million Haustiere in Deutschland neu dazugekommen sind.

Welches Haustier hat am meisten an Beliebtheit gewonnen?

Das sind insbesondere Katzen und Hunde. Die Zahl der Katzen allein ist schon um eine Million Tiere angestiegen, bei den Hunden waren es 600.000. Einen Rückgang gab es bei den kleinen Heimtieren wie Kaninchen, Meerschweinchen, Hamstern und Vögeln.

(Quelle: Deutscher Tierschutzbund e.V.)

Lea Schmitz

Lea Schmitz (36) ist seit 2015 Pressesprecherin des Deutschen Tierschutzbundes, der als Dachverband rund 740 Tierschutzvereine und 550 Tierheime vertritt. Die studierte Biologin hat selbst einen Hund aus dem Tierschutz und vier Wellensittiche.

Wie sieht es aktuell in den Tierheimen aus? Werden jetzt viele Tiere abgegeben, die im Lockdown angeschafft wurden?

Gerade während des letzten Lockdowns im Winter wurden viele Tierheimtiere vermittelt, was natürlich erfreulich war und auch dazu geführt hat, dass die Tierheime etwas leerer waren. Aber jetzt ist es so, dass sich das langsam umkehrt. Die Tierheime werden wieder voller und es gibt schon Abgaben von Tieren, die während der Corona-Zeit angeschafft wurden. Allerdings: Diese Tiere kommen ursprünglich meistens nicht aus dem Tierheim, sind also keine "Rückgaben". Es sind Abgaben von Tieren, die aus anderen Quellen stammen.

Was sind das für Quellen?

Problematisch ist natürlich vor allem das Internet als Quelle, weil dort jeder ein Tier kaufen kann, ohne dass nachgefragt wird, ob derjenige überhaupt in der Lage ist, ein Tier zu halten. Viele Tiere kommen aber auch von Züchtern oder aus Zoofachhandlungen oder Baumärkten.

Gibt es eine Obergrenze in den Tierheimen?

Ja, die gibt es. Denn das Tierheim muss sicherstellen können, dass alle aufgenommenen Tiere artgerecht untergebracht sind und auch versorgt werden können. Da hängen ja auch räumliche und finanzielle Kapazitäten dran. So langsam füllen sich die Tierheime und erste Einrichtungen wie beispielsweise das Tierheim Bremen haben sogar schon Aufnahmestopps verhängt. Die haben gesagt: Wir sind voll, wir können keine neuen Tiere mehr aufnehmen. Das ist eine Entwicklung, die besorgniserregend ist. Ich würde noch nicht davon sprechen, dass die Abgabewelle, die wir befürchten, schon da ist – aber sie kündigt sich jetzt an. Und mit einer Abgabewelle rechnen auch alle unsere Tierheime, das könnte schnell zum Problem werden.

Was passiert, wenn die Kapazitäten ausgeschöpft sind?

Dazu muss man sagen, dass es keine Pflicht für Tierheime gibt, Tiere aufzunehmen, deren Besitzer sie wieder loswerden wollen. Die Verantwortung, sich um das Tier zu kümmern, liegt erst mal bei dem Besitzer selbst! Eine Pflicht zur Aufnahme besteht meist nur für Fundtiere, wenn es entsprechende Verträge mit der Kommune gibt. Trotzdem versuchen die Tierheime natürlich alles, damit kein Tier in Not gerät. Denn wenn der Besitzer sein Tier loswerden will, ist meist klar, dass es dort auch nicht mehr sonderlich gut aufgehoben ist. Dann wird geschaut, wie man Tiere vielleicht noch zusammensetzen kann oder die Tierheime helfen sich untereinander aus. Aber wenn irgendwann nichts mehr geht, müssen die Besitzer der Tiere im Zweifel selbst andere Lösungen finden, zum Beispiel die Tiere noch eine Zeit lang behalten oder in anderen Tierheimen nachfragen.

Werden die Tiere ins Tierheim gebracht, oder eher einfach ausgesetzt?

Grundsätzlich sind die meisten Tiere, die im Tierheim aufgenommen werden, Fundtiere – das war aber auch schon vor Corona so. Das sind oft auch tatsächlich verloren gegangene Tiere, die auch wieder abgeholt werden. Bei den ersten "Corona-Tieren", die nun im Tierheim landen, sind es bisher eher Abgabetiere – zum Glück.

Ein Tier auszusetzen, geht natürlich gar nicht. Jeder, der keine Option mehr sieht, sein Tier zu behalten, sollte zumindest so verantwortungsbewusst sein, im Tierheim anzurufen oder einen anderen Platz zu finden, wo das Tier bleiben kann. Vereinzelt gab es auch schon ausgesetzte Tiere, bei denen nicht ganz klar ist, ob es "Corona-Tiere" waren, der Schluss ist aber beispielsweise bei jungen Hunden oder Welpen recht naheliegend. Zum Glück sind das immer noch Ausnahmefälle – aber Aussetzungen sind natürlich immer besonders dramatisch und grausam.

Aus welchen Gründen geben die Menschen die Tiere ab?

Bei der Abgabe im Tierheim werden nicht immer die wahren Gründe genannt – da spielt natürlich auch eine gewisse Scham eine Rolle. Ein klassischer Grund – auch schon vor Corona, der oft genannt wird, ist das Vorliegen einer Allergie. Ob das immer so stimmt, ist die Frage. Den Tierheimen zufolge ist ein Hauptgrund für die Abgabe Überforderung. Insbesondere bei Hunden schaffen sich die Menschen dann beispielsweise einen Hund an und wissen nicht, was das bedeutet.

Und wenn man sich mit der Hundeerziehung nicht auskennt, kann es natürlich auch sein, dass der Hund seine Grenzen austestet und einem auf der Nase herumtanzt. Auch die Hundeschulen hatten ja geschlossen – da gab es also keine Unterstützung. Oft sind die Halter aber auch in dem Sinne überfordert, dass Tier und Alltag nicht vereinbar sind. Homeoffice und Homeschooling und natürlich der Lockdown haben es vielen da zunächst leicht gemacht. Doch was passiert jetzt mit dem Hund, wenn ich wieder ins Büro gehe oder in den Urlaub fahren will? Dieser Zeitaufwand wird häufig unterschätzt – nicht nur bei Hunden, auch bei Kleintieren.

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Die Menschen machen sich also vor der Anschaffung eines Tieres zu wenige Gedanken?

Oft ja – manchmal funktionieren die Tiere aber auch nicht so, wie die Menschen sich das vorgestellt haben, oder erfüllen die Erwartungen nicht. Wenn man ein bisschen naiv an die Sache herangeht, merkt man vielleicht erst, wenn das Tier da ist, welche Arbeit und auch welche Kosten das Tier verursacht. Kleintiere werden oft als "Ersatz" angeschafft, weil Menschen vermuten, dass sie weniger Arbeit machen als Hund oder Katze, zu denen man sonst vielleicht tendiert hätte. Das ist leider ein Trugschluss. Die Menschen merken dann, dass auch Kaninchen mehr Arbeit machen als gedacht oder dass das Tier vielleicht doch nicht das Kuscheltier ist, was man sich gewünscht hatte.

Kann die Entscheidung, ein Tier im Tierheim abzugeben, dann manchmal doch noch beeinflusst werden?

Wenn jemand sich überfordert fühlt, aber das Tier gern behalten will, dann kann das Tierheim natürlich auch eine Beratung leisten und vielleicht ein paar Tipps geben. Wenn der Hund zum Beispiel schlecht erzogen ist, kann erst einmal eine Hundeschule empfohlen werden. Es gibt da schon Möglichkeiten – aber dafür muss der Wille da sein. Und ich glaube, die meisten Leute, die schon den Schritt gehen und beim Tierheim wegen einer Abgabe anfragen, sind schon sehr entschlossen und lassen sich dann auch nicht mehr umstimmen.

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Zeigen die "Lockdown-Tiere" Verhaltensauffälligkeiten?

Ja, gerade bei Hunden ist das ein Problem. Die Tiere, die jetzt in den Tierheimen landen, sind häufig Junghunde – also vielleicht ein halbes Jahr alt – und oft komplett unerzogen. Da haben die Menschen meistens keinen guten Job gemacht und das Tierheim muss erst einmal schauen, dass die Tiere ihre Grunderziehung bekommen. Das kann dann gegebenenfalls auch eine Vermittlung erschweren. Das Tierheim muss geradebiegen, was die Vorbesitzer versäumt haben.

Sie hatten es eingangs schon angesprochen: Wie sehr hat denn die Corona-Krise den illegalen Welpenhandel beeinflusst?

Der illegale Welpenhandel hat geboomt, weil natürlich die Nachfrage das Angebot bestimmt. Bei vielen Menschen war der Wunsch nach einem Hund da und sie sind im Tierheim oder beim Züchter nicht fündig geworden. Entweder weil sie abgewiesen wurden, weil sie sich gar nicht für eine Hundehaltung eignen. Oder weil es auch einfach keine Tiere mehr gab, die zur Vermittlung oder zum Kauf standen.

Viele Menschen sind dann auf das Internet ausgewichen. Denn dort kann man sich mit wenigen Klicks einen Hund kaufen. Die hohe Nachfrage hat sich natürlich auf die Online-Inserate ausgewirkt. Und wir haben auch gesehen, dass es mehr Fälle mit beschlagnahmten Tiere aus illegalem Handel gab. Bei den Hunden hat sich diese Zahl mit über 1.050 Tieren ungefähr verdreifacht. Und das sind nur die Fälle, die bekannt wurden – es handelt sich natürlich nur um die Spitze des Eisbergs.

Dürfen aktuell wieder "ganz normal" Tiere aus den Tierheimen adoptiert werden?

In den meisten Tierheimen ist es noch so, dass man Termine vereinbaren muss – vereinzelt dürfen Besucher aber auch einfach so wieder vorbeikommen. Viele Tierheime wollen aber auch bei dem Terminsystem bleiben, weil dann wirklich nur Menschen kommen, die ernsthaftes Interesse haben. Und auch die Tiere sind dann entspannter, weil nicht ständig fremde Menschen im Tierheim herumwuseln.

Was sollte man prüfen, bevor man sich ein Tier anschafft?

Auf jeden Fall sollte immer alles genau durchdacht werden. Während Corona wurden viele Tiere ja aus Einsamkeit oder zur Beschäftigung angeschafft. Natürlich sind Tiere ein wichtiger Sozialpartner für uns Menschen – aber Einsamkeit allein sollte nicht der Grund sein, sich ein Tier anzuschaffen. Da sollte man an erster Stelle an das Tier und seine Bedürfnisse denken und sich vorher informieren, was ein Hund, eine Katze oder auch ein Kaninchen benötigt.

Auch bei der Auswahl der Rasse sollte man nicht nach der Optik gehen, sondern danach, was das Tier braucht und was man bieten kann. Wer beispielsweise Vollzeit arbeitet, gerne Fernreisen unternimmt und auch sonst nicht viel Zeit hat, sollte sich besser eingestehen, dass sein Leben aktuell nicht mit einer Tierhaltung vereinbar ist. Und nicht zuletzt spielen natürlich auch finanzielle Aspekte eine Rolle.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schmitz!

Verwendete Quellen
  • Interview mit Lea Schmitz, Pressesprecherin Deutscher Tierschutzbund
  • Pressemitteilung Deutscher Tierschutzbund
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