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Nicole Staudinger über Gleichberechtigung: "Frauen blockieren sich gegenseitig"


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Autorin Nicole Staudinger über Gleichberechtigung
"Männer finden sich naturgeil"

  • Claudia Zehrfeld
InterviewVon Claudia Zehrfeld

Aktualisiert am 03.03.2020Lesedauer: 9 Min.
Nicht nur im beruflichen Zusammenhang: Manche Männer trauen Frauen nichts zu, andere erklären ihnen gerne von oben herab die Welt.Vergrößern des Bildes
Nicht nur im beruflichen Zusammenhang: Manche Männer trauen Frauen nichts zu, andere erklären ihnen gerne von oben herab die Welt. (Quelle: fizkes/getty-images-bilder)
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Frauen haben mit daran Schuld, dass die Gleichberechtigung noch nicht funktioniert, findet Autorin Nicole Staudinger. Im Interview erklärt sie, wie sie zu dieser Meinung kommt.

Nicole Staudinger ist bekannt geworden mit dem Buch "Brüste umständehalber abzugeben", in dem sie von ihrer Krebserkrankung berichtet. In ihrem neuen Werk beschäftigt sich die 38-Jährige mit dem Thema Gleichberechtigung der Geschlechter.

Darüber spricht sie auch im Interview mit t-online.de. Die Autorin merkt dabei an, dass Männer nicht das alleinige Problem seien. Frauen hielten sich oft zurück, würden ihren eigenen Wert nicht erkennen und könnten sich noch mehr gegenseitig unterstützen, anstatt sich zu behindern. Zudem verrät sie, wie Frauen auf nervige Männercharaktere reagieren können – und was das weibliche Geschlecht mit Krabben gemeinsam hat.

t-online.de: Ihr neues Buch heißt "Männer sind auch nur Menschen" und beschäftigt sich mit dem Thema Gleichberechtigung. Was ist denn das Problem mit den Männern?

Nicole Staudinger: Das sollte man mal den lieben Gott fragen, was er sich dabei gedacht hat. Nein, mal im Ernst: Ich glaube tatsächlich, dass Männer aus ihrer Sicht gesehen gar kein Problem haben. Die finden sich meistens so wie Gott sie schuf vollkommen perfekt. Ich habe oft zu viel in die chauvinistischen Aussagen von Männern reininterpretiert. Da bin ich, rückblickend betrachtet, meinen Söhnen dankbar, dass sie mich aufgeklärt haben. Männer meinen das nicht böse, die finden sich halt naturgeil. Und da können wir Frauen uns eine Scheibe von abschneiden.

Stehen sich Frauen in Sachen Gleichberechtigung also selbst im Weg?

Nicht nur sich selbst, auch sich gegenseitig. Ich denke zum Beispiel an Schulfeiern, bei denen jeder einen selbst gebackenen Kuchen mitbringen sollte. Das sind Kleinigkeiten, die mich in meinem Alltag fertig machen. Denn ich kann nicht backen und ich habe auch keine Zeit zum Backen. Heißt also, ich muss in irgendeine Bäckerei flitzen und den kaputtesten Kuchen auswählen, der am meisten nach selbstgemacht aussieht. Früher wurde ich dafür von den anderen Müttern ganz schief angeguckt. Ich musste mich rechtfertigen, warum ich den Kuchen nicht selbstgebacken habe. Wir stecken so wahnsinnig viel Energie in die Rechtfertigung. Und in dieser Rechtfertigungszeit ziehen die Männer gerne rechts an uns vorbei. Denn die müssen das nicht. Ich habe auch noch nie erlebt, dass Väter sich rechtfertigen müssten, wenn sie mal wegen der Arbeit eine Nacht von ihren Kindern getrennt sind.

Was sollten Frauen tun?

Wir sollten das ablegen. Wir sollten uns gegenseitig unterstützen: "Das ist ja mega! Du hast den Kuchen super gut beim Bäcker eingekauft. Das muss dir auch erst mal einer nachmachen." Das hat etwas von Loyalität und gleichzeitig nimmt man das Ganze mit Humor. Wir brauchen diese Frauenloyalität als Basis, um an dieser Gesellschaft etwas zu verändern. Wenn ich aber ständig das Gefühl habe, dass die Frau links und jene rechts von mir mich für das, was ich tue, verurteilt, dann kann ich mich ja gar nicht verwirklichen.

Nicole Staudinger, Jahrgang 1982, ist Autorin und Speakerin. In ihren Seminaren beschäftigt sie sich mit Themen wie Schlagfertigkeit, Resilienz und Frauen in Führungspositionen. Außerdem tourt sie mit wechselnden Bühnenprogrammen durch Deutschland.

Die schiefen Blicke der anderen Frauen, das ständige Rechtfertigen, das gegenseitige Zurückhalten: In Ihrem Buch beschreiben Sie das als Krabbenkorbeffekt.

Richtig. Den Begriff habe ich von der Gleichstellungsbeauftragten der Bundeswehr gelernt, die ich für das Buch interviewt habe. Ich hatte sie gefragt: "Wie findest du das Leben unter Männern?" Und ihre Antwort war: "Eigentlich ganz entspannt. Unter Frauen hingegen empfinde ich es wie den Krabbenkorbeffekt." Das Bild hat sie mir so erklärt: Bei einem Korb voller Krabben brauchst du keinen Deckel, die ziehen sich gegenseitig schon von allein runter, wenn eine rauskrabbeln will. Das ist ein krasses Bild. Aber ich kenne Situationen, die genau so ablaufen. Und ich muss zugeben, dass ich früher manchmal auch so eine blöde Krabbe war.

Was haben Sie zum Beispiel gemacht?

Ich war sehr überstülpend. Damals als über Angelina Jolie berichtet wurde, dass sie sich prophylaktisch die Brüste hat abnehmen lassen, saß ich auf meiner Couch 6000 Kilometer weit entfernt und habe über Frau Jolie richtig schön geurteilt. Ich habe gesagt: "Jetzt lässt sie sich zwei gesunde Organe abnehmen. Die kann nicht ganz sauber ticken. Das muss ein Hollywood-Problem sein!" Das wird mir im Leben nicht mehr passieren.

Warum? Was ist geschehen?

Sechs oder sieben Jahre später saß ich selbst vor einem Arzt, der mir sagte: "Wenn Sie den Brustkrebs jetzt überleben, dann liegt ihr Wiedererkrankungsrisiko leider immer noch bei 80 Prozent." Und ich habe gesagt: "Sie brauchen gar nicht weitersprechen. Nehmen Sie mir bitte jetzt sofort die Brüste ab." Da musste ich lernen, dass ich eine voreingenommene Kuh bin. Die Krankheit hat mir gezeigt, wie wichtig Loyalität ist. Heute weiß ich, dass jede von uns ihren eigenen Rucksack zu tragen hat. Und wer bin ich bitte, dass ich über diese Rucksäcke und die Art und Weise, wie Frauen sie tragen, urteile? Das steht mir doch gar nicht zu.

Sie raten Frauen, denen Männer (oder auch Frauen) blöd kommen, schlagfertig zu reagieren. Wie gelingt einem das?

Zwei Dinge sind ganz entscheidend. Zum einen muss man sich klarmachen: Schlagfertigkeit ist letzten Endes eine Lebenseinstellung. Ihr geht eine wichtige Frage voraus: Wem gestehe ich es zu, mir wertvolle Lebenszeit durch Ärger zu klauen? Zum anderen gehört das richtige Selbstbild dazu. Denn ich muss schon wissen, wer ich bin und was ich kann, um innerhalb von drei Sekunden zu entscheiden – länger haben wir ja nicht Zeit zu reagieren – ob mein Sohn, mein Chef oder meine Freundin gerade so mit mir reden darf. Wenn dem nicht so ist, nicht zickig werden, sondern mit Humor an die Sache herangehen.

Warum haben Frauen häufig ein Problem damit?

Dieses humorige Reagieren fällt Frauen oft so schwer, weil wir so gut im Schlucken sind. Manchmal schlucken wir jahrelang und sagen nichts des lieben Frieden Willens. Und das Fass wird immer voller. Irgendwann fällt dieser berühmte Tropfen hinein, der zu viel ist. Und wir ticken aus wie eine Furie. Wenn wir aber zwischendurch einfach mal mit Humor das Fass leer laufen lassen, dann fällt es uns viel leichter, gelassener zu reagieren.

Haben Sie ein, zwei Tricks parat, wie man schnell eine schlagfertige Antwort findet?

Na klar. Schlagfertigkeit muss nicht immer eine verbale Reaktion sein. Da kann auch ganz viel nonverbal stattfinden. Etwa mit einem von oben bis unten musternden Blick. Nach Ende eines Vortrags von mir sagte zum Beispiel mal ein Herr zu mir: "Ach, und das soll es schon gewesen sein?" Da habe ich die Arme überkreuz genommen, ihn angeschaut und durchgeschnaubt. Das kann schon Antwort genug sein. Eine andere wunderbare Technik ist die spontane Zustimmung. Ich hätte also auch antworten können: "Ja, Herr Meier. Was hat Ihnen denn gefehlt?" Oder: "Was haben Sie denn nicht verstanden?"

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Verraten Sie noch eine weitere Technik?

Als absolute Notfalllösung – wobei das die Technik ist, die Frauen am liebsten mögen – taugt die Zwei-Silben-Antwort. Also etwa: Ach, was! Potz Blitz! Sieh an! Schau an! Das bringt viele Frauen immer zum Lachen. Und nur darauf kommt es mir an. Schlagfertigkeit ist nicht die Frage, wer am längeren Hebel sitzt. Und es geht auch nicht um Besserwisserei oder Rumzickerei. Es kommt darauf an, sich möglichst wenig zu ärgern.

Wenden wir uns mal ein paar typischen Männercharakteren zu: Wie reagiert man am besten auf einen Mansplainer – also einen, der Frauen die Welt von oben herab erklärt?

Dieses Exemplar finde ich großartig! Ich habe selbst drei Stück davon zu Hause. Die erklären mir regelmäßig die Welt. Ich lasse die auch immer – und schalte auf Durchzug. Gerade in der Rednerbranche, in der ich mich beruflich bewege, wollen mir die Männer häufig erklären, wie ich meinen Job zu machen habe. Ich hole sie oft mit der Zwei-Silben-Antwort von ihrem hohen Ross herunter. Je länger der Monolog von dem Mann ist, desto kürzer und knackiger ist meine Antwort.

Ein weiteres Phänomen ist, dass manche Männer gerne Frauen ungefragt bewerten: ihr Verhalten oder auch ihr Aussehen. Wie geht man damit um?

Da hatte ich vergangene Woche eine schöne Situation. Nach einem sehr großen Auftritt kamen über tausend Frauen zum Signieren zu mir. Und dann kam ein älterer, weißer Mann, stellt sich vor mich und sagt: "Das war ganz nett. Ich werde mir Ihr Buch besorgen und dann bekommen Sie von mir mein ehrliches Feedback." Und ich gucke ihn an und sage: „Wer sagt Ihnen denn, dass ich das überhaupt will?“ Da sagt er mit aggressivem Ton: "Sie müssen Kritik schon annehmen können." Und darauf habe ich nur erwidert: "Da haben Sie recht. Ich nehme Kritik grundsätzlich von den Menschen an, die ich auch um einen Ratschlag bitten würde. Aber da gehören Sie nicht dazu." Ich war ganz höflich, der Tonfall war ganz locker. Dann habe ich mich umgedreht und bin gegangen.

Auch beim Joggen haben Sie es schon häufiger erlebt, dass Männer ungefragt ihren Kommentar abgeben – sei es mit einem "Hop, hop, hop" oder einem "Schneller, Mädchen!". In Ihrem Buch verraten Sie aber nicht, was Sie darauf antworten. Verraten Sie es uns?

Ich finde einen Kommentar wie "Schneller, Mädchen, schneller!" unverschämt. Und dann ist meine Antwort vielleicht etwas politisch unkorrekt. Ich sage nämlich Sachen wie: "Schatz, das ist ganz dünnes Eis, auf dem du dich hier bewegst." Oder "Mutig, richtig mutig aus dieser gehenden Position heraus solche klugen Ratschläge zu geben."

Dann gibt es Männer, die Frauen nie ausreden lassen, sondern ständig unterbrechen. Haben Sie einen Tipp parat, wie Frauen auf sie reagieren können?

Beim ersten Mal würde ich ad hoc aufhören zu reden. Und locker darüber hinwegsehen. Beim zweiten Mal würde ich irgendwann das Wort ergreifen und etwas sagen wie: "Kurz bevor mich Herr Müller zum zweiten Mal unterbrochen hat, wollte ich gerne noch das und das erzählt haben." Dabei sollte man den Blickkontakt mit dem Störenfried halten. Wir dürfen Männer aber auch nicht abstempeln. Ich habe auch schon Männer erlebt, die gesagt haben: "Es tut mir leid, ich wollte dich gar nicht unterbrechen."

Sie trainieren auch Frauen bei der Bundeswehr zum Thema Schlagfertigkeit. Warum ist das nötig?

Das habe ich auch gefragt, als ich die Anfrage bekam. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass sich ein Kämpfer auf dem Feld mit einem "Potz Blitz" nicht beeindrucken lässt. Aber es geht dabei nicht um die Kämpfer auf dem Feld, sondern um die Kollegen. Die Bundeswehrfrauen haben sich für einen Job entschieden, in dem sie ganz viel Gegenwind bekommen. Von den Kollegen – männlich wie weiblich – oft auch von der Familie und der Gesellschaft. Das macht mürbe. Ich bringe ihnen bei, wie sie schlagfertig werden, um sich gegen Kollegen, aber auch Kolleginnen humorvoll zur Wehr zu setzen.

Was muss sich denn in der Gesellschaft ändern, damit Mann und Frau gleichberechtigt sind?

Natürlich müssten sich ein paar Gesetze ändern. Wenn ich sehe, dass es Frauen gibt, die erst vier, fünf Kinder großgezogen, dann die Eltern gepflegt haben und nachher keine Renten haben, von der sie leben können. Da könnte ich schreiend weglaufen vor Ungerechtigkeit. Was sich sofort ändern ließe und müsste ist der Umgang unter uns Frauen. Sie sollten sich mehr unterstützen. Wenn ich zum Beispiel einen Auftrag absagen muss, sag ich ihn nie ab, ohne eine andere Frau empfohlen zu haben.

Sie kritisieren auch, dass Frauen ihre Männer häufig für eigentlich selbstverständliches Verhalten loben – vor allem im Haushalt.

Wenn eine Frau sagt "Ist doch super, ich fühle mich gut dabei", will ich ihr auch keinen Fehler reinreden, wo sie selbst keinen sieht. Aber ich sehe ihn bei mir. Ich finde meine eigenen Formulierungen schon krass. Ich bin mittlerweile von meinem Mann getrennt. Aber ich habe früher wirklich die Formulierung benutzt: "Schatz, kannst du mir mal kurz die Spülmaschine ausräumen?" Dabei ist es auch seine Spülmaschine… Und heute achte ich bei meinen beiden Söhnen ganz genau auf die Formulierung. Ich sage etwa: "Max, die Spülmaschine ist fertig, bitte ausräumen." Und wenn er das gemacht hat, steht er oft vor mir, wie ein Hund, der jetzt ein Leckerchen haben will. Aber ich finde, er muss wissen, dass das selbstverständlich ist. Solange die Männer noch sagen: "Ich helfe zu Hause im Haushalt“, solange ist da noch keine Gleichberechtigung.

Versuchen Sie, Ihren Söhnen Gleichberechtigung noch an anderen Stellen durch die Erziehung zu vermitteln?

Ja, aber es bleibt häufig bei dem Versuch. Meine beiden Jungs bringen ja auch eine gewisse Genetik mit. Vor kurzem musste ich mir von einem der beiden anhören, als ihn dazu aufgefordert habe, dass Zimmer aufzuräumen: "Ja, oder du machst das. Du bist ja die Frau." Dabei hat er solche Rollenbilder noch nie zuhause mitbekommen. Das muss bei ihm im Blut liegen. Ich versuche, das auszutreiben.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Staudinger.

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