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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hohe Nitratwerte Wie belastet ist deutsches Grund- und Trinkwasser?
Der Nitratgehalt im deutschen Grundwasser übersteigt seit Jahren die zulässigen Grenzwerte der EU. Falk Hilliges vom Umweltbundesamt erklärt, ob das gefährlich ist – und welche Auswirkungen das auf unser Trinkwasser hat.
Die Nitratbelastung des Grundwassers ist zu hoch. Die EU-Kommission droht Deutschland mit einer weiteren Klage, sollten die Düngeregeln für Bauern nicht verschärft werden. Zuletzt soll der Nitratgehalt laut der "Rheinischen Post" an einigen Stellen sogar noch gestiegen sein.
Im Interview erklärt Experte Falk Hilliges, der im Umweltbundesamt zuständig für den Grundwasserschutz ist, wie belastet das deutsche Grundwasser ist – und wie dadurch die Qualität unseres Trinkwassers beeinflusst wird.
t-online.de: Die Nitratbelastung im Grundwasser soll angestiegen sein. Wie belastet ist das deutsche Grundwasser?
Falk Hilliges: Aus den Zahlen, die uns vorliegen, können wir nicht sagen, dass wir einen Nitratanstieg im Grundwasser haben. Wir können sagen, dass wir seit vielen Jahren auf konstant hohem Niveau fahren, aber weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung verzeichnen. Wir wissen: An knapp 30 Prozent aller Messstellen, die unter landwirtschaftlicher Nutzung sind, wird der Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter nicht eingehalten.
Wenn man das gesamte Messnetz nimmt, nicht nur die landwirtschaftlichen Messstellen, sondern auch alle anderen Nutzungsformen, sprich Siedlung, Wald und sonstige Nutzungen, da sind wir bei ungefähr 18 Prozent. Das heißt, wir haben schon einen deutlichen Einfluss der Landwirtschaft. Die Situation ist aber seit vielen Jahren bekannt und wir haben keine signifikante Veränderung nach oben oder nach unten.
Welche Auswirkungen hat das Überschreiten der Grenzwerte?
Der Grenzwert ist aus dem Trinkwasserbereich abgeleitet. Das ist ein Vorsorgewert für die Genießbarkeit des Trinkwassers. Der Wert wird auf das Grundwasser übertragen, weil Grundwasserressourcen auch für das Trinkwasser genutzt werden. Für die Trinkwasserversorger hat das Folgen. Wenn Wasserversorger feststellen, dass im Rohwasser die Nitratwerte zu hoch sind, müssen sie dieses Wasser mit Wasser aus anderen Quellen, das nicht belastet ist, verschneiden. Wenn auch das nicht mehr möglich ist, dann müssten sie es aufwendig technisch aufbereiten, was bisher praktisch nirgends gemacht wird, weil es sehr teuer ist.
Wie gelangt das Nitrat ins Grundwasser?
Das Nitrat kommt über verschiedene Wege ins Grundwasser. Haupteintragspfad ist die übermäßige Düngung, meist mit Gülle aus der Landwirtschaft. Das heißt, die Pflanze kann nicht den ganzen Stickstoff aufnehmen, der in der Gülle vorhanden ist – und was die Pflanze auf dem Feld nicht aufnehmen kann, das versickert und gelangt dann irgendwann auch ins Grundwasser.
Die Werte, die wir jetzt sehen, sind zudem die Auswirkungen der Landwirtschaft, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten betrieben haben, weil einfach die Verlagerungszeit, bis das Sickerwasser in den Grundwasserkörpern ankommt, teilweise Jahrzehnte dauert. Selbst wenn wir jetzt Maßnahmen starten, werden wir die Auswirkungen in den meisten Grundwasserkörpern nicht kurzfristig sehen, sondern eher langfristig.
Warum ist eine Nitratbelastung gefährlich?
Eine Nitratbelastung ist dahingehend gefährlich, dass das Nitrat, wenn es im Trinkwasser ist und konsumiert wird, im menschlichen Verdauungstrakt zu Nitrit umgewandelt werden kann und das kann gesundheitliche Risiken bedeuten – insbesondere für Säuglinge. Das Nitrit führt dazu, dass der Blutfarbstoff Hämoglobin keinen Sauerstoff mehr binden kann. Dieser Effekt wird als Säuglingszyanose oder auch "blue infant syndrome" bezeichnet. Weiterhin kann Nitrit mit anderen Stoffen zu sogenannten Nitrosaminen reagieren, von denen man ausgeht, dass sie krebserregend sind. Gewässerschutz ist also auch Gesundheitsschutz.
Die Qualität des deutschen Grundwassers sei laut EU-Umweltkommissar Karmenu Vella "unter den schlechtesten in der Europäischen Union“ – woran liegt das?
Das liegt daran, dass wir Gebiete haben, in denen sehr viele Tiere gehalten werden, wo entsprechend viel Gülle anfällt und es in diesen Regionen, insbesondere in Niedersachsen, im nördlichen Nordrhein-Westfalen, aber auch in Schleswig-Holstein nicht die Flächen gibt, die Gülle ordnungsgemäß nach guter landwirtschaftlicher Praxis auszubringen. Das heißt, wir haben immer einen Überschuss an Nährstoffen, der in diesen Regionen vorherrscht und deswegen haben wir da auch eine entsprechend hohe Belastung.
Wie wirkt sich die Belastung auf das deutsche Trinkwasser aus?
Ungefähr 70 Prozent des deutschen Trinkwassers kommen aus Grundwasserressourcen, die anderen 30 Prozent verteilen sich auf Uferfiltrat und Trinkwassertalsperren. Die Trinkwasserversorger müssen sicherstellen, dass der Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter eingehalten wird. Das heißt, wo die Trinkwasserversorger Schwierigkeiten haben, diesen Grenzwert einzuhalten, müssen sie sich Methoden überlegen, wie sie den Grenzwert einhalten, indem sie zum Beispiel Rohwasser verwenden, das nicht belastet ist.
Eine technische Aufbereitung von mit Nitrat belastetem Rohwasser ist allerdings die ultima ratio, die bisher praktisch nirgends praktiziert wird. Ein Gutachten unseres Hauses zur Quantifizierung der landwirtschaftlich verursachten Kosten zur Sicherstellung der Trinkwasserversorgung kommt zu dem Ergebnis, dass dies zu deutlichen Preissteigerungen bei den Trinkwasserkunden führen wird, insbesondere in den hoch belasteten Gebieten.
Kann man Leitungswasser noch bedenkenlos trinken?
Das Trinkwasser ist in Deutschland sehr sicher und sehr gut, denn die Trinkwasserversorger müssen die Vorgaben der Trinkwasserverordnung einhalten. Leitungswasser kann man unbedenklich trinken. Es ist eines der bestuntersuchten Lebensmittel überhaupt und wird kontinuierlich überwacht.
Auch die Verwendung von Leitungswasser zur Zubereitung von Babykost ist in Deutschland in der Regel unbedenklich. Die Grenzwerte nach Trinkwasserverordnung müssen durch die Wasserversorger eingehalten werden, sodass grundsätzlich kein Grund zur Sorge besteht. Zu beachten ist aber, dass der Wasserversorger nur bis zum Hausanschluss für die Qualität des Wassers verantwortlich ist. Sollten zum Beispiel im Haus noch alte Bleirohre verbaut sein, so kann eine gesundheitliche Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden.
Nicht nur Nitrat, auch andere unerwünschte Stoffe, wie zum Beispiel Rückstände von Medikamenten sind schon im Trinkwasser gefunden worden. Wird es schwieriger, die Trinkwasserqualität zu gewährleisten?
Ja, das ist richtig. Wir reden hier vor allem von sogenannten Mikroverunreinigungen, also Arzneimitteln, Pestiziden und anderen Chemikalien, die wir in geringen Konzentrationen überall in unseren Gewässern finden. Es ist aber auch so, dass die Methoden zur Bestimmung von bestimmten Stoffen mit zunehmender Zeit auch immer besser werden. Wir können mittlerweile im Nanogrammbereich Stoffe nachweisen, die wir vielleicht vor zehn, zwanzig Jahren noch gar nicht detektieren konnten, weil einfach die Analysemethoden noch nicht so weit entwickelt waren. Dadurch sehen wir jetzt Belastungen, die wir aber vorher rein methodisch noch gar nicht feststellen konnten.
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An wen können sich Verbraucher wenden, um mehr über die Qualität des heimischen Trinkwassers zu erfahren?
In erster Linie an ihren Trinkwasserversorger. Auf nationaler Ebene geben auch wir, das Umweltbundesamt, gerne Auskunft. Wenn es um ganz spezielle lokale Probleme geht – wie ist das Trinkwasser in meinem Brunnen, in meiner Heimatgemeinde - dann müssen sich die Verbraucher direkt an das zuständige Gesundheitsamt wenden, wenn es um die Qualität des Grundwassers geht an die untere Wasserbehörde in ihrem jeweiligen Landkreis oder ihrer Stadt. Auch die Landesumweltämter der Bundesländer können zu regionalen Fragestellungen der Grundwasserbelastung Auskunft geben.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hilliges.