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Kann man noch mit gutem Gewissen Ski fahren? | Klima-Kolumne


Meinung
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Schlechtes Gewissen fährt mit
Das geht gar nicht

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

Aktualisiert am 06.12.2024Lesedauer: 5 Min.
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Skifahrer auf der Piste (Archivbild): Deutsche Mittelgebirge können sich immer weniger auf Schnee verlassen. (Quelle: IMAGO/imago-images-bilder)
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Kann man noch mit gutem Gewissen Ski fahren? Die Frage stellt sich seit ein paar Jahren immer akuter. Unsere Kolumnistin findet: Es ist die falsche Frage.

Die Skisaison ist eröffnet. In Deutschland sind aktuell gut 14,5 von 964 Pistenkilometern befahrbar. Zugleich häufen sich seit einiger Zeit Meldungen, dass Skigebiete wegen des menschengemachten Klimawandels schließen müssen. Bei den meisten liegt es daran, dass sich der Betrieb mit immer weniger Schneetagen wirtschaftlich nicht mehr rentiert.

Meine Familie ist nie in den Winterurlaub gefahren, ich habe Skifahren erst als Teenager mit Freunden ausprobiert. Doch schon damals hatte der Spaß schnell Grenzen. In den ersten Jahren, Mitte der 2000er-Jahre, sind wir von Brandenburg in Wintersportgebiete nach Tschechien gefahren. Doch da gab es bald kaum mehr Schnee. Die Winter wurden zu warm, und wir mussten in höher gelegene Skigebiete nach Österreich ausweichen.

Das hatte für mich damals vor allem einen Haken: Ich habe Höhenangst. Auf die flacheren Berge in Tschechien kam ich meist auch mit Schleppliften, auf die höheren in Österreich, auf denen es noch Schnee gab, oft nur mit Sesselliften oder Gondeln. Ich kam also wegen meiner Höhenangst nicht auf den Berg hinauf – und daher auch nicht hinunter.

Damals war die Entwicklung für mich, meine Freundinnen und Freunde vor allem nervig, auch weil Skiurlaub in Österreich teurer war als in Tschechien. Nach einem Winterurlaub, den ich vorwiegend allein, mit einem Buch, in einer vergleichsweise billigen und damit hässlichen Unterkunft verbracht hatte, blieb ich im nächsten Jahr einfach zu Hause.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise, sodass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

Ernsthafte Sorgen hat sich damals niemand von uns gemacht, auch ich nicht. Obwohl klar war, dass der ausbleibende Schnee irgendwie mit dem Klima zusammenhängt und die Entwicklung nicht besser werden würde. Wir fanden es schade, dass wir irgendwann vermutlich gar nicht mehr Ski fahren könnten. Aber das würde auch schon die schlimmste Auswirkung des menschengemachten Klimawandels auf unser Leben in Nordeuropa sein, vermuteten wir damals.

Dass es dabei nicht blieb, wurde in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen bewusst. Auch, dass die Konsum- und Lebensentscheidungen Einzelner dazu beitragen, die Situation zu verschlimmern. Seit ein paar Jahren kommt – im Freundeskreis und den Medien – daher regelmäßig eine Frage auf: Kann man das überhaupt noch machen? Kann man noch mit gutem Gewissen Ski fahren?

Künstliche Schneepisten in grüner Umgebung

Auf die Frage antwortete der renommierte Alpenforscher Werner Bätzing schon 2018: "Wenn man das gute Gewissen beim Skifahren damit definiert, dass man Naturschneepisten benutzt, dann kann man heute eigentlich nirgends mehr in den Alpen Ski fahren."

Ich verstehe die Frage. Ich habe sie mir in den vergangenen Jahren selbst gestellt, wenn ich auf Social Media Videos sah, wie sich Skifahrende über braune Matschpisten schoben oder künstlich weiße Bahnen in einer sonst grünen Umgebung herunterfuhren. Auf mich wirken die Bilder wie eine Simulation von Normalität in einer aufgeheizten Welt, in der längst nichts mehr normal ist. Dennoch glaube ich mittlerweile, dass uns diese Diskussion von den wirklich wichtigen Fragen ablenkt. Man könnte nämlich auch fragen: Kann man noch mit gutem Gewissen in den Urlaub fliegen? Oder Weihnachtsgeschenke kaufen? Oder Autofahren? Oder ein Haus bauen?

Wenn wir uns die Fakten anschauen, lautet die Antwort auf all diese Fragen recht klar: Nein.

Der EU-Klimawandeldienst Copernicus meldete vor Kurzem, dass 2024 sehr sicher das erste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn sein wird, in dem die Erde durchschnittlich 1,5 Grad wärmer ist als vor der Industrialisierung. Schon die aktuelle Erderhitzung hat dramatische Auswirkungen. 2024 gab es unter anderem vier Hochwasser in Deutschland, verheerende Hurrikans in den USA und eine tödliche Überschwemmungskatastrophe in Spanien. Die Folgen betreffen alle Bereiche unseres Lebens. Lebensmittelpreise, Haustiere und Eigenheime, Sportevents wie die EM in Deutschland und Olympia in Paris oder die mentale Gesundheit. Und dennoch sinken die Emissionen nicht, für dieses Jahr wird ein neuer Höchstwert erwartet.

Was darf man noch mit gutem Gewissen tun?

Alles, was an CO2 ausgestoßen wird, erhitzt unseren Planeten weiter. Mit wirklich gutem Gewissen kann also niemand Emissionen erzeugen, erst recht nicht mit Luxuskonsum wie Urlaubsreisen.

Aber wenn die Antwort auf all diese Fragen, ob ich irgendetwas noch mit gutem Gewissen tun darf, "Nein" lautet, dann ist das die falsche Frage. Ich gebe zu, das würde mein Großonkel beim Weihnachtsessen vermutlich auch antworten, einfach um dem Thema aus dem Weg zu gehen. Wer mich und meine Kolumne kennt, weiß, darum geht es mir nicht – im Gegenteil.

Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich mit dem Auto zum Arzt oder zum Supermarkt fahre, weil ich anders nicht hinkomme, oder ob ich in den Urlaub fliege: Das eine ist Luxus, das andere notwendig, teils sogar überlebensnotwendig. Es gibt Emissionen, die nötiger sind als andere, und es gibt Emissionen, die leichter zu vermeiden sind als andere. Und wer aus seinem Alltag etwas rauszoomt, weiß: Alle Emissionen, die wir verhindern können, müssen wir so gut es geht verhindern. Aus ganz profanem Eigeninteresse. Selbst 70-Jährige haben statistisch eine realistische Chance, 90 Jahre alt zu werden. Und in den kommenden 20 Jahren wird die Erderhitzung unser Leben massiv verändern.

Wintersport ist Luxus

Wintersport ist für die allermeisten Luxus und Privileg. Ich will Skiurlaub trotzdem weder abschaffen noch jemandem verbieten. Für andere, die in den Bergen aufgewachsen sind, gehört es schließlich sogar zur Identität und zum Leben. Einer Bekannten, einer Schweizerin, die früher Skilehrerin war, wurde durch das Verschwinden des Schnees die Dringlichkeit der Klimakrise klar. Sie trauert darum, dass ihre kleine Tochter etwas, womit sie aufgewachsen ist, nicht erleben wird. Zumindest nicht als unbeschwerte Selbstverständlichkeit.

Es stellt sich damit auch die Frage, wer eigentlich noch Ski fahren darf, wenn der Schnee immer knapper wird. Aktuell gibt die Antwort der Preis. Aus dem Breitensport der vergangenen Jahrzehnte ist zunehmend ein Elitenvergnügen geworden. Die Klimakrise macht schon heute vieles teurer und wird es in Zukunft weiter tun: nicht nur den Skiurlaub, auch den Sommerurlaub, Versicherungen, aber auch bestimmte Lebensmittel bis hin zu Trinkwasser.

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Wenn die Antwort auf die Frage, wer sich Dinge noch leisten kann, nicht immer häufiger "diejenigen, die das nötige Geld haben" lauten soll, dann sind die Fragen, die wir uns heute stellen müssen: Was ist uns wirklich wichtig? Wie können wir das so klimaneutral und umweltschonend wie möglich umsetzen? Und was muss sich politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich ändern, damit das überhaupt möglich wird?

Müssen für ein Skigebiet tatsächlich Gletschergipfel gesprengt werden? Muss ich zu bestimmten Orten unbedingt fliegen oder gibt es sogar Möglichkeiten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen? Wie können Restaurants, Unterkünfte und Lifte mit Ökostrom betrieben werden? Was kommt nach der Abfahrt auf den Teller? Auch Ski-Profis forderten 2023 mehr Klimaschutz von ihrem Weltverband.

Wenn für Skiorte Klimaschutz im Vordergrund stünde, würde ich vielleicht sogar mal wieder mit auf eine Skihütte fahren, tagsüber lesen und wandern, und abends mit Freundinnen andere Fragen diskutieren, die viel mehr Gewicht haben. Etwa: Können Regierungen noch mit gutem Gewissen den Ausbau erneuerbarer Energien blockieren? Diesel und Dienstwagen subventionieren? Fabriken für Verbrennungsmotoren retten? Und wie können wir dazu beitragen, dass das endet? Es könnte ein spannender Winterurlaub werden.

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