Flutkatastrophe in Spanien Das ist gedanken- und gefühllos
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Hitzewellen, Überschwemmungen und Stürme suchen Mittelmeerländer wie Spanien mittlerweile regelmäßig heim. In Deutschland scheint viele vor allem zu interessieren, was das für ihren nächsten Urlaub bedeutet. Das ist nicht nur zynisch, sondern auch kurzsichtig.
Ich fahre im Sommer nicht mehr gern ins Ausland. Zu groß ist meine Sorge, in ein Extremwetter zu geraten. Darüber habe ich vor Kurzem schon geschrieben. Darum wollte ich dieses Jahr im Herbst ein paar Wochen bei Bekannten in Spanien verbringen – in der Nähe von Valencia. Nicht weit von der Region entfernt, die jetzt verheerend überschwemmt wurde.
Da ich mich bemühe, nicht zu fliegen, buchte ich Zugtickets. Von Berlin aus kommt man über Lyon und Barcelona in zwei Reisetagen nach Valencia, wenn alle Verbindungen klappen. Ein paar Tage vor meiner Abfahrt Mitte Oktober überschwemmte Starkregen die Region südlich von Lyon. Noch als ich losfuhr, war ich nicht sicher, ob ich von dort aus mit dem Zug weiter in den Süden kommen würde.
Wird es am Mittelmeer zu gefährlich?
Ich hatte Glück, alle Strecken waren befahrbar. In der Nähe von Valencia kam ich sicher an. Als Freundinnen und Verwandte sich bei mir an diesem Mittwochmorgen nach den ersten Meldungen über die Folgen des Unwetters in Spanien erkundigten, ob alles okay sei, beschwichtigte ich sie. Seit Samstag regnete es zwar fast durchgehend, aber das Bergdorf, in dem ich urlaube, ist bisher vom Starkregen verschont geblieben. Der Regen ist in dieser Jahreszeit auch nicht untypisch für die Region.
Erst danach verfolgte ich selbst die Nachrichten. Die Entwicklungen waren alles andere als normal. Im Laufe des Mittwochs stieg die Zahl der Menschen, die allein in der Region Valencia ums Leben kamen, von 13 auf mehr als 90. Noch immer werden viele Menschen vermisst. Der spanische Wetterdienst Aemet sprach von einem "historischen Unwetter". Demzufolge fielen an einigen Orten mehr als 500 Liter Regen pro Quadratmeter innerhalb eines Tages, so viel wie sonst in einem Jahr.
Zur Person
Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise, sodass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom Medium Magazin zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.
Viele – auch ich – stellen sich nun die Frage: Sind Mittelmeerländer wie Spanien, aber auch Italien oder Griechenland in Zukunft überhaupt noch sichere Reiseziele, wenn es im Sommer zu heiß wird und im Herbst und Frühjahr Stürme und Überschwemmungen drohen?
20.000 Menschen vor Bränden gerettet
Manche Medien schreiben nun allerdings, dass wir demnächst ja einfach nach Nordeuropa in den Urlaub fahren könnten, wenn es im Süden zu ungemütlich wird. Der Gedanke strotzt nur so vor Privilegien und Kurzsichtigkeit. Würde ähnlich gedanken- und gefühllos über ein feministisches oder migrantisches Thema geschrieben, wäre ein Shitstorm garantiert. Aber geht es um die Klimakrise, dann kann man so etwas offenbar ohne viel Gegenwind veröffentlichen.
Als im Juli 2023 fast 20.000 Menschen wegen schwerer Brände auf Rhodos gerettet werden mussten, waren die Beiträge dazu ähnlich verkürzt. Die Feuer seien eine Katastrophe für den Tourismus, hieß es. Einerseits für die Urlaubenden, deren Ferien zerstört wurden. Andererseits für die Einheimischen, die wirtschaftlich zum großen Teil vom Tourismus abhängen.
Es wurde diskutiert, ob die Geschädigten im darauffolgenden Jahr als Ersatz erneut nach Griechenland fliegen und ihren Urlaub kostenlos nachholen könnten. Und es wurde der Frage nachgegangen, ob Ferienregionen am Mittelmeer künftig mit Umsatzeinbußen rechnen müssten, wenn Touristinnen und Touristen fernblieben. All das stimmt. Aber die wirklich wichtigen Punkte, über die wir dringend auch sprechen müssen, fehlten.
Wo sollen sie hin?
Kein Wort darüber, dass Flugreisen dazu beitragen, die Situation weiter zu verschärfen. Dass sie ein Luxus sind, der nicht auf dem jetzigen Level aufrechterhalten werden kann, wenn wir die Emissionen senken, die Erderhitzung begrenzen und unsere Lebensgrundlagen – und gern auch erholsame Sommerurlaube – erhalten wollen.
Kein Wort darüber, dass die Einheimischen in den sogenannten Urlaubsländern mehr sind als Dienstleistende mit Wirtschaftsinteressen. Dass sie dort leben und das auch weiterhin tun wollen oder müssen. Wo sollen sie hin, wenn es brennt, ihre Ernten verdorren oder ihre Häuser überschwemmt werden?
Kein Wort wurde in den Beiträgen über alternative Urlaubsziele für Deutsche darüber verloren, dass es auch im vermeintlich sicheren Nordeuropa in den vergangenen Jahren gefährliche Extremwetter gab – und dass auch diese in den kommenden Jahren tendenziell zunehmen werden.
Ich verstehe das Bedürfnis
Im August 2023 hatten Überschwemmungen im Süden von Norwegen etwa zu zahlreichen Erdrutschen geführt, Hunderte Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden. Auch aktuell hat unter anderem das Norwegische Meteorologische Institut eine Warnung vor extrem starkem Regen herausgegeben. Ab der Nacht zu Donnerstag gibt es ein hohes Risiko für Erdrutsche und Schlammlawinen in großen Gebieten in Süd- und Westnorwegen.
Ich verstehe das Bedürfnis, Urlaub zu machen, einfach mal abschalten und etwas anderes sehen zu wollen, eine unbekannte Landschaft und Region kennenzulernen. Ich habe es ja selbst. Aber das wird in Zukunft immer schwerer, auch weil zu viele die Zusammenhänge der Klimakrise im Alltag ausblenden. Und für viele Menschen wird es noch innerhalb dieses Jahrhunderts wohl unmöglich.
Anstatt die Extremwetter, die in immer kürzeren Abständen Europa heimsuchen, als neues Normal hinzunehmen, sollte darin ein Weckruf gesehen werden: endlich mehr gegen die Klimakrise und ihre Folgen zu tun.