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Europawahl: Grüne verlieren – "Generation Fridays for Future" gab es nie


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Trendwende bei der EU-Wahl
Es hat sie nie gegeben

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

Aktualisiert am 14.06.2024Lesedauer: 5 Min.
Die Klimaschutzaktivistinnen Luisa Neubauer (l.Vergrößern des Bildes
Greta Thunberg mit der deutschen Klimaaktivistin Luisa Neubauer (Archivbild): Wie wichtig ist den jungen Menschen das Klima? (Quelle: Oliver Berg/dpa)
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Die Grünen haben bei der Europawahl unter jungen Wählern massiv verloren – zweitstärkste Partei unter den 16- bis 24-Jährigen wurde die AfD. Ist jungen Menschen Klimaschutz nicht mehr wichtig?

2019 ging eine Welle an Jugendprotesten um die Welt, für Klimaschutz und Gerechtigkeit. Die streikenden Schülerinnen und Schüler hoben damals auch überraschend viele Grüne ins Europaparlament. In Deutschland verdoppelte die frühere Öko-Randpartei ihren Stimmanteil von 10 auf 20 Prozent. Unter jungen Wählern und Wählerinnen machte mehr als jeder Dritte sein Kreuz bei der Partei, der viele damals am ehesten konsequenten Klimaschutz und Veränderung zutrauten.

Fünf Jahre, eine Pandemie, eine Ampelregierung, zwei prominente Kriege und eine massiv erstarkte Social-Media-Plattform (TikTok) später ist die Situation offenbar eine völlig andere. In der jungen Wählerschaft holten die Grünen bei der Europawahl 2024 11 Prozent und sind damit nur noch die drittstärkste Kraft. Die beiden erfolgreichsten Parteien unter 16- bis 24-Jährigen sind konservativ und rechtspopulistisch bis rechtsextrem: Die CDU schaffte es auf 17 Prozent, die AfD auf 16 Prozent der Stimmen. Was ist aus der "Generation Fridays for Future" geworden?

Die ehrliche Antwort: Es hat sie nie gegeben.

Das soll Fridays for Future nicht kleinreden. Sie war und bleibt die größte Jugendbewegung der vergangenen Jahre. Am 20. September 2019 gingen weltweit vier Millionen Menschen im Rahmen der Demonstrationen von Fridays for Future auf die Straßen, allein in Deutschland protestierten 1,4 Millionen Menschen. In der gesamten Streikwoche waren es insgesamt rund 7,6 Millionen Menschen in 185 Ländern. Hätte es sie nicht gegeben, wären Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beim Klimaschutz nicht ansatzweise da, wo wir heute sind.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann.
In ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. 2022 wurde sie vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt. Hier geht es zum Autorinnen-Profil.

Dennoch: Die viel beschworene, klimabewusste junge Generation gab es so nie. Wie in allen anderen Altersgruppen gibt es auch unter jungen Menschen ein unterschiedlich stark ausgeprägtes Bewusstsein für die Dringlichkeit der Klimakrise. Eine repräsentative Studie der Allianz etwa hat untersucht, wie viel Menschen in unterschiedlichen Ländern über die Klimakrise wissen. Die Climate Literacy Survey genannte Studie erschien im Oktober 2021 und zeigte, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung detailliert über die Klimakrise Bescheid weiß. Die meisten Befragten lebten offenbar noch immer im Klima-Niemandsland, schrieben die Autorinnen und Autoren der Studie damals. Und das zwei Jahre nach der Protestwelle und der letzten Europawahl.

Klimawissen: Lücke zwischen Jung und Alt gab es nie

Sowohl das Ausmaß der nötigen Maßnahmen werde massiv unterschätzt als auch die Geschwindigkeit, mit der diese umgesetzt werden müssen. In Deutschland waren es laut Umfrage 2021 16,4 Prozent, denen die Dringlichkeit der Situation klar ist – was sich bei der damaligen Bundestagswahl in etwa mit den Stimmen für die Parteien deckte, die ambitionierte Klimaprogramme vorgelegt hatten: die Grünen und die Linken.

Was die Studie auch zeigt: Die angebliche Lücke beim Klimawissen zwischen den Jungen und den Älteren gab es nicht. In den untersuchten Ländern Frankreich, Italien, Großbritannien und den USA hatten mehr Boomer (16,3 Prozent), also jene, die in den 50er- und 60er-Jahren geboren wurden, ein hohes Level an Klimaverständnis als junge Menschen (11,5 Prozent). Nur in Deutschland ergab sich ein anderes Bild: Jüngere Generationen lagen hier etwas vor den Boomern. Aber weder Ältere noch Junge garantieren automatisch mehr Faktenwissen, noch schützt es sie davor, eine bedrohliche Realität zu verdrängen.

Ältere etwas handlungsbereiter

Aktuell untersucht die sogenannte Planetary Health Action Survey (PACE) solche Zusammenhänge für Deutschland. PACE ist ein groß angelegtes Forschungsprojekt unter der Leitung der Universität Erfurt, das seit 2022 fortlaufend Wissen, Risikowahrnehmung, Vertrauen, Einstellungen und Verhalten in der Klimakrise misst. Das Forschungsteam kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Insgesamt sind die Unterschiede diesbezüglich zwischen den unterschiedlichen Altersgruppen gering.

Wer genauer hinschaut, sieht sogar, dass ältere Personen eine etwas höhere Handlungsbereitschaft und mehr klimafreundliches Verhalten zeigen. Jüngere Menschen hingegen äußern eine höhere Bereitschaft, sich politisch für Klimaschutz einzusetzen. Und: "Personen mit einer eher niedrigen Handlungsbereitschaft sind tendenziell jünger, männlich, haben eine kürzere Schulbildung oder befinden sich in kleineren Städten oder Gemeinden."

Klimakrise – ein generationenübergreifendes Phänomen

38 Prozent der Befragten geben an, sich zu unterschiedlichen Punkten in Bezug auf die Klimakrise sehr starke Sorgen zu machen. Dass die Gesellschaft egoistischer wird, die Klimaziele nicht eingehalten werden, die Wirtschaft langfristig Schaden nimmt. Und dass jemand, den sie lieben, oder sie selbst von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sein wird.

Angesichts dessen, wo wir in der Klimakrise stehen, sollten es rational betrachtet sehr viel mehr sein. Denn auch Menschen, die heute 70 sind, haben Chancen, 90 Jahre alt zu werden – und in den kommenden 20 Jahren wird sich die Welt und unsere Lebensrealität massiv verändern. Drei Hochwasser in den vergangenen sechs Monaten machen klar: Die Folgen der Klimakrise treffen längst nicht nur die jungen Generationen. Aber sie treffen sie noch mal deutlich härter.

Klimaschutz ist nicht weniger wichtig geworden

Gleichzeitig bedeutet das schlechtere Abschneiden der Grünen nicht, dass Klimaschutz für junge Menschen plötzlich weniger wichtig wäre. Viele der jungen Wähler und Wählerinnen, die 2019 hoffnungsvoll ihr Kreuz bei den Grünen gesetzt haben, sind 2024 enttäuscht. In der Ampelregierung im Bund musste die Partei mit der größten Klimakompetenz viele Kompromisse eingehen, auch um überhaupt Vorhaben durchzubekommen. Doch da die Physik keine Kompromisse macht, ist das für viele klimabewusste Jungwähler nicht zu akzeptieren.

In der vergangenen Legislaturperiode des EU-Parlaments hatte die Europapartei Volt am konsequentesten für Klima- und Umweltvorhaben abgestimmt und in ihrer Kampagne massiv in Unistädten geworben. Am Sonntag gaben 9 Prozent der 16- bis 24-Jährigen der Partei ihre Stimme. Die Linke kam in der jungen Wählerschaft auf 7 Prozent, sie hatte offensiv mit einer der Galionsfiguren der deutschen Klimabewegung und der Seenotrettung geworben: Carola Rackete. Die parteilose Ökologin und Kapitänin wird nun für die Linkspartei in das EU-Parlament einziehen.

Klimakrise auf Platz zwei der Sorgen

Ohne den Erfolg der AfD kleinreden oder relativieren zu wollen: Die Mehrheit der jungen Menschen hat linke und progressive Parteien gewählt, viele gaben Kleinstparteien ihre Stimme. Die junge Generation scheint damit deutlich diverser, aber ähnlich polarisiert zu sein wie die ältere.

Laut einer Umfrage von Infratest Dimap für die ARD gaben im Zuge der Wahlen zwar 11 Prozent weniger als im Jahr 2019 an, dass sie sich große Sorgen machen, dass der Klimawandel unsere Lebensgrundlagen zerstört. Mit 66 Prozent Zustimmung landete die Klimakrise in Deutschland aber noch immer auf Platz zwei der größten Sorgen der Wählerschaft. Mit den Krisen der vergangenen Jahre sind weitere Ängste und Unsicherheiten hinzugekommen.

Klima weiterhin wichtig

Anders, als es viele Prophezeiungen vor und Schnellschuss-Analysen nach dem Wahlabend nahelegen, bestätigt die aktuelle Sinus-Jugendstudie, dass sich auch junge Menschen – trotz der Unterschiede in Wissen und Bewusstsein – insgesamt weiter um die Klimakrise sorgen. Nur machen sie sich auch Gedanken um Kriege, Diskriminierung und Rassismus in Deutschland. Das liest man auch in Interviews mit jungen Menschen und Expertinnen, die seit dem Wahlabend geführt wurden.

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Klima ist demnach weiterhin wichtig, überlagert aber nicht (mehr) alles andere. Bei einigen wohl auch, weil die Enttäuschung groß ist, dass die Protest- und Bewusstwerdungswelle von 2019 die Wahlerfolge der Grünen und Wahlversprechen der anderen Parteien nicht mehr verändert haben. Und weil nach der Pandemie das Vertrauen gering ist, dass die etablierten Parteien die Sorgen der Jungen ernst nehmen und die zugrundeliegenden Probleme konsequent angehen. Die Beschränkungen hatten junge Menschen besonders hart getroffen, Schülerinnen und Schüler aber kaum geschützt.

Junge Menschen seien angesichts der multiplen Krisen auf der Suche nach Sicherheit, Geborgenheit und Halt, heißt es in der Sinus-Studie. Auch wenn die AfD am konsequentesten die junge Wählerschaft direkt angesprochen hat, ernsthafte Lösungen werden sie dort faktisch nicht finden. Bei den etablierten Parteien sehen sie diese derzeit aber auch nicht. Das muss und darf nicht so bleiben. In 15 Monaten ist die nächste Bundestagswahl.

Verwendete Quellen
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