Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.AfD-Erfolg bei Jugendlichen Das ist keine Protestwahl mehr
Bei der Europawahl haben viele junge Menschen die AfD gewählt. Unser Kolumnist, Lehrer Bob Blume, hat eine eindeutige Erklärung für diesen Erfolg und das Versagen der anderen Parteien.
Kurz nach der Europawahl geht es in vielen Parteien darum, Wunden zu lecken und mit den Analysen zu beginnen. Gerade im Hinblick auf junge Wähler wird es nicht reichen, auf lustige TikTok-Videos zu setzen. Es braucht eine Idee davon, wie Politik junge Leute erreicht, mitnimmt und einbindet. Sonst verlieren wir die Kinder.
Zur Person
Bob Blume ist Lehrer, Blogger und Podcaster. Er schreibt Bücher zur Bildung im 21. Jahrhundert und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. In seiner Kolumne für t-online kommentiert er aktuelle Bildungsthemen mit spitzer Feder. Man findet Blume auch auf Twitter und auf Instagram, wo ihm mehr als 100.000 Menschen folgen. Sein Buch "10 Dinge, die ich an der Schule hasse" ist im Handel erhältlich.
Hier geht's zu Blumes Instagram-Auftritt.
Beginnen wir nach dem gestrigen Wahlabend, der für einige demokratische Parteien verheerend ausging. Wir müssen den Finger in die Wunde legen – zumindest was Politik für junge Leute angeht. Wer erinnert sich an eine politische Idee, die die Jugend ins Zentrum gestellt hat? Ich maße mir nicht an, alle Aussagen aller Parteien zur Europawahl zu kennen. Aber ich erinnere mich an keine, die sich explizit an junge Menschen gerichtet hätte.
Klar, es wurden inflationär Allgemeinplätze zur Demokratie an jeden Fahnenmast gehängt, aber eine Staatsform ist kein Politikangebot, wenn man in seiner Schule aus Ekel vor Gerüchen und Schmutz nicht auf die Toilette gehen kann. Und etwas zynisch könnte man auch sagen: Die höchste Wahlbeteiligung seit der Wiedervereinigung bei einer Europawahl (mit 64,8 Prozent) ist ein glorreicher Sieg für die Demokratie. Der Grund, warum demokratische Kräfte dies nicht tun, ist offensichtlich:
Man soll zwar demokratisch wählen, aber dann bitte nicht das Falsche. Das ist, gerade für Jugendliche und junge Erwachsene, kein Angebot, sondern moralisierendes, paternalistisches Gebrabbel.
Botschaften der AfD kommen leider an
Nun ist es nicht so, dass die AfD ein Angebot für Kinder und Jugendliche hätte, das sich in Realpolitik umsetzen ließe. Aber sie hatte und hat Angebote, die tatsächlich als Alternative wahrgenommen werden. Und bevor darüber gesprochen wird, welche das sind: Es geht hier nicht um eine Relativierung der AfD, im Gegenteil. Die Zeiten der Protestwahl sind vorbei. Nein, es geht um das schmerzende Eingeständnis, dass die Botschaften der AfD ankommen. Überall. Und auch bei der Generation, die die Zukunft in der Hand haben wird.
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Die Angebote der AfD an junge Leute ähneln jenen von rechtsextremen Jugendorganisationen auf dem Dorf, nur dass das Dorf eben TikTok ist, also enorm viele Menschen erreicht. Das erste Angebot ist: Wir nehmen euch ernst! Da können alle anderen noch so sehr darauf hinweisen, wie unmoralisch Maximilian Krah (AfD) handelt. Oder wie treudoof er vor der Kamera steht und meint, dass "echte Männer rechts" seien. Er macht sich zum Affen, ja. Aber er – und andere – nehmen die Realität der Jugendlichen ernst.
Das ist das zweite Angebot. Die Botschaften der etablierten Parteien waren im Europawahlkampf an und gegen sich selbst gerichtet. Oder gegen die AfD. Aber aus einem selbstreferenziellen Hin und Her ergibt sich kein Angebot. Die AfD hingegen spricht gar nicht über schwer verständliche politische Strukturen. Sie spricht über Essen. Oder Natur. Oder darüber, wie man eine Freundin findet. Das ist das zweite Angebot. Erst kommt die Lebensnähe und damit die Reichweite, dann die Radikalität. Das dritte Angebot ist einfach erklärt: die einfache Botschaft. Der radikale Kalenderspruch, eingepackt in markige Verse: "Sei schlau, wähl blau."
Wo sind die einfachen Slogans der anderen?
Man kann wohl jeden jungen Menschen, egal ob er oder sie die AfD gewählt hat oder nicht, danach fragen, was die Kernbotschaft der AfD ist. Letztlich wird in etwa die rechtsnationale Version des viel thematisierten Liedes "L'amour toujours" herauskommen. Aber was ist die Botschaft der SPD, der Grünen, der FDP, der Union? In einem Kalenderspruch für Jugendliche?
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Wahlen werden nicht mit Kalendersprüchen gewonnen. Sie werden gewonnen, wenn ein konkretes Angebot an den Wähler gemacht wird. Und wenn dieses konkrete Angebot einen intellektuellen Unterbau hat, also zu einer Vision abstrahiert werden kann, dann kann es in einem nächsten Schritt konkret gemacht werden. Die "neue Rechte" und all ihre Ableger haben diese Vision. Eine reaktionäre, rassistische und gerade wie bei der AfD auch eine chauvinistische Vision. Aber es geht nicht um die Frage, ob einem die Vision gefällt, sondern ob man selbst eine hat.
Jugend braucht Investitionen
Der moralische Zeigefinger jedenfalls hat offensichtlich genauso wenig gebracht wie der Versuch, populistische Aussagen ein wenig abgeschwächt zu übernehmen. Und auch nicht, ein, zwei Monate vor der Wahl auch mal ein TikTok-Video auszuprobieren.
Es braucht eine Idee davon, was Politik leisten möchte. Und zwar gerade in Bezug auf die Jugend, die in so gut wie jedem Diskurs genauso ausgespart wird wie Schulen oder Bildung. Eine Idee könnte sein, anzuerkennen, dass Bildung das Einzige ist, was Deutschland hat. Und dass wir es uns nicht leisten können, die Kinder zu verlieren – weder an soziale Netzwerke noch an antidemokratische Parteien. Aus dieser Erkenntnis könnte folgen, dass es ohne massive Investitionen nicht gehen wird. Also ja, die schwarze Null schadet vor allem unserem Nachwuchs. Und dann könnte man sich überlegen, wie man die Idee und die Umsetzung als Angebot an die jungen Leute formuliert.
Es ist nicht mehr kurz vor 12, die Zeit ist vielmehr abgelaufen. Wir verlieren das Wichtigste, was wir haben – die jungen Leute – an Ideen aus dem letzten Jahrhundert, weil wir es selbst nicht schaffen, in diesem Jahrhundert anzukommen. Das ist die Realität, der sich jeder stellen muss, der sich fragt, was nun geschehen müsste.
- Eigene Meinung