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Waldsterben in Deutschland: So schlimm steht es um unsere Wälder


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Sorge um den deutschen Wald
Ich war entsetzt

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

Aktualisiert am 24.05.2024Lesedauer: 6 Min.
Waldsterben im Harz: Deutschlandweit geht es den Bäumen schlecht.Vergrößern des Bildes
Waldsterben im Harz: Deutschlandweit geht es den Bäumen schlecht. (Quelle: Jens Schlueter/getty-images-bilder)
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Zehntausende demonstrierten Anfang der 1980er-Jahre gegen das Waldsterben und stoppten es so. Jetzt stirbt der Wald wieder. Diesmal allerdings ohne Demonstrationen.

Ein Drittel Deutschlands ist mit Wald bedeckt, und bis vor ein paar Jahren nahm ich an, dass das auch bis zu meiner Rente in etwa so bleiben würde. Vom Waldsterben in den 1980ern hatte ich natürlich gehört, aber das war ja gebannt worden. Dass durch die Hitze und Dürre 2018 ein neues Waldsterben einsetzte, erschreckte mich damals zwar. Es erschütterte mich aber nicht grundsätzlich. Erst nach und nach begriff ich in den vergangenen Jahren, wie akut die neue Welle wirklich ist.

Die Waldzustandserhebung des Landwirtschaftsministeriums bestätigt auch in diesem Jahr: Die Situation ist extrem ernst. Zwar haben sich die Bedingungen zuletzt etwas verbessert, die Wälder jedoch konnten sich vom Klimastress der vergangenen Jahre nicht erholen. Nur 20 Prozent der Bäume hatten im Jahr 2023 volle und gesunde Kronen. Auch wenn sich die Situation im Vergleich zu den Vorjahren nicht wesentlich verschlechtert hat, ist das der niedrigste Wert seit Beginn der Untersuchungen 1984.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann.
In ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. 2022 wurde sie vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt. Hier geht es zum Autorinnen-Profil.

Zum ersten Mal konkreter wurde das Waldsterben für mich, als ich im Frühjahr 2020 für einen Wanderurlaub in den Harz fuhr. Riesige Teile der Wälder waren zerstört, offenbar umgeknickt vom Sturm, abgestorben, grau und braun. Ich war entsetzt. Viele Wanderwege waren gesperrt, weil umgestürzte Bäume die Wege versperrten, aber auch weil Steinschlag drohte. Die abgestorbenen Wurzeln können die Steine und das Geröll am Berg nicht mehr halten. Lösen die Steine sich und rollen ins Tal, können sie Wandernde gefährden. Ich fragte mich: Wie kann das sein? Wenn die Auswirkungen so massiv sind, warum gibt es keine viel größere öffentliche Debatte? Und warum demonstrieren zumindest die Menschen aus den betroffenen Regionen nicht längst wieder auf der Straße?

Als ich nach Antworten auf meine Fragen suchte, fand ich Berichte über Borkenkäfer und Sturmschäden und die Erklärung, dass vor allem von Menschen angepflanzte Fichtenwälder abstürben. Mittlerweile ist klar, dass die Klimaveränderungen nicht nur Nadelforste hart treffen, auch heimische Laubbäume wie Buchen und Eichen leiden. Das Wort Klima kam damals in vielen Beiträgen gar nicht vor. Der Einfluss der Erderhitzung wurde nicht erwähnt.

Diese Wälder haben Stürmen und Schädlingen jahrzehntelang getrotzt. Dass sie plötzlich umgemäht werden wie Spielzeugfiguren und dass Käfer sich schlagartig verbreiten, ist nur möglich, weil die Bäume durch Hitze und Dürre geschwächt sind.

Schon im Bericht zur Waldzustandserhebung 2020 hieß es: "Die Auswirkungen des Klimawandels spüren wir mit aller Härte." Noch nie seit Beginn der Erhebungen seien so viele Bäume abgestorben wie in dem Jahr. Die Lage hat sich seitdem nicht wesentlich verbessert. Wegen der massiven Schäden müssen in Deutschland nach Schätzung von Fachleuten rund 500.000 Hektar Waldfläche in den nächsten Jahren wiederbewaldet werden – eine Fläche, doppelt so groß wie das Saarland. Der Wald ist kränker als in den 1980ern, als Bürgerinnen und Bürger mit großen Protesten dafür sorgten, dass die Ursachen politisch angegangen und behoben wurden.

Es sei wichtig, "unsere Wälder durch Waldumbau anzupassen und klimastabiler zu machen", schreibt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) im Vorwort des aktuellen Waldberichts. Auch weil wir sie als CO2-Senken brauchen, die Kohlenstoff aus der Luft ziehen und binden. Beides hat Grenzen.

2022 war ich mit Wald- und Forstexperten in Bayern unterwegs, um Beispiele für einen erfolgreichen Waldumbau anzuschauen. Mehrere Tage diskutierten Fachleute dort, wie Wälder "klimastabil" umgebaut werden könnten. In der Gegend gab es bereits unterschiedliche Flächen, auf denen junge Laubbäume zwischen alten Nadelbäumen wuchsen. Am Tag vor der Exkursion hatten die örtlichen Forstwirte und Waldschützer noch Wege geräumt, damit die Gruppe diese besichtigen konnte. Tags darauf waren bei der Besichtigung einige dieser neuen Laubbäume tot, andere schwer angeschlagen.

Bäume werfen ganze Äste ab

Es war der dritte Tag einer Hitzewelle. Und für Bäume sind nicht nur die Durchschnittstemperaturen relevant, sondern auch die Extreme. Wasser und Nährstoffe werden durch einen Sog durch die Leitungssysteme der Bäume transportiert. Weil Feuchtigkeit über kleine Öffnungen in den Blättern verdunstet, wird frisches Wasser über die Wurzeln aus dem Boden in die Krone gezogen. Ist es zu lange zu trocken und zu heiß, kann dieser Mechanismus im schlimmsten Fall zusammenbrechen.

Bevor das passiert, haben Bäume normalerweise aber Schutzmechanismen. Sie werfen etwa ihre Blätter und Früchte ab. Seitdem ich davon weiß, fällt es mir immer wieder auf. Im April 2022 etwa war ich für ein paar Tage in Mainz. Als ich dort am Rhein entlang joggte, raschelte gelbes Laub unter meinen Füßen, ganz so, als wäre es schon Herbst. Die Effekte sind aber schon länger messbar: Untersuchungen zufolge hatten im Hitze- und Dürrejahr 2003 Buchen schon im August knapp ein Drittel ihres gesamten Laubes abgeworfen.

Einige Arten wie Buchen, Eichen, Pappeln und Weiden werfen im Notfall sogar ganze Äste ab. Ein Schutzmechanismus, der sowohl im Wald als auch in der Stadt für Menschen zur Gefahr werden kann.

Als Reaktion auf Trockenheit verändert sich auch das Wachstum von Bäumen. Sie bilden etwa neue Wurzeln aus, um besser Wasser aufnehmen zu können – oder treiben manchmal in letzter Verzweiflung Blätterbüschel, ohne Äste, direkt aus dem Stamm. Anderen mag der Anblick als kurios auffallen, mich macht er traurig. Ein paar Jahre Trockenheit können Bäume verkraften, aber danach nimmt die Sterblichkeit deutlich zu.

Dürreschäden wirken sich auch im Folgejahr noch auf die Bäume aus, weil sie durch die verkürzte Vegetationszeit keine Reserven bilden können. Sie haben kürzere Triebe, weniger Blätter, und auch die feinen Wurzeln sind oft geschädigt. All das macht sie anfälliger für Schädlinge, Krankheiten und extreme Witterungen, etwa: zu viel Regen.

Auch ein Zuviel an Wasser, wie wir es in diesem Jahr erleben, kann Bäumen schaden. Staut sich die Nässe im Boden, können Wurzeln abfaulen – die später wiederum fehlen, um an Wasser aus tieferen Bodenschichten zu gelangen.

Es ist absolut möglich und nötig, Flächen zu renaturieren, ökologisch aufzuwerten und die Artenvielfalt aktiv zu stärken. Einen neuen Wald zu schaffen, der nachhaltig CO2 speichert, ist allerdings komplizierter, als es klingt. Alte Bäume speichern ein Vielfaches der Menge, die junge Setzlinge oder Bäume aufnehmen können.

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Video | Klimaforscher beantwortet Fragen der t-online-Leser
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Quelle: t-online

Außerdem sind Wälder nicht einfach eine Ansammlung von Bäumen, die nebeneinander gepflanzt wurden, sie sind Ökosysteme mit komplexen Beziehungen und Interaktionen. Erhitzt sich die Erde immer schneller, können sich diese Ökosysteme nicht ausreichend anpassen und sterben ab. Aus einer CO2-Senke wird so schlagartig eine CO2-Quelle. Das Gleiche passiert, wenn die Wälder abbrennen, was durch Hitze und Dürre wahrscheinlicher wird. Im Westen der USA haben in den vergangenen Jahren schon Wälder gebrannt, die extra gepflanzt wurden, um Emissionen auszugleichen.

Versuchte ich mir früher mein Leben als Rentnerin vorzustellen, hatte ich ein Bild vor Augen: Ich sah mich mit Mitte 60 an meinem Geburtstag eine ausgedehnte Fahrradtour mit meiner Familie machen. In einer der Pausen aßen wir Apfelkuchen unter einem alten Baum. Erst vor ein paar Jahren ging mir auf, dass dieser scheinbar einfache Wunsch so wohl nicht in Erfüllung gehen wird.

Ich habe im Hochsommer Geburtstag. Nach dem, was man heute weiß, wird es 2050 in vielen Sommern wochenlang so heiß sein, dass man auch in Deutschland tagsüber kaum das Haus verlassen möchte, zumindest nicht, um Sport zu machen oder Fahrrad zu fahren. Und selbst wenn wir einen Sommer und an meinem Geburtstag einen Tag erwischen sollten, an dem das möglich sein wird, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass wir unter einem alten Baum Rast machen und Apfelkuchen essen können.

2050 könnte es Regionen in Deutschland ohne Bäume geben

Denn Studien zufolge wird es 2050 Regionen in Deutschland geben, in denen es dann keine alten Bäume mehr gibt, etwa in Brandenburg, wo ich herkomme. Mit dem immer schnelleren Anstieg der globalen Erwärmung werden sich die Lebensbedingungen für Ökosysteme drastisch verändern, so schnell, dass viele Pflanzen und Tiere sich nicht anpassen können, sondern sterben – was schon in den vergangenen Jahren zu beobachten war.

Auch Apfelbaumplantagen, etwa im Alten Land bei Hamburg, haben teilweise schon heute massive Probleme: zu viel Regen oder zu wenig, neue Schädlinge, kaputt gefrorene Knospen oder Hagelschäden. Apfelbauern können sich ein Stück weit anpassen und andere Sorten pflanzen, die besser mit den geänderten Bedingungen zurechtkommen. Wenn die Temperaturen aber so schnell weiter steigen wie befürchtet, wird es schwierig, das alle paar Jahre zu tun.

Ein klimastabiler Wald ist zwar möglich, er bräuchte aber vor allem eins: ein stabiles Klima. Und um die Erderhitzung abzubremsen, braucht es genug Menschen, die genau das einfordern und umsetzen.

Verwendete Quellen
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