Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tödliche Hitzewellen in Pakistan 2070? Das wird zu spät sein

In Pakistan war es Mitte April so heiß wie sonst nur im Death Valley – und das ist kein Zufall. Hitzewellen wie diese kommen nicht nur früher, sie werden auch tödlicher. Der menschliche Körper hat klare Grenzen – und die sind schneller erreicht, als wir denken.
49 Grad wurden Mitte April in der pakistanischen Provinz Belutschistan gemessen – normalerweise liegen die Höchsttemperaturen zu dieser Jahreszeit bei 23 Grad. In Indien stiegen die Temperaturen in den vergangenen Tagen auf bis zu 44 Grad, auffallend früh im Jahr.
Dass das Thermometer in Indien und Pakistan mehr als 40 Grad anzeigt, ist nicht ungewöhnlich. Aber der menschengemachte Klimawandel treibt die Temperaturen immer weiter in die Höhe. Hitzewellen kommen früher und häufiger, sie bleiben länger – und sie sind lebensbedrohlich.
Im vergangenen Jahr erlebte Indien die längste Hitzewelle, die jemals gemessen wurde. 24 Tage am Stück stiegen die Temperaturen in vielen Regionen auf 45 bis 50 Grad. In dieser Periode wurden offiziell 142 Hitzetote registriert, zudem gab es schätzungsweise 40.000 Fälle von Hitzschlag.
Viele hitzebedingte Todesfälle bleiben unerkannt
Die tatsächlichen Zahlen dürften deutlich höher liegen. Einschätzungen von Forschenden der Berkeley-Universität zufolge führt ein einziger Tag einer landesweiten Hitzewelle in Indien "zu schätzungsweise 3.400 zusätzlichen Todesfällen". Dauert eine Hitzewelle fünf Tage an, bedeute das etwa 30.000 zusätzliche Tote. Viele hitzebedingte Todesfälle blieben als solche unerkannt. Ärzte vermerkten auf den Totenscheinen oft nur die unmittelbare medizinische Ursache, ohne die Rolle der Hitze als Auslöser anzuerkennen, warnen die Forschenden. Dies führe dazu, dass das Problem massiv unterschätzt werde.
Alte Menschen mit Vorerkrankungen, Schwangere und kleine Kinder sind bei extremer Hitze besonders gefährdet. Viele Menschen stehen vor der Wahl, unter kaum erträglichen Bedingungen zu arbeiten und ihre Gesundheit zu gefährden, oder nichts zu verdienen und damit weniger Geld für Lebensmittel, Wasser, Strom und Medikamente zur Verfügung zu haben.
Der Mensch stößt bei solchen Hitzewellen an seine Grenzen. Um die Auswirkungen von Hitze zu veranschaulichen, vergleicht der Arzt und Comedian Eckart von Hirschhausen den menschlichen Körper oft mit einem Ei, "Alle Fieberthermometer enden bei 42 Grad", so Hirschhausen. "Kein Zufall: Bei 42 Grad ist das menschliche Leben auch zu Ende." Steigt die Körpertemperatur über diese Schwelle, wird es lebensgefährlich – die Eiweiße im Körper fangen an zu gerinnen. Es drohen Schäden an Organen und Gewebe, die schließlich zum Tod führen. Dieser Vorgang funktioniere ähnlich wie bei einem Ei: Wird ein rohes Ei gekocht, verändern die Proteine ihre Form, und zwar für immer. "Und woraus besteht ein Ei?", fragt Hirschhausen und liefert die Antwort gleich mit: "Aus Wasser, Fett und Eiweiß – ähnlich wie unser Gehirn." Kein Mensch könne sich über diese biologischen Grenzen hinwegsetzen.
Hitze erhöht das Risiko für Suizide
Hitze wirkt sich jedoch nicht nur bei extrem hohen Temperaturen aus, sie kann schon viel früher lebensgefährlich werden. "Es gibt ungefähr 35 Arten, aufgrund von Hitze zu sterben", sagte der Leiter des Zentrums für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes (DWD), Andreas Matzarakis, im Gespräch mit dem "Spiegel". Austrocknung, Kreislaufversagen oder ein Hitzschlag, bei dem die Wärmeregulation des Körpers versagt, seien nur die häufigsten und bekanntesten Beispiele. Oft würden die Beschwerden mit Konzentrationsstörungen oder Unwohlsein anfangen, im schlimmsten Fall endet es im Multiorganversagen.
Extreme Temperaturen können die kognitive Leistungsfähigkeit verringern. So erhöht sich auch die Gefahr für Fehler und Unfälle, etwa beim Arbeiten oder im Straßenverkehr. Hitze steigert die Aggressivität und erhöht sogar das Risiko für Suizide.
Welche Auswirkungen Hitze auf den Körper hat, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Nicht nur die Höhe der Temperatur spielt eine Rolle, sondern auch die Luftfeuchtigkeit, Wind und Intensität der Sonneneinstrahlung. Um einzuschätzen, wie gefährlich Hitze werden kann, geht der DWD nicht von den tatsächlich gemessenen Temperaturen aus, sondern von der sogenannten gefühlten Temperatur. "Sie ist entscheidend dafür, wie sehr die Hitze unserem Körper zusetzt und wie gefährlich sie ist", sagt Matzarakis. "Bei hoher Luftfeuchtigkeit liegt die gefühlte Temperatur deutlich höher als die gemessenen Werte, bei starkem Wind hingegen fühlt sich die Luft kälter an, als sie ist."
Auch die Luftfeuchtigkeit spielt eine Rolle
Bereits ab einer gefühlten Temperatur von 32 Grad Celsius erhöht sich die hitzebedingte Sterblichkeit. Mit diesem Wissen arbeitet der DWD, wenn er Hitzewarnungen erstellt. Besonders gefährlich seien hohe Temperaturen in der Nacht, vor allem in Innenräumen. Im Schlafzimmer sollte es deshalb möglichst nicht wärmer als 22 Grad Celsius werden, besser seien 18 bis 19 Grad. Während der Hitzewelle 2024 war es in Indien deutlich wärmer. In einer Nacht fielen die Temperaturen in Neu-Delhi nicht unter 35,2 Grad – die heißeste Nacht, die jemals für die Hauptstadt aufgezeichnet wurde.
Die Luftfeuchtigkeit spielt eine besondere Rolle bei der Frage, inwiefern Hitze dem Körper schadet. Je trockener die Luft ist, desto mehr Wasser kann als Schweiß über die Haut verdampfen und den Körper kühlen. Ist die Luft bereits sehr feucht, ist der Körper nur begrenzt in der Lage, sich selbst zu regulieren.

Zur Person
Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise, sodass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.
Gemessen wird diese Fähigkeit mit der sogenannten Feuchtkugeltemperatur, auch Kühlgrenztemperatur genannt. Sie bezeichnet die tiefste Temperatur, die sich durch Verdunstungskühlung erreichen lässt, ist ein Maß für Hitzestress beim Menschen und zeigt die Grenze der menschlichen Anpassungsfähigkeit auf.
Deutlich mehr Menschen gefährdet
In den vergangenen Jahren ging man davon aus, dass diese kritische Schwelle bei 35 Grad Feuchtkugeltemperatur liegt. Das entspricht ungefähr einer Lufttemperatur von 40 Grad Celsius und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 75 Prozent. Ein gesunder Mensch kann unter diesen Bedingungen knapp sechs Stunden im Schatten überleben.
Der Wert stammt jedoch aus einer theoretischen Studie von 2010. Neuere Daten aus dem Jahr 2022 legen hingegen nahe, dass der kritische Schwellenwert bereits bei 31,5 Grad liegen könnte. Die Zahl der Menschen, die weltweit einer potenziell tödlichen Kombination aus Hitze und Feuchtigkeit ausgesetzt sind, wäre demnach weitaus höher als angenommen.
Hitzewellen werden zunehmend als Gefahr anerkannt. In Indien gibt es seit 2013 Aktionspläne. Doch oft werden sie nur unzureichend umgesetzt. Sich an die veränderten Bedingungen anzupassen, ist überlebensnotwendig – aber nur begrenzt möglich. Wer Hitze- und Bevölkerungsschutz ernst meint, muss nicht nur Notfallpläne erstellen und Arbeitsschutzregelungen anpassen, Häuser und Städte herunterkühlen, sondern auch die Erderhitzung so schnell wie möglich stoppen. Indien will erst 2070 klimaneutral sein.
- carbonbrief.org: "Extended heatwave in India, Pakistan to ‘test survivability limits’ with temperatures reaching Death Valley levels" (Englisch)
- downtoearth.org.in: "Lost in the heat: The critical miscalculation in India’s heatwave mortality data" (Englisch)
- spiegel.de: "Extrem-Temperaturen: "Es gibt ungefähr 35 Arten, an Hitze zu sterben""
- journals.physiology.org: "Critical environmental limits for exercising heat-acclimated lean and obese young men" (Englisch)
- worldweatherattribution.org: "Climate change made the deadly heatwaves that hit millions of highly vulnerable people across Asia more frequent and extreme" (Englisch)
- carbonbrief.org: "Guest post: Why action on extreme heat in Indian cities is falling short" (Englisch)