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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bauen Bilanz nach einem Jahr freier Schornsteinfegerwahl
Mehr Wettbewerb und niedrigere Preise für den Verbraucher – das waren die politischen Versprechen, mit denen die Liberalisierung des Schornsteinfegermarktes eingeführt wurde. Ein Jahr später haben Hausbesitzer viele neue Pflichten, doch sind auch die segensreichen Folgen der freien Schornsteinfegerwahl tatsächlich eingetreten?
Mit Inkrafttreten des reformierten Schornsteinfegerhandwerk-Gesetzes (SchfHwG) zum 1. Januar 2013 wurde der deutsche Markt für Kaminkehrer aus dem EU-Ausland und für einheimische freie Schornsteinfeger geöffnet. Die bis dahin bestehende Monopolstellung der Bezirksschornsteinfeger verstoße gegen europäisches Wettbewerbsrecht, so die Begründung. Um ein bevorstehendes Vertragsverletzungsverfahren abzuwenden, liberalisierte Deutschland seinen Schornsteinfegermarkt.
Welche Arbeiten freie Schornsteinfeger erledigen dürfen
Lediglich hoheitliche Aufgaben wie etwa die Bauabnahme neuer Feuerstätten und Schornsteine bleiben seitdem weiterhin dem früheren Bezirksschornsteinfeger vorbehalten, der sich heute Bezirksbevollmächtigter nennt. Für alle anderen Arbeiten wie Emissionsmessungen, Kehr- und Reinigungsarbeiten sowie die Prüfung der Abgaswege können Verbraucher einen Schornsteinfeger ihrer Wahl beauftragen.
Einzige Voraussetzung: Der beauftragte Schornsteinfeger muss die notwendige fachliche Qualifikation mitbringen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) führt auf seinen Webseiten ein Schornsteinfegerregister, in dem alle in Deutschland tätigen Schornsteinfeger mit ausreichender Qualifikation gelistet sind.
Inzwischen gibt es freie Schornsteinfeger auf dem Markt
Doch trotz der neuen Wahlfreiheit wollte der gewünschte Wettbewerb nicht recht in Gang kommen. In einer Erhebung unmittelbar nach Inkrafttreten der Liberalisierung hatte die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein im ganzen Bundesland keinen einzigen freien Schornsteinfeger finden können.
Das hat sich inzwischen geändert. "In Handwerkerbörsen oder Schornsteinfeger-Preisvergleichen im Internet findet man Alternativen zum bisherigen Bezirksschornsteinfeger", sagt Stephan Langer vom Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks im Gespräch mit zuhause.de. Angebotsseitig gibt es inzwischen also Wettbewerb.
"95 Prozent sind beim alten Bezirksschornsteinfeger geblieben"
Trotzdem ist nur wenig Bewegung in den Markt gekommen. "Etwa 95 Prozent aller Haushalte sind einfach bei ihrem alten Bezirksschornsteinfeger geblieben", schätzt Langer.
Hans Weinreuter, Energiereferent bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz, wundert das nicht. "Die Gesamtkosten pro Jahr sind einfach zu niedrig für eine breite Wechselstimmung", so der Verbraucherschützer. "Die Leute wechseln ja noch nicht einmal ihren Strom- oder Gasanbieter, obwohl da wirklich Sparpotenzial liegt. Da werden sie bei den geringen Kosten fürs Kaminkehren erst recht nicht wechseln."
Zumal freie Schornsteinfeger ihre Leistungen ohnehin nicht deutlich günstiger anbieten könnten, wie Langer erklärt. Denn eine Monopolstellung im klassischen Sinne, bei der der Monopolist nach Belieben die Preise festlegen kann, habe es nie gegeben.
Die alten Bezirksschornsteinfeger waren in der Preisgestaltung nicht frei, ihre Gebühren in der Kehr- und Überprüfungsordnung (KÜO) festgeschrieben. Deutlich günstiger könnten die freien Schornsteinfeger ihre Dienstleistungen auch heute nicht anbieten, erklärt Langer. "Da ist nicht viel Spielraum", bestätigt Energieexperte Weinreuter.
Freie Schornsteinfeger beklagen Wettbewerbsnachteile
Dass der Wettbewerb nicht recht ins Rollen kommt, hat für Sven Zarpe aber noch ganz andere Gründe. Der freie Schornsteinfegermeister aus Neumünster beklagt, dass viele altgediente Bezirksbevollmächtigte nicht eben zimperlich vorgehen, wenn es darum geht, ihren alten Kundenstamm zu halten. "Mir haben Kunden schon berichtet, dass ihnen der Bezirksbevollmächtigte am Telefon gedroht habe, bei der nächsten Feuerstättenschau alle Register zu ziehen, wenn sie zu einem freien Schornsteinfeger wechseln."
Die nach wie vor sehr starke und zentrale Stellung der Bezirksbevollmächtigten ist für Zarpe das größte Hemmnis für echten Wettbewerb. "Es ist doch nicht einzusehen, warum Feuerstättenschau und Feuerstättenabnahme nicht von einem freien Schornsteinfeger durchgeführt werden dürfen, der genauso und oft sogar besser qualifiziert ist, als der Bezirksschornsteinfeger."
Neue Pflichten und mehr Bürokratie für Hausbesitzer
Für Hausbesitzer brachte die Liberalisierung in erster Linie eine Fülle neuer Pflichten mit sich. Sie müssen nun selbst auf die Einhaltung aller gesetzlich vorgeschriebenen Kontroll- und Wartungsfristen achten. Diese stehen im Feuerstättenbescheid, den der Bezirksschornsteinfeger ausstellt.
Zudem muss der Hauseigentümer nun Formblätter ausfüllen und diese seinem Bezirksschornsteinfeger als Nachweis schicken. "Bei nicht rechtzeitiger Ausführung der nötigen Arbeiten handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 5000 Euro geahndet werden kann", warnt Gerold Happ vom Eigentümerverband Haus & Grund.
Hier geht es zu den wichtigsten Tipps und Pflichten für Hausbesitzer.
Positive Effekte der freien Schornsteinfegerwahl
Trotz aller Kritik zieht Stephan Langer ein Jahr nach dem Wegfall des Schornsteinfeger-Monopols ein positives Fazit: "Zur ganz großen Überraschung ist die Reform sehr reibungslos verlaufen", so der Verbandssprecher.
Auch für den Endverbraucher habe sich die Situation verbessert. Wenn auch insgesamt nur wenig gewechselt werde, zeigten sich in Einzelfällen – bei bestimmten Schornsteinfegern – durchaus Effekte. "Ich weiß von einem Kollegen, der hatte zeitweise bis zu 20 Kündigungen am Tag." Wer mit seinem Schornsteinfeger unzufrieden ist, könne nun wechseln.
Tatsächlich berichtet auch der freie Schornsteinfegermeister Zarpe, dass die Kundenakquise so schlecht nicht läuft. Er profitiere davon, dass viele der Kunden aus den insgesamt 15 Bezirken, die er bedient, mit ihrem alten Schornsteinfeger unzufrieden seien. So wirkt sich die Liberalisierung für den Verbraucher an dieser Stelle tatsächlich positiv aus, wenn auch nicht in Form niedriger Preise.
Insgesamt durchwachsene Einjahresbilanz
Von den Zielen, welche die EU mit der Liberalisierung verfolgte, ist allerdings nicht viel übrig geblieben. Qualifizierten Schornsteinfegern aus dem EU-Ausland sollte der Weg frei gemacht werden auf den deutschen Markt. "Einige ausländische Fachkräfte haben es hier am Markt probiert, sind aber größtenteils schnell wieder verschwunden", berichtet Langer.
Insgesamt stehen wenigen positiven Effekten der freien Schornsteinfegerwahl aus Verbrauchersicht erhebliche Mehrbelastungen gegenüber. Sven Zarpe nimmt mit seiner Einjahresbilanz wohl vielen Hausbesitzern das Wort aus dem Mund: "Das alles hätte man sich komplett schenken können."