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Corona-Impfstoff von Astrazeneca | Epidemiologin: "Sicher und wirksam"


Interview
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Epidemiologin
"Astrazeneca ist ein sicherer, wirksamer Impfstoff"

InterviewVon Sandra Simonsen

Aktualisiert am 01.04.2021Lesedauer: 8 Min.
Corona-Impfung: In Deutschland gibt es für den Astrazeneca-Impfstoff jetzt eine Altersbeschränkung.Vergrößern des Bildes
Corona-Impfung: In Deutschland gibt es für den Astrazeneca-Impfstoff jetzt eine Altersbeschränkung. (Quelle: ITAR-TASS/imago-images-bilder)

In der Diskussion um den Corona-Impfstoff von Astrazeneca stellt sich weiter die Frage: War der Impfstopp gerechtfertigt? Die Epidemiologin Ulrike Haug hat dazu eine klare Meinung.

Thrombosen nach Astrazeneca-Impfungen führten bereits Mitte März zu einem Impfstopp, jetzt gibt es neue Altersbeschränkungen für den Impfstoff. Auch allergische Reaktionen verunsichern die Menschen und verzögern die ohnehin schon schleppend verlaufende Impfkampagne in Deutschland zusätzlich.

Doch wie sicher sind die Impfstoffe von Biontech, Astrazeneca, Moderna und Johnson & Johnson wirklich? War der Impfstopp gerechtfertigt? Und könnte auch der russische Impfstoff Sputnik V für Deutschland kommen? t-online hat mit der Epidemiologin Prof. Ulrike Haug über die Impfstoffe und ihre Wirksamkeit sowie Nebenwirkungen gesprochen. Im Interview verrät die Expertin auch, mit welchem Vakzin sie sich selbst impfen lassen würde.

t-online: Für wie sicher halten Sie die Impfstoffe, die derzeit in Deutschland verimpft werden?

Prof. Ulrike Haug: Für sehr sicher. Der allergrößte Teil der bisherigen Meldungen zu Nebenwirkungen entfällt auf die typischen Impfreaktionen, die zu erwarten waren. Die Impfreaktionen kommen bei Jüngeren häufiger vor. Dementsprechend war es auch nicht überraschend, dass öfter über Impfreaktionen im Zusammenhang mit dem Astrazeneca-Impfstoff berichtet wurde, da dieser Impfstoff in Deutschland bisher überwiegend bei Jüngeren eingesetzt wurde. Aber diese Impfreaktionen sind vorübergehend, haben nur selten einen schweren Verlauf, und die Symptome kann man therapieren. Alles andere war sehr selten und es ist noch nicht geklärt, ob überhaupt ein kausaler Zusammenhang besteht.

Welche Nebenwirkungen können auftreten?

Das Spektrum der Impfreaktionen unterscheidet sich wohl etwas zwischen den Impfstoffen. Beispielsweise kommt es bei dem Biontech/Pfizer-Impfstoff häufiger zu Schmerzen an der Einstichstelle und Kopfschmerzen, beim Astrazeneca-Impfstoff häufiger zu grippeähnlichen Symptomen.

(Quelle: Ulrike Haug/Leibniz-Institut)



Ulrike Haug ist Professorin für Klinische Epidemiologie und Pharmakoepidemiologie an der Universität Bremen und Abteilungsleiterin am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Untersuchung der Sicherheit von Arzneimitteln nach deren Zulassung basierend auf Routinedaten.

War es gerechtfertigt, die Impfungen mit Astrazeneca Mitte März zu stoppen?

Nein. Ich hielt es nicht für gerechtfertigt. Grundsätzlich kann ich zwar Vorsichtsmaßnahmen nachvollziehen, aber in diesem Fall fehlte mir ein Abwägen des Schadens durch eine mögliche, sehr seltene Nebenwirkung, gegenüber dem Schaden des Impfstopps. Wir verlieren mit jedem Tag wertvolle Zeit, Menschen vor einer Erkrankung zu schützen, die zwar oft mild verläuft, aber auch nicht selten einen schweren Verlauf hat, teilweise tödlich endet oder zu Spätfolgen führen kann. Und wir verlieren Zeit, um als Gesellschaft endlich wieder aus dem Ausnahmezustand mit all seinen Nebenwirkungen rauszukommen.

Das Verhältnis stimmt also nicht?

Es war von Vornherein klar, dass die Sinusvenenthrombosen – wenn sie überhaupt im kausalen Zusammenhang zu der Impfung stehen – nur sehr, sehr selten vorkommen und man noch seltener daran verstirbt. Durch den Impfstopp hat sich die Impfung gerade bei Menschen verzögert, die im Alltag exponiert sind und sich schlecht schützen können, wie beispielsweise Lehrer oder Erzieher. Das wird – gerade jetzt, wo wir mitten in der dritten Welle sind – zu weiteren Erkrankungen und Todesfällen führen, die man hätte vermeiden können. Die Risiken der Erkrankung haben eine ganz andere Dimension als die mögliche schwere Nebenwirkung, um die es beim Impfstopp ging. Das gilt auch für die Jüngeren.

Können Sie das mit Zahlen konkretisieren?

In der Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen beispielsweise ist davon auszugehen, dass ungefähr 680 pro einer Million Infizierter versterben – hinzukommt das Leid durch schwere Verläufe und die möglichen Spätfolgen. Dem gegenüber steht eine mögliche Nebenwirkung, die in Deutschland bei zwölf von einer Million Geimpften berichtet wurde und an der drei von einer Million Geimpften gestorben sind. Ich vermisse das nüchterne Abwägen dieser Zahlen in der politischen Diskussion und habe den Eindruck, dass man in Großbritannien dahingehend viel rationaler vorgeht und entscheidet. Ich gehe davon aus, dass der Schaden des Impfstopps überwiegt. Umso mehr, wenn man auch die Verunsicherung und den Vertrauensverlust berücksichtigt, der damit einherging.

Würden Sie Astrazeneca also trotz allem uneingeschränkt empfehlen?

Ja, in jedem Fall. Das ist ein sicherer, wirksamer Impfstoff, der Nutzen überwiegt deutlich gegenüber den Risiken. Und wir können uns glücklich schätzen, dass es mittlerweile mit Biontech, Moderna, Astrazeneca und Johnson & Johnson sogar vier Impfstoffe gibt, die sich hinsichtlich des Schutzes vor schweren Verläufen oder Tod durch Covid-19 alle als sehr wirksam erwiesen haben.

Das klingt, als gäbe es keine Qualitätsunterschiede bei den Impfstoffen...

Ich finde, wir reden zu viel von "Erster-Klasse-Impfstoff" und "Zweiter-Klasse-Impfstoff". In den wesentlichen Punkten, die wir bisher beurteilen können, sind die Impfstoffe alle gleich gut bzw. können wir gar nicht beurteilen, ob es dahingehend Unterschiede gibt. Das Zweiklassedenken nahm ja seinen Anfang, als in den Medien die Ergebnisse der klinischen Studien berichtet wurden. Die viel diskutierten Unterschiede bezogen sich darauf, ob der eine Impfstoff etwas mehr und der andere etwas weniger vor milden Verläufen schützt, aber das finde ich erstmal nicht das Wesentliche. Mag sein, dass sich die Einschätzung noch ändert, wenn mehr Daten vorliegen und weitere Aspekte bewertet werden können, aber das kann in alle Richtungen gehen. Ob es letztlich einen Sieger gibt, lässt sich derzeit nicht abschätzen.

Was halten Sie davon, dass der Astrazeneca-Impfstoff nun nur noch bei Personen ab 60 Jahren eingesetzt werden soll?

Ich mache mir Sorgen, dass diese Änderung in der Altersempfehlung zu einer weiteren Verzögerung der Impfkampagne führt. Wenn dem so ist, wird der Schaden deutlich überwiegen. Leider scheint mir, dass auch hier – wie beim Impfstopp – kein Abwägen stattgefunden hat, was den Schaden einer Verzögerung der Impfkampagne gegenüber dem Schaden einer möglichen, sehr seltenen Nebenwirkung betrifft.

Wie meinen Sie das?

Alleine die Infektionen, die für die Altersgruppe der 35- bis 54-Jährigen im März gemeldet wurden, werden erwartungsgemäß zu 155 Covid-19-bedingten Todesfällen in dieser Altersgruppe führen. Die Infektionen, die über alle Altersgruppen hinweg im März gemeldet wurden, werden zu ca. 4.000 Todesfällen führen. Pro Woche ergeben sich daraus 1.000 Todesfälle, die man durch eine Impfung hätte vermeiden können. Das heißt, jede Woche, um die sich die Impfkampagne weiter verzögert, fordert rund 1.000 Menschenleben. Die Tendenz ist steigend, da die Inzidenzen steigen und sich gefährlichere Virusvarianten ausbreiten. Das Leid durch schwere Verläufe und durch Spätfolgen der Erkrankung, der gesellschaftliche Schaden und die gesundheitlichen Kollateralschäden, die sich aus dem Lockdown ergeben, sind in dieser Schadensbilanz noch gar nicht berücksichtigt.

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Die Nebenwirkungen sind also weniger gefährlich?

Der mögliche Schaden durch Sinusvenenthrombosen ist deutlich geringer. Beispielsweise müsste man, wenn alle Personen in Deutschland in der Altersgruppe 35 bis 54 Jahre mit dem Impfstoff von Astrazeneca geimpft werden würden, mit 77 Todesfällen durch Hirnvenenthrombosen rechnen, vorausgesetzt der Zusammenhang wäre kausal. Berücksichtigt man, dass die Fälle überwiegend bei Frauen aufgetreten sind, reduziert sich die Zahl der Todesfälle. Diese Fälle wären natürlich auch tragisch und man möchte sie vermeiden; aber in der aktuellen Situation ist es leider unumgänglich, den Schaden auf der einen und den Schaden auf der anderen Seite gegeneinander abzuwägen. Ansonsten kann es zu Entscheidungen kommen, die eigentlich unverantwortlich sind.

Ist es tatsächlich so, dass auch die Post-Covid-Fälle durch Impfungen gesenkt werden können? Die treten ja häufig auch nach einem nur leichten Verlauf auf.

Da die verfügbaren Impfstoffe nicht nur sehr gut vor Tod durch Covid-19, sondern auch vor schweren Verläufen schützen, sollten sie auch Spätfolgen abwehren, die sich aus den schweren Verläufen ergeben. Ob die Impfungen auch vor Post-Covid-Fällen nach leichten Verläufen schützen, wird sich zeigen. Um diese Frage zu untersuchen, braucht es eine längere Beobachtungszeit, aber ich gehe davon aus, dass dazu bald Daten vorliegen werden.

Auch der russische Impfstoff Sputnik V liegt der Ema zur Prüfung vor – Glauben Sie, die Daten, die die Ema aus Russland erhält, sind glaubwürdig genug, um eine richtige Entscheidung treffen zu können?

In die Datenlage habe ich keinen Einblick, aber ich bin mir sicher, dass die Ema sehr, sehr gründlich prüfen und sich einen fundierten Einblick in die Datenlage verschaffen wird. Man kann darauf vertrauen, dass die Ema keine leichtfertigen Entscheidungen trifft.

Das Vakzin von Johnson & Johnson kann nun auch in der EU eingesetzt werden eine Einzelimpfung genügt. Könnten andere Impfstoffe dahingehend angepasst werden?

Ich kann es mir eher andersherum vorstellen: Der Impfstoff von Johnson & Johnson wurde zunächst als Einzelimpfung getestet, aber es läuft noch eine Studie mit einer Auffrischimpfung. Wenn sich das als wirksamer erweist, kann es durchaus sein, dass auch für den Impfstoff von Johnson & Johnson noch eine zweite Impfung empfohlen wird. Eine Auffrischimpfung könnte für den Langzeitschutz wichtig sein. Insofern bin ich noch skeptisch, ob es bei der Einzelimpfung bleiben wird. Die anderen Hersteller haben sich von Vornherein dafür entschieden, die Studien mit zwei Impfungen durchzuführen und die Zulassung entsprechend beantragt. Die Schutzwirkung wird mit der zweiten Impfung zwar vermutlich noch gesteigert, aber das heißt nicht, dass bei diesen Impfungen nach der ersten Dosis noch kein Schutz geboten ist.

Also könnte es eher eine Anpassung des Impfstoffs von Johnson & Johnson geben?

Ja, das könnte sein. Natürlich ist eine einmalige Impfung für den Einzelnen bequemer und für die Impfkampagne einfacher umzusetzen, aber es hängt zu viel dran – am Ende will ja jeder den bestmöglichen Schutz haben.

Es wird immer wieder versichert, dass die Impfstoffe auch gegen die Corona-Mutationen wirken. Woran kann man das erkennen?

So pauschal kann man das eigentlich nicht versichern, denn das Virus verändert sich ständig und es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu Mutationen kommt, die sich ungünstig auf die Wirksamkeit der bisherigen Impfstoffe auswirken. Dann ist eine Aktualisierung der Impfstoffe notwendig, ähnlich wie bei der Influenza-Impfung. Immerhin scheinen die bisherigen Mutationen den Schutz der Impfstoffe vor schweren Verläufen nicht wesentlich zu beeinträchtigen. In Großbritannien, wo die britische Variante "zuhause" ist, zeigt sich bisher eine sehr gute Wirkung der Impfungen. Die Zulassungsstudie für den Johnson & Johnson-Impfstoff wurde in Regionen durchgeführt, in denen die brasilianische und die südafrikanische Variante verbreitet sind und auch da zeigte sich ein sehr guter Schutz vor schweren Verläufen und Tod durch Covid-19.

Wie bewerten Sie den bisherigen Verlauf der Impfungen in Deutschland?

Schleppend. Woran es außer der Impfstoffknappheit noch liegt, kann ich nicht genau beurteilen. Die politischen Entscheidungen zum zwischenzeitlichen Stopp beim Astrazeneca-Impfstoff und jetzt zur Altersänderung führen zu weiteren Verzögerungen. Ich schaue durchaus mit Neid nach Großbritannien, in die USA oder nach Israel, wo die Bevölkerung zügig durchgeimpft wird. Ich hoffe, dass wir das Tempo noch deutlich steigern. Die Impfung ist der einzige Weg, der uns aus dieser Pandemie führen wird. Die Zahlen steigen wieder, gefährlichere Virusvarianten breiten sich aus, gleichzeitig sind wir pandemiemüde. Es zählt jetzt wirklich jeder Tag. Wenn alle sonstigen Hürden aus dem Weg geräumt sind, hoffe ich, dass es nicht an der Impfbereitschaft in der Bevölkerung scheitert.

Wie könnte man dem entgegenwirken?

Wir brauchen natürlich eine offene Diskussion über die Risiken der Impfung, aber im gleichen Atemzug müssen wir darüber reden, was passiert, wenn wir uns nicht impfen lassen. Der Schaden des Nichtimpfens ist deutlich größer, und hat viele Dimensionen, nicht nur gesundheitliche. Ich hoffe, dass auch die Politik ihren Beitrag leistet, dies den Menschen klar zu vermitteln und jetzt alles daran gesetzt wird, die Impfkampagne zu beschleunigen, anstatt sie weiter zu verzögern.

Wenn Sie es sich aussuchen könnten: Mit welchem Impfstoff würden Sie sich impfen lassen und warum?

Sie können mir die vier zugelassenen Impfstoffe hinlegen, ich ziehe einen Impfstoff blind heraus und lasse mich damit impfen. Die für mich wichtigen Kriterien sind: Schützen sie mich vor schweren Verläufen, vor Tod durch Covid-19 und sind sie sicher? Diese Kriterien treffen für alle vier der aktuell zugelassenen Impfstoffe gleichermaßen zu. Wenn ich trotz Impfung oder wegen der Impfung für ein, zwei Tage mit Fieber im Bett liegen muss, ist mir das egal. Ein weiteres Kriterium wäre der Langzeitschutz, aber das können wir für keinen der vier Impfstoffe bisher beurteilen. Insofern: Ich würde blind reingreifen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Prof. Haug!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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