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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Infektiologe plant Datenbank "Wenn das Coronavirus zur Gewohnheit wird, haben wir ein Problem"
Biontech und Pfizer haben einen der ersten Impfstoffe gegen das Coronavirus entwickelt – dem vorangegangen sind Studien mit Impfprobanden. Auch, um mögliche Nebenwirkungen zu erforschen. Dafür wird gerade eine Probanden-Plattform aufgebaut.
Mit Beginn der Corona-Pandemie begannen bereits im Frühjahr die ersten Studien zu Impfstoffen. Probanden wurden gesucht und schließlich geimpft. Jetzt – nur ein knappes Jahr nach den ersten Infektionsfällen – impfen die ersten Länder bereits großflächig. Damit auch in Deutschland eine sichere und schnelle Zulassung möglich ist, plant Prof. Oliver A. Cornely eine Datenbank, die Impfprobanden dokumentiert.
t-online hat mit dem Studienleiter über sein Projekt, aber auch über die Entwicklung von Impfstoffen im Allgemeinen gesprochen. Cornely erklärt im Interview, wie eine Impfstudie abläuft und was er Corona-Leugnern entgegnet.
t-online: Sie leiten den Aufbau einer deutschland- und europaweiten Plattform für Impfprobanden: Welchem Zweck dient die Datenbank?
Prof. Oliver Cornely: Wir haben in den letzten Wochen und Monaten immer wieder gehört, dass die Impfstoffentwicklung möglichst schnell stattfinden soll. Und wir haben gesehen, dass das auch recht schnell gelungen ist. Den Impfstoff von Biontech beispielsweise gab es natürlich vor einem Jahr noch nicht. Und da gibt es einige Beschleunigungsschritte. Einer dieser Schritte ist die Registrierung von Interessenten für Impfstudien. Das ist eine ganz praktische Geschichte: Man hat dann ein Register von Interessierten und kann diese gezielt ansprechen, wenn in der Nähe eine Impfstudie geöffnet wird. Im Register stellen wir auch Fragen zu Alter oder Vorerkrankungen, sodass wir dann schon vorab sortieren können.
Sie können sich auf impfstudien-corona.de informieren und registrieren, wenn Sie Interesse haben, an einer Corona-Impfstudie teilzunehmen.
Könnten Impfstoffe mithilfe der Datenbank schneller und sicherer zugelassen werden?
Sicherer nicht, weil ja die Studien genauso durchgeführt werden, wie sie geplant sind. Schneller aber auf jeden Fall. Denn wenn jedes einzelne Krankenhaus für sich anfangen würde, Probanden zu suchen, kann das nur zu Verzögerungen führen. Wir machen das für ganz Deutschland und haben mittlerweile mehr als 9.000 Registrierte. Kürzlich haben wir auch 2.000 Personen für eine Studie an der Uniklinik Köln angeschrieben. Für diese Studie wurden dadurch jetzt schon 1.000 Personen gefunden, die teilnehmen und bereits feste Termine haben.
Prof. Dr. Oliver Cornely
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Oliver Cornely ist ein deutscher Facharzt für Innere Medizin sowie Infektiologie und Professor der Medizin und translationalen Forschung am Universitätsklinikum Köln. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Infektiologie.
Bei der Verimpfung des Biontech-Impfstoffes in Großbritannien gab es kürzlich Fälle von allergischen Reaktionen – ist es auch ein Ziel Ihrer Studien, mehr Probanden aus kritischen Gruppen mit Vorerkrankungen oder Allergien zu sammeln?
Wir fragen bei der Registrierung nach unterschiedlichsten Vorerkrankungen. Trotzdem dauert die Registrierung nur etwa zwei Minuten. Danach können wir dann aber auswählen und filtern. Wenn jetzt eine Studie startet, die auf Personen bezogen ist, die bestimmte Merkmale erfüllen – also beispielsweise Menschen mit Bluthochdruck oder einer Tumorerkrankung in der Vergangenheit – dann könnten wir diese Studie gezielt bedienen. Die Mehrzahl der Studien ist allerdings sehr breit offen und nimmt alle Erwachsenen egal welcher Grunderkrankungen auf – da gibt es nicht viele Ausschlusskriterien.
Welche Personengruppen sind von vornherein von Impfstudien ausgeschlossen und warum?
Da würde man beispielsweise Personen ausschließen, die sehr unter Allergien leiden – das sind aber nur sehr wenige. Gefühlt hat ja fast jeder irgendeine Allergie, aber nur sehr wenige sind wirklich täglich dadurch beeinträchtigt und haben starke Symptome, die auch krankenhauspflichtig sein können. Diese Patienten werden zu Beginn ausgeschlossen, bis man weiß, wie sich der Impfstoff verhält und ob er allergische Reaktionen auslöst. Dann gibt es eine zweite Gruppe: Das sind die Personen, die ein wenig aktives oder auch durch Medikamente unterdrücktes Immunsystem haben. Denn bei diesen Patienten geht man davon aus, dass sie auf den Impfstoff schlecht ansprechen. Und man will ja zunächst einmal die Wirksamkeit des Impfstoffs nachweisen. Und wenn man das beispielsweise bei Menschen versucht, die hohe Dosen Kortison einnehmen oder eine Chemotherapie bekommen, dann würde man die Frage nicht beantworten können. Dafür gibt es dann aber spezielle Studien, die genau an diesen Personen durchgeführt werden.
Wie läuft eine solche Impfstudie ab, was erwartet die Probanden?
Um beim Beispiel unseres Registers zu bleiben: Dann würden Sie zunächst eine E-Mail mit Informationen über die jeweilige Studie und Ansprechpartner erhalten. Dann bekommen Sie einen Termin für ein erstes Gespräch, häufig ist das auch digital. Es folgt ein Arztgespräch und ein Aufklärungstext, damit alle Fragen geklärt werden können. Je nach Studie wird Blut abgenommen und zeitnah ein Termin für die erste Impfung ausgemacht. Danach folgen weitere Treffen, in der Regel etwa zehn innerhalb eines Jahres. Nach drei bis vier Wochen folgt dann die zweite Impfung – je nach Impfstoff. Das Wesentliche ist dann die Nachbeobachtung, die bis zu zwei Jahre dauern kann. Es wird dann aber natürlich immer unwahrscheinlicher, dass noch etwas beobachtet wird, was mit dem Impfstoff zu tun hat.
Bisher ist noch nicht klar, wie lange Impfungen gegen das Coronavirus wirken – wird es Ihrer Einschätzung nach auf saisonale Impfzyklen ähnlich wie bei der Grippe hinauslaufen?
Die Antwort kennt natürlich keiner – ich also auch nicht. Da kann ich also nicht sagen, ob es so wird wie bei der Grippeimpfung, dass wir künftig immer ab September geimpft werden müssen. Das kann natürlich sein. Aber wir haben noch zu wenige Personen, die geimpft worden sind und danach eine Infektion bekommen haben, als dass wir sagen könnten, wie der zeitliche Verlauf ist. Was wir aber aus einigen Dutzend Einzelbeobachtungen weltweit wissen: Es gibt Personen, die zweimal eine Corona-Infektion bekommen. Es wird aber noch eine Weile dauern, bis wir wissen, wie oft die Infektion auftreten kann und wie viele von diesen Fällen wirklich solide wissenschaftlich abgesichert sind.
Welchen Einfluss könnte die Wirkdauer auf die Entwicklung der Pandemie haben?
Ich glaube, für den Verlauf der Pandemie macht es keinen so großen Unterschied. Vorausgesetzt, man lässt sich eben auch impfen. Wenn es so ist, dass eine Impfmüdigkeit entsteht und dass viele das auch aus dem Blick verlieren, weil beispielsweise kein Lockdown mehr da ist und nicht mehr so viele Menschen im Krankenhaus sterben. Wenn das Coronavirus also mehr zur Gewohnheit wird, dann haben wir ein Problem. Dann werden wir das nämlich nie wieder los – so wie die Grippe. Wenn alle gegen die Grippe geimpft wären, würde es eben keine Grippe geben. Hypothetisch gesprochen: Wenn an einem Tag die gesamte Weltbevölkerung geimpft würde, dann wäre es mit Corona vorbei. Dann wäre das Virus fort und würde auch nicht wiederkommen. Aber das erreicht man natürlich nicht – man erreicht ja bei der Impfung auch keine 100 Prozent und es will sich ja auch nicht jeder impfen lassen. Aber Rechenmodellen zufolge reichen etwa zwei Drittel aus, um die Pandemie in einer Region zu stoppen.
Glauben Sie, dass es neben Impfstoffen auch noch wirksame neu entwickelte Medikamente gegen Covid-19 geben wird?
Es werden auch weiterhin Dutzende Medikamente gegen Covid-19 entwickelt. Das ist nur in der Berichterstattung in den Hintergrund getreten. Der Schwerpunkt liegt im Moment auf der Impfung. Denn Impfungen entfalten natürlich immer mehr Wirkung als ein Medikament. Benjamin Franklin hat das mal formuliert im 18. Jahrhundert: "Eine Unze Prophylaxe ist mehr wert als ein Pfund Behandlung." Obwohl er Arzt war, hat er das nicht auf Impfungen bezogen, sondern auf Feuerwehren. Trotzdem kann man hier die Parallele ziehen und sagen, eine Prophylaxe bringt immer mehr als eine Therapie. Und die beste Prophylaxe ist die Impfung. Der größte Fortschritt in der Medizin ist durch Impfungen erreicht worden – nicht durch Medikamente. Aber natürlich werden weiter Medikamente entwickelt – doch es ist auch eine gewisse Skepsis angebracht. Denn wenn wir uns die Medikamente anschauen, die wir gegen die Grippe haben, dann ist es bis heute nicht gelungen, ein Medikament zu entwickeln, das die Grippe sicher bekämpft. Wir haben Medikamente, die einen positiven Einfluss haben, wenn man sie früh genug einnimmt. Aber bei der Grippe ist es nie darüber hinausgekommen. Also die Impfstoffe sind hier das Wichtigste.
Aus aktuellem Anlass: Der Kassenärzte-Chef Gassen sagt, der Lockdown werde nichts bringen. Und: Die Corona-Schutzmaßnahmen könnten aufgehoben werden, wenn alle impfbereiten Menschen eine Impfung erhalten haben. Wer sich nicht impfen lassen möchte, müsse dann mit dem Risiko leben, an Covid-19 zu erkranken oder gar daran zu sterben. "Es kann nicht sein, dass der Rest der Gesellschaft dauerhaft auf Impfverweigerer Rücksicht nehmen muss." Was halten Sie von diesen Aussagen?
Ich kann das emotional verstehen. Ich ärgere mich auch, wenn ich die Zahlen sehe und nicht begreifen kann, wieso so viele Menschen ihre Masken nicht tragen oder die AHA-Regeln nicht einhalten. Wenn dann im Privaten Infektionen stattfinden, kann man schon frustriert sein. Und es ist auch eine Gewöhnung, die stattgefunden hat – nicht die Gewöhnung an die Maske, sondern ein schlechtes Achten auf das, was man für selbstverständlich hält. Ich kann also verstehen, dass man das in Rage so formuliert. Aber es ist keine Lösung. Es gibt eben keinen Impfzwang und wir leben in einer Demokratie. Das eine oder andere Land, das keine Demokratie ist, bekommt die Pandemie vielleicht besser in den Griff, als wir das aktuell tun. Aber das ist mir auch ganz recht so. Ich würde keine Zwangsimpfung wollen oder unterstützen. Das wäre zutiefst undemokratisch. Auf der anderen Seite ist es so, dass diejenigen, die ihre Freiheit ausleben, indem sie beispielsweise keine Masken tragen oder sich privat in größeren Gruppen treffen, andere schädigen. Und sie lernen diejenigen, die an ihrem Freiheitsdrang sterben, vermutlich nie kennen. Aber so ist das: Die Menschen, die in Deutschland momentan täglich zu Hunderten sterben, deren Freiheit ist ignoriert worden.
Was würden Sie den Menschen entgegnen, die das Coronavirus leugnen oder sich weigern, sich an die Maßnahmen zu halten?
Mir ist es wichtig, dass jeder Einzelne etwas tun und zum Pandemieverlauf beitragen kann. Und zwar sehr leicht. Man mag ja vielleicht denken, wenn man die Zahlen sieht: "Das lohnt alles nicht, das ist eine Naturgewalt, da kann man auch nichts dagegen machen und dann brauchen wir auch keine Masken mehr aufsetzen." Das ist aber falsch. Hier ist es so, dass wir den Verlauf absolut beeinflussen können. Erstens durch die sensationelle Wissenschaft, die Impfstoffe entwickeln kann in so kurzer Zeit. Und jeder Einzelne kann eine Maske tragen, Kontakte meiden, sich nicht in großen Gruppen treffen. Je mehr das tun, desto besser funktioniert das. Und es gibt sicher viele Dinge, die wir nicht beeinflussen können: Den Verlauf der Pandemie aber können wir beeinflussen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Cornely!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.