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Angst, auf Toilette zu müssen: Paruresis – Tipps und Lösungen


Paruresis
Schüchterne Blase – was tun, wenn der Toilettengang zu Qual wird?

Von dpa, t-online
Aktualisiert am 01.10.2023Lesedauer: 4 Min.
Angst vor der Toilette: Wer unter Paruresis leidet, durchlebt einen Alltag mit vielen Einschränkungen.Vergrößern des Bildes
Angst auf die Toilette zu müssen: Wer unter Paruresis leidet, durchlebt einen Alltag mit vielen Einschränkungen. (Quelle: IMAGO / Avalon.red)

Wer unter Paruresis leidet, kann keine öffentlichen Toiletten benutzen. Im schlimmsten Fall bestimmt die seelische Störung das gesamte Leben der Betroffenen.

Nicht im Beisein anderer Menschen urinieren zu können oder zu wollen, kennen viele Menschen. Wenn das Betreten von öffentlichen Toiletten zu einer Phobie wird, sprechen Experten von einer "schüchternen Blase", beziehungsweise Paruresis. Die seelische Störung gilt als selten – rund drei Prozent der Gesamtbevölkerung leiden an Paruresis – die Dunkelziffer dürfte aber vermutlich hoher sein.

Dabei trifft die Bezeichnung "schüchtern" nicht den Leidensdruck der Betroffenen. "Betroffene sind im Beisein anderer Menschen unfähig, in fremder Umgebung zu urinieren", sagt Klaus Oelbracht, leitender Psychologe der Christoph-Dornier-Klinik in Münster.

Paruresis bestimmt das gesamte Leben

Die Folge: Paruretiker versuchen, so wenig wie möglich zu trinken und gehen kaum noch aus dem Haus. Sie kappen soziale Kontakte, isolieren sich immer mehr, was geradewegs in die Depression führen kann. Kurz: Die Angsterkrankung bestimmt das gesamte Leben der Betroffenen. In extremen Fällen wählen Betroffene ihren Arbeitsplatz so, dass sie entweder gleich von zu Hause arbeiten können, oder nah genug wohnen, um vom Arbeitsplatz auf die heimische Toilette zu gehen. Auch Einkäufe und die Freizeitgestaltung sind stark beeinträchtigt.

"Solche Menschen verlassen das Haus nur für Stunden", sagt Hammelstein. Die "International Paruresis Association" schätzt die Zahl der Behandlungsbedürftigen auf sieben Prozent der Bevölkerung. Für Deutschland bedeutet das rund 5,7 Millionen Betroffene. US-Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass das "bashful bladder syndrome", wie die Paruresis auch genannt wird, die zweithäufigste soziale Phobie nach dem Sprechen in der Öffentlichkeit ist.

Ein Geschlecht besonders betroffen

Paruresis scheint bei Männern häufiger vorzukommen als bei Frauen. Einige Quellen beschreiben ein Verhältnis von neun zu eins, wobei Paruresis bei Männern statistisch besser erfasst ist. Hinzu kommt wahrscheinlich auch die freizügigere Gestaltung von Herrentoiletten.

"Männer haben häufig die Einstellung, dass es männlich sei, nebeneinander im Stehen zu urinieren", schreibt Hammelstein. Nach Eva Nadine Striepens, Chefärztin der Christoph-Dornier-Klinik für Psychotherapie in Münster, dürfte es viele Männer geben, die Anfälle von Paruresis erleben, jedoch darüber schweigen. Knapp ein Drittel der Männer, davon geht Striepens aus, besuche erfolglos eine öffentliche Toilette.

Durch den Stress können Männer nicht mehr urinieren, weil ihre Harnröhrenmuskeln einfach nicht entspannen können. In der Folge beginnen sie, bestimmte Toiletten zu vermeiden. Die Folge: Sie können keine neuen, guten Erfahrungen sammeln.

Trauma als Auslöser

"Paruresis tritt nicht selten zusammen mit depressiven Verstimmungen oder Alkoholabhängigkeit auf", weiß Benjamin Dickmann. Er ist Verhaltenstherapeut an der psychotherapeutischen Institutsambulanz der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dort wurde zu Beginn der 2000er Jahre zur Paruresis geforscht. In der Ambulanz werden auch betroffene Menschen behandelt.

Trotz der weiten Verbreitung und des teils großen Leidensdrucks ist Paruresis zumeist nicht einmal den Betroffenen bekannt. Auch gibt es bislang kaum wissenschaftliche Veröffentlichungen zu dem Problem. Somit verfügen selbst Ärzte und Psychotherapeuten meist über wenig Kenntnis oder nehmen das Übel nicht ernst. Die Erkrankung beginnt oft in der Pubertät und ist häufig mit einem traumatischen oder Scham auslösenden Erlebnis auf einer öffentlichen Toilette verbunden, sagte der Psychologe Oelbracht. Die genauen Ursachen sind allerdings nicht geklärt.

Hier finden Betroffene Hilfe

Eine psychotherapeutische Sprechstunde kann helfen, die eigenen Ängste einzuordnen. Diese Sitzungen kann man entweder über die Terminservicestellen unter der Telefonnummer 116117 vereinbaren oder über die Praxen direkt. Sie dienen dazu, zeitnah eine psychotherapeutische Einschätzung zu bekommen und abzuklären, ob ein Behandlungsbedarf besteht.

Mechanismus von Paruresis bekannt

Bekannt sind aber die biologischen Mechanismen: Die Angst, beim Urinieren von anderen gesehen oder gehört zu werden, setzt Paruretiker unter Stress. Dieser Stress wiederum aktiviert das sympathische Nervensystem, wodurch sich die Blasenmuskulatur zusammenzieht und den Harnfluss blockiert. Die Erwartung, sich auf öffentlichen Toiletten nicht erleichtern zu können, wird damit subjektiv bestätigt.

Die Betroffenen beginnen, solche Orte zu meiden. "Das Vermeiden wiederum verhindert gegenteilige positive Erfahrungen, die die Angst lindern könnten", sagt Oelbracht. Schließlich genügt allein die Vorstellung vom Versagen beim Toilettengang, um eine starke psychische und körperliche Angstreaktion auszulösen.

Der Teufelskreis der Paruresis

Mit Medikamenten lässt sich eine Paruresis nicht beheben. Erfolgversprechend ist nach Angaben des Experten Oelbracht nur eine Verhaltenstherapie, die auch bei anderen Phobien angewendet wird. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Eva Nadine Stripens sieht dabei jedoch eine große Hürde: die Scham. Viele würde sich nicht trauen, das Problem anzugehen, so Striepens.

Sich Hilfe zu suchen, ist aber wichtig. Denn ansonsten droht ein Teufelskreis, wie die Expertin erklärt: "Oft steht am Anfang eine auslösende Situation, zum Beispiel ein doofer Kommentar auf der Toilette." Beim nächsten Besuch auf einer öffentlichen Toilette haben Betroffene Angst, dass sich das Ganze wiederholt.

 
 
 
 
 
 
 

Konfrontation als Ausweg

Bei einem verhaltenstherapeutisch Ansatz wird der Patient schonungslos mit dem Übel konfrontiert, um seine Angst zu überwinden. So muss er mit prall gefüllter Blase im Beisein des Therapeuten eine öffentliche Toilette besuchen und ausharren, bis der erlösende Strahl kommt.

Dabei verläuft die Therapie in kleinen Schritten – von der geschlossenen Toilettentür bis zum schrittweisen Heranpirschen des Therapeuten. Zum Ende der Therapie können Patient und Therapeut gemeinsam vor dem Pissoir stehen. Ein weiterer Behandlungsschwerpunkt ist der Abbau typischer Gedanken wie "Alle werden mich beobachten", "Jeder wird sich fragen, warum ich so lange brauche" oder "Wenn ich hier nicht pinkeln kann, bin ich kein richtiger Mann". Die Spirale aus Erwartungsangst, Katastrophengedanken und körperlichen Angstsymptomen müsse durchbrochen werden, sagt Oelbracht.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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