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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Drei Tipps für mehr Selbstakzeptanz Die letzten Tage des Perfektionismus
Was macht Perfektionismus mit uns und mit anderen? Drei Fragen können Ihnen helfen, sich einem entspannten und unperfekten Zustand zu nähern.
Muss man denn immer perfekt sein? Nein danke – Gönnen Sie sich mal einen Fehler.
Eigentlich will man alles nur richtig gut machen, aber dann wird man verbissen, mäkelt an sich selbst und anderen rum, macht Überstunden, will noch das letzte Prozent an Perfektion erreichen – Der Hochleistungsanspruch treibt Menschen in die Überarbeitung, Erschöpfung und Burn-out. Und zu allem Überfluss sind andere auch noch genervt von einem und man verliert Sympathien. Perfektionismus macht uns das Leben schwer – und verhindert etwas viel Wichtigeres: unsere Einzigartigkeit.
Unsere t-online.de-Kolumnistin Ulrike Scheuermann zeigt hier auf, wie Sie den übertriebenen Anspruch an sich selbst normalisieren können – und so glücklicher werden.
Mit Humor eine verkrampfte Situation lösen
Vor ein paar Wochen war ich selbst Teilnehmerin in einem Seminar. Wir sollten eine Übung machen: zu zweit mit etwas Abstand von einer anderen Person, die Energie spüren, die von ihr ausgeht. Mir gegenüber stand eine Business-Frau Anfang vierzig, schöne Bluse, elegante Gesten, sehr sympathisches Lächeln. Ich wollte mein Bestes geben. Spürte ich ihre Energie? Hm, vielleicht ein bisschen. Oder doch nicht? Ich wurde immer verkrampfter. Wir mühten uns beide ziemlich ab. Sie guckte genauso betreten, wie ich mich fühlte. Also fasste ich mir ein Herz und sagte: "Ich bin ja nicht so gut in sowas." Sie lachte los. Sie war nämlich auch nicht gut in sowas. Die Verkrampfung? Weg. Wir redeten, alberten rum, vergaßen die Energie, die wir spüren sollten, denn sie floss jetzt ganz von selbst.
Großartigkeit schafft Distanz
Was macht Perfektionismus mit uns und anderen? Wer fällt Ihnen gerade ein, der oder die immer alles richtig und perfekt macht? Wie finden sie diese Person? Vielleicht bewundern Sie sie, aber wie ist es mit Sympathie, Wohlfühlen, Entspanntsein? Großartigkeit und/oder Perfektionismus sind oft glatt, langweilig, humorlos und irgendwie verbissen. Vor allem schaffen sie Distanz zu anderen Menschen. Erinnern Sie sich an Ihre Schulzeit, da gab es doch diesen Klassenbesten, der immer den Arm oben hatte und die Einsen kassierte… Wer mochte den? Auch heute schlägt dieses Wow-Gefühl, wenn jemand alles perfekt macht, bald in Genervtsein oder sogar Neid um. Das meine ich mit Distanz.
Denn wir sind gerade über unsere Schwächen und Schattenseiten mit anderen Menschen verbunden. Wenn wir uns mit Zweifeln, Fehlern und Unsicherheit zeigen, über unsere Fehltritte lachen können, docken andere an, weil das jeder gut kennt. Andere fühlen sich Ihnen gerade dadurch nah und verbunden. Dann kann man sich öffnen und ist erlöst vom perfektionistischen "So-tun-als-Ob".
Nachsicht mit Fehlern fördert Gemeinschaftsgefühl
Sie entlasten also durch Imperfektionismus nicht nur sich selbst, sondern auch andere und tragen zu einem akzeptierenden sozialen Klima bei. Denn erst durch Nachsicht mit Fehlern können ein Gemeinsamkeitsgefühl und eine lockere Atmosphäre entstehen, die Inspiration und Innovation hervorbringen.
Ich möchte Sie ermutigen zu einer anderen Art von Größe, die sich erst dann zeigt, wenn Sie Ihre Fehler und Schwächen nicht mehr bekämpfen, sondern annehmen. Aber was erstmal leicht klingen mag: "Sei halt weniger perfekt", geht dann oft doch nicht so einfach. Denn das Unperfektsein zu perfektionieren ist ein Widerspruch in sich. Doch was sind überhaupt die Ursachen des überhöhten Anspruchs an uns selbst?
Selbstzweifel und Kleinheitsgefühle – die Ursachen für Perfektionismus
Die Ursache für den Perfektionismus sind meist Selbstzweifel und Kleinheitsgefühle. Diese will man überdecken, indem man möglichst großartig auftritt. Keiner soll sehen, was innen los ist, denn dafür schämt man sich. Dadurch jedoch treiben wir uns immer neu und stärker in den Perfektionismus. Um vom Perfektionismus abzulassen, müssen wir wohl oder übel unsere eigenen Gefühle von Wertlosigkeit aufspüren: Was mag ich an mir nicht? Wofür schäme ich mich? Was soll keiner sehen?
Wenn wir diese ungeliebten Seiten erst einmal identifiziert haben, können wir sie nach und nach in unser Selbstbild integrieren, werden lässig damit und können unsere Energie für Wichtigeres einsetzen. Was wir bekämpfen, wird stärker – was wir annehmen, entspannt sich: Ein Projektmitarbeiter denkt, er könne nicht interessant präsentieren und plant deshalb jedes Wort, jede Pointe vorab. Er wirkt gerade dadurch verkrampft. Als er beginnt, einfach draufloszureden, anstatt von seinen Slides abzulesen, wachen im Meeting plötzlich alle auf, diskutieren angeregt, es wird locker und wie nebenbei entsteht eine tolle neue Idee für den Kunden.
Das eigene "Ungroßartigsein" erkunden – innerlich frei werden
Drei Fragen können Ihnen dabei helfen, sich einem entspannten, unperfekten und damit innerlich freien Zustand zu nähern:
- Was ist meine größte Schwäche, für die ich mich schäme und die ich am liebsten immer verstecken würde? – Nehmen Sie das erste, was Ihnen in den Sinn kommt. Das kann alles mögliche sein: langweilig, zu dick, nicht so klug wie die anderen.
- Was würde schlimmstenfalls geschehen, wenn ich diese Schwäche von mir preisgebe? Was bleibt überhaupt von mir übrig, wenn ich nichts leiste? – Wenn Sie sich solche, erstmal etwas unbequemen Fragen stellen, kommen Sie leichter auf das, was Sie als Person wirklich ausmacht. Das Einzigartige, das Schöne, Ihr wahres Wesen.
- Wie kann ich diese ungeliebte Seite mehr annehmen? – Annehmen heißt nicht unbedingt zeigen, sondern erst einmal nicht mehr dagegen kämpfen und sich für sich allein damit aussöhnen. Später können Sie dann ausprobieren, wie die Mitmenschen darauf reagieren.
Wahre Größe zeigen
Leben wir ganz schlicht das, was wir nun mal sind. Mit allen Unzulänglichkeiten, Makeln und Schwächen. Zuerst meinen wir vielleicht, damit machten wir uns klein. Doch das Gegenteil ist der Fall: So leben wir unsere wahre Größe. Wahre Größe zeigt sich, wenn wir beginnen, unsere ungeliebten Seiten anzunehmen und über sie zu lachen. Wenn wir von unseren Fehltritten erzählen und damit zur Erheiterung beitragen. Wir sind dann innerlich frei. Und die Erheiterung lockt bei allen das Ungroßartige hervor, was gerade zusammen mehr voranbringt als jede Großtuerei.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.