"Tatort"-Faktencheck Fliegenpilz-Dröhnung durch Urin?
Im "Tatort" aus Münster sammelt Thiels Vater Fliegenpilze und behauptet, dass Menschen in Sibirien den Urin von halluzinierenden Schamanen tranken, um selbst high zu werden. Wirklich?
So viele Fliegenpilze! Kommissar Thiels Vater (Claus D. Clausnitzer) erntet im Münsteraner "Tatort" "Ein Fuß kommt selten allein" die Umgebung eines Leichenfundorts ab. Er berichtet, Eingeborene in Sibirien würden den Urin ihres Schamanen trinken, nachdem der Fliegenpilze konsumiert habe. Dann blieben die Nebenwirkungen aus, die den gewünschten Rausch begleiten. Stimmt das?
Wie giftig sind Fliegenpilze?
Der Fliegenpilz (Amanita muscaria) ist der bekannteste europäische Giftpilz, heißt es in der Pilzdatenbank der TU München. Es dauert meist 30 Minuten bis zu vier Stunden, ehe die ersten Symptome einsetzen. Dazu zählen Sehstörungen, das Gefühl, betrunken zu sein oder zu schweben sowie optische Halluzinationen. Eine fröhliche Stimmung kann ebenso eintreten wie Niedergeschlagenheit oder Angst.
Bei schweren Vergiftungen kann totale Verwirrtheit die Folge sein, es kommt zu Muskelzuckungen und selten zu Krampfanfällen oder Ohnmacht. Übelkeit, Erbrechen und Durchfall zählen ebenfalls zu den Auswirkungen. Die Symptome dauern meist über mehrere Stunden an.
Sie werden auch als Fliegenpilz-Pantherpilz-Syndrom bezeichnet, da der Pantherpilz ähnliche Symptome hervorruft. Er ist gefährlicher, schwere, eventuell sogar tödliche Vergiftungen seien vor allem von ihm berichtet, heißt es bei der Toxikologie der TU München.
Die Experten warnen: Weil jeder Fall möglicherweise einen schweren Verlauf nehmen kann, ist eine Betreuung im Krankenhaus notwendig. Falls noch keine Beschwerden eingetreten sind, ist als erste Maßnahme vorab ratsam, 20 bis 40 Gramm medizinische Kohle einzunehmen.
Üblicherweise sind die Symptome spätestens nach einem Tag abgeklungen. Im Fachblatt "Wiener Klinische Wochenschrift" berichten allerdings slowenische Ärzte von einem Mann, der nach dem Verzehr von Fliegenpilzen fünf Tage unter einer paranoiden Psychose mit visuellen und akustischen Halluzinationen litt. Anschließend erholte er sich vollständig.
Hat wirklich jemand Urin getrunken, um sich an Fliegenpilz zu berauschen?
Das haben sich die "Tatort"-Drehbuchautoren nicht ausgedacht: Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird dies erwähnt. Die wichtigsten Wirkstoffe des Fliegenpilzes, Muscimol und Ibotensäure, finden sich eine Stunde nach Verzehr im Urin, schreiben Didier Michelot und Leda Maria Melendez-Howell in "Mycological Research". Zwar wandert ein Teil über den Blutkreislauf ins Gehirn und verursacht die typischen Symptome - der größere Teil aber wird ausgeschieden.
Das erkläre die Tradition einiger sibirischer Stämme, den Urin von Schamanen oder Rentieren zu trinken, nachdem diese die Pilze konsumiert hätten, schreiben die Wissenschaftler.
Moment, Rentier-Urin? Ja! Andy Letcher, Autor eines Buchs über psychoaktive Pilze, beschreibt in einem Blogeintrag, dass er dies erst selbst für einen Mythos hielt, dann jedoch einen Rentier-Hirten traf, der es bestätigte. Der Mann habe eine Weile bei den Samen (früher auch als Lappen bezeichnet) gelebt und die hätten einmal ihre Rentiere extra mit Fliegenpilzen gefüttert und dann deren Urin in Töpfen gesammelt. Anschließend hätten die Flüssigkeit aufgekocht und getrunken. Er habe auch etwas getrunken und sei total high gewesen.
Ob der auf diese Weise konsumierte Fliegenpilz weniger unerwünschte Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen mit sich bringt? Mit der Frage hat sich der Anthropologe Kevin Feeney im "Journal of Psychoactive Drugs" auseinandergesetzt. Eine Antwort konnte er jedoch nicht liefern. Unglücklicherweise, so schreibt er, gab es nicht genügend Berichte zum "Urin-Recycling", um das zu ergründen.
Es würde aber erklären, weshalb sich diese Vorgehensweise entwickelt hat.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.