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Lindt: Gezielte Zerstörung? Schoko-Hersteller zerstört Ware – vor Reduzierungen


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Lindt sorgt für Empörung
Die Schokoladen-Ritzer

  • Theresa Crysmann
Von Theresa Crysmann

Aktualisiert am 25.12.2022Lesedauer: 6 Min.
Schoko-Nikoläuse von Lindt: Ginge es nach dem Edelschokoladenhersteller, wäre das Mindesthaltbarkeitsdatum wohl ein K.O.-Kiterium. Ist es aber nicht.Vergrößern des Bildes
Schoko-Nikoläuse von Lindt: Ginge es nach dem Schokoladenhersteller, wäre das Mindesthaltbarkeitsdatum ein K.-o.-Kriterium. Das muss nicht sein. (Quelle: IMAGO/Wolfgang Maria Weber)
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Ihre Schoko-Nikoläuse sind beliebt. Doch der Umgang einiger Lindt-Vertreter mit den Waren wirft nun ein zweifelhaftes Licht auf das Unternehmen.

Es dürften Einzelfälle sein, doch was im Namen des Schokoladenherstellers Lindt in einigen Supermärkten geschieht, verwundert selbst Brancheninsider: Nach Recherchen von t-online kommt es immer wieder vor, dass Angestellte von Lindt im Einzelhandel ihre eigenen Waren zerstören – vermutlich, um Rabattaktionen mit Schokolade kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum zu vermeiden und den Absatz zum vollen Preis hochzuhalten.

Dieses Bild jedenfalls zeichnet Ehrenfried Schorn. Er ist Geschäftsleiter von sechzehn Edeka-Filialen in Nordhessen und einige Tage nach dem jüngsten Besuch des Außendienstes von Lindt & Sprüngli noch immer wütend: "Die haben mit einem Kartonmesser oder einem Kuli sämtliche Schokoladen und Pralinen so aufgeschlitzt, dass nicht nur die Verpackung, sondern auch die Ware zerstört wurde. Alles kaputt", sagt er am Telefon.

Ein Foto, das seine Mitarbeiter gemacht haben, zeigt eine Schokoladentafel, in die ein tiefes Kreuz eingeritzt ist. "Wie kann man das machen? Lebensmittel einfach so vernichten", sagt Schorn. Mehr als 25 Produkte seien allein in einem seiner Läden so beschädigt worden, aus anderen Filialen hätten Angestellte von ähnlichen Attacken der Lindt-Vertreter berichtet.

Dabei hatten der Edeka-Geschäftsleiter und seine Teams genau das umgesetzt, was das Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz fordert: Weniger Lebensmittel sollen in der Mülltonne landen, mehr Essen soll gerettet werden. Das Ziel der Politik: Bis 2030 soll sich die Lebensmittelverschwendung im deutschen Einzelhandel halbieren.

Zwar sind Supermärkte derzeit nur für sieben Prozent der Verschwendung verantwortlich, während knapp zwei Drittel aller weggeworfenen Nahrungsmittel im Müll von Privathaushalten zu finden sind. Doch es ließe sich offensichtlich mehr tun. Beispielsweise im Schokoladenregal.

"Das hat mich maßlos wütend gemacht"

"Wenn die Außendienstler von Lindt & Sprüngli bei uns Produkte kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum aussortiert haben, haben wir sie bislang danach stark reduziert verkauft oder an die Tafel gespendet", sagt Schorn. Denn die Firma übernimmt das Regalmanagement in den Filialen selbst: Regelmäßig kontrolliert der Außendienst die Ware, mustert aus, füllt auf, schreibt die aussortierte Schokolade gut, aber lässt sie zurück – bis vor Kurzem intakt. Das habe sich geändert.

Laut Schorn haben ihm die Außendienstler mitgeteilt, Lindt wolle nicht, dass die Waren bis zum Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) oder auch noch nach dessen Ablauf verkauft werden – man sei ja in der Verantwortung für die Gesundheit der Kunden. Schorn versteht das nicht. "Die Verantwortung geht doch auf uns über", sagt er.

Juristisch gesehen hat er recht: Im Zweifelsfall haftet in Deutschland derjenige, der ein Lebensmittel nach Verstreichen des MHD noch in Umlauf bringt – nicht, wer es hergestellt hat. "Das ist bei denen aber auf taube Ohren gestoßen", sagt Schorn. Beim nächsten Besuch habe man dann die Kartonmesser gezückt. "Das hat mich maßlos wütend gemacht."

Einerseits ist Schorn sauer wegen der sinnlosen Zerstörung von Lebensmitteln. Andererseits, so sagt er, weil es sich um sein von Lindt gekauftes Eigentum handle, das die Vertreter zerstörten – auch wenn er für diese Ware finanziell entschädigt wird.

"Im Endeffekt ist das Sachbeschädigung"

So sieht es auch Ina Gerstberger. Sie ist Anwältin und auf Produktrecht spezialisiert und sagt: "Natürlich ist das seine Ware, er hat sie erworben." Auf dem Gelände des Supermarktes seien die Lindt-Produkte außerdem auch in der "Besitzsphäre der Geschäftsleitung".

Das heißt: Schorn als Chef des Ladens habe dort "die Verfügungsgewalt über die Produkte". "Da kann niemand kommen und einfach sagen: Die Ware mache ich jetzt kaputt."

Gerstberger kennt sich aus in der Lebensmittelbranche, sie hat bereits viele Klienten aus dem Bereich vertreten. Ein Fall wie dieser ist allerdings auch ihr noch nicht untergekommen. "Im Endeffekt ist das Sachbeschädigung", sagt sie – außer es gäbe Verträge mit Lindt, die explizit ausschlössen, dass Schokoladen oder Pralinen ab dem Mindesthaltbarkeitsdatum günstiger verkauft oder gespendet werden.

Ehrenfried Schorn verneint dies. Er habe mit seinem Chefeinkäufer noch einmal die Verträge gewälzt, dort finde sich nichts, das die Zerstörungswut der Lindt-Außendienstler legitimiere, sagt er. Stattdessen werde "nach Gutsherrenart" verfahren.

Schorn vermutet Umsatzinteressen hinter dieser Praxis: Ein Kunde, der bei reduzierten Schokoladentafeln mit leicht überschrittenem MHD zugreife, gehe danach sicher nicht ans Regal, um weitere Tafeln zum Vollpreis zu kaufen. Außerdem, so der Geschäftsleiter, könne Lindt mehr frische Ware nachliefern, "je früher man die Sachen aus dem Verkehr zieht."

Kein Wegwerfdatum

Lindt will zu den Fällen in den hessischen Supermärkten keine Stellung nehmen. Eine Anfrage von t-online beantwortet das Schweizer Unternehmen nur sehr allgemein. Weder gibt Lindt eine Antwort auf die Frage, wieso genießbare Produkte zerstört werden, noch darauf, ob die Firma diese Praxis ihres Außendienstes überprüfen will.

In der schriftlichen Antwort an t-online heißt es schlicht: "Lindt & Sprüngli bietet seinen Konsumenten ausschließlich Waren an, die den Qualitätsansprüchen entsprechen. Aus diesem Grund werden Produkte, die nicht mehr verzehr- oder verkaufsfähig sind, im Handel durch den Außendienst als verkaufsunfähig gekennzeichnet und aus dem Markt entfernt." Diese Kennzeichnung trete durch die stetige Kontrolle der Ware nur in seltenen Fällen ein.

Die implizierte Erklärung, es habe sich auch in seinem Fall um Schokolade handeln können, die "nicht mehr verzehr- oder verkaufsfähig" gewesen sei, weist Schorn zurück: "Alles, was bei uns zerstört wurde, war sogar noch mindestens eine knappe Woche vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum. Das Argument zieht also nicht." Und selbst bei Ware, die das MHD erreicht oder überschritten hat, gebe es noch keinen Grund, diese gleich zu entsorgen. Das sieht auch Ina Gerstberger so.

"Die Waren wären ja noch verkaufsfähig, wenn man sie entsprechend mit einem Hinweis auf das verstrichene MHD kennzeichnet. Das ist ja Schokolade, keine leicht verderbliche Ware, kein Hackfleisch", sagt die Fachanwältin. Natürlich übernehme Lindt dann keine Garantie mehr, aber das Verstreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums beeinträchtige die Verzehrfähigkeit in keinerlei Form.

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Oder, mit den Worten des Bundesernährungsministeriums: "Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein Wegwerfdatum." Bei richtiger Lagerung sind die Lebensmittel demnach meist weiterhin uneingeschränkt genießbar. Das Datum beschreibt einzig, bis wann das Produkt garantiert Farbe, Konsistenz und Geschmack behält.

Man müsse sich als Händler eben selbst davon überzeugen, ob die Qualität noch stimme, so Einzelhändler Schorn: eine Tafel derselben Charge probieren, einen Joghurt kosten, eine Dose öffnen. Schmeckt alles noch, wie es soll? Dann könne man die Lebensmittel getrost weitergeben. Das sei auch wichtige Aufklärungsarbeit, sagt er. Viele seiner Kundinnen und Kunden sähen das MHD immer noch als Todesstoß für ein Produkt. So wie anscheinend auch Lindt & Sprüngli.

"Auf der einen Seite sitzen vor unseren Läden Leute mit einer Dose in der Hand, weil sie sich kein Brot kaufen können. Oder wir haben Kunden mit geringen Budgets, die sich freuen, wenn sie mal für kleines Geld etwas Schönes mitnehmen können. Und auf der anderen Seite diktiert uns die Industrie, dass wir einwandfreie Lebensmittel zu entsorgen haben. Das ist Unsinn", fasst Schorn die Situation zusammen.

Das Gesicht aus dem TV: Johann Christof Wehrs ist der "Maître Chocolatier" aus der Lindt-Werbung.
Das Gesicht aus dem TV: Johann Christof Wehrs ist der "Maître Chocolatier" aus der Lindt-Werbung. (Quelle: IMAGO/Andre Lenthe Fotografie)

Lindt & Sprüngli

Die "Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli AG" ist ein Schokoladenhersteller mit Sitz im schweizerischen Kilchberg. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts produziert das Unternehmen unter dem heutigen Namen, 1986 ging es an die Börse und begann kurz darauf seine internationale Expansion. Heute gehören der Firma Tochterunternehmen auf der ganzen Welt. In Deutschland produziert Lindt & Sprüngli in Aachen und setzte zuletzt 629 Millionen Euro um (2021).

Kein Freifahrtschein für Lebensmittelvernichtung

Immerhin: Der Edelschokoladenfabrikant erstattet dem Händlern den Gegenwert der unverkauften Ware – in der Branche ist das eher unüblich. Dennoch findet Schorn, dies dürfe kein Freifahrtschein für Lebensmittelvernichtung sein. "Das ist einfach eine Frechheit den Endverbrauchern gegenüber", sagt er. Besonders gegenüber denen mit wenig Geld. Ein Unternehmen, das suggeriert: Lieber in die Tonne als in die Mägen von Geringverdienern? Für Ehrenfried Schorn unbegreiflich: "Das kann doch nicht sein, dass die ihr Zeug lieber wegschmeißen."

Bei anderen Lebensmitteln hat der Geschäftsleiter dieses Problem nicht: Ungewöhnlich geformtes Gemüse oder Obst mit Druckstellen bekommt gleich ein Rabattetikett. Da stehe kein Bauer auf der Matte und beschwere sich. Außerdem verhandelt Schorn gerade mit dem Start-up "Too Good To Go": Kurz vor Ladenschluss zeigt eine entsprechende App des Unternehmens Nutzerinnen und Nutzern Sonderangebote für Lebensmittel an, die am Mindesthaltbarkeitsdatum kratzen.

Und was die Schokoladenfrage angeht? Edeka-Chef Schorn wünscht sich, dass Lindt & Sprüngli den Abverkauf zu Sonderpreisen akzeptieren möge – im Interesse aller, auch in dem des Firmenimages. Aber die Ware auszusortieren, sie vor den Augen der Supermarktmitarbeiter zu zerstören und dann seinen Angestellten die Entsorgung aufzubürden, sei keine Art. "Wegschmeißen ist die denkbar schlechteste Lösung."

Doch kurz vor Weihnachten wiederholt sich der Ablauf: Wieder zerstören Mitarbeiter der Firma Lindt mit spitzen Kugelschreibern die Ware, die zuvor in Ehrenfried Schorns Regalen lag. Dieses Mal sind vor allem Pralinenschachteln dran, Mindesthaltbarkeitsdatum: Ende 1/2023 – noch knapp sechs Wochen. Ihnen selbst seien die Hände gebunden, habe der Außendienst gesagt: "Anweisung von oben".

Ergänzung: Am 23.12.2022 hat das Unternehmen Lindt & Sprüngli eine Pressemitteilung zu den Vorgängen auf seiner Webseite veröffentlicht. Darin heißt es: "Wir bedauern diesen Einzelfall sehr und er wurde bereits eingehend mit den Mitarbeitenden besprochen. Um diese Praxis in Zukunft ausschließen zu können, haben wir alle unsere Mitarbeitenden für das wichtige Nachhaltigkeitsthema sensibilisiert und nochmals auf die reguläre Vorgehensweise hingewiesen, von der nicht abgewichen werden darf."

Die ganze Stellungnahme des Schokoladenherstellers finden Sie hier.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Ehrenfried Schorn, Geschäftsleiter Edeka Thorsten Hellwig e. K., Hessenring
  • Schriftliche Anfrage bei Lindt & Sprüngli
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