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Shishabranche: Hier droht ein Schwarzmarkt von Hunderten Millionen Euro


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"Riesige Gewinne"
Hier droht ein Schwarzmarkt von Hunderten Millionen Euro


Aktualisiert am 16.04.2022Lesedauer: 5 Min.
Razzia in einer Shishabar (Symbolbild): Eine Gesetzesänderung könnte zu einem neuen Tabak-Schwarzmarkt führen, befürchten Experten.Vergrößern des Bildes
Razzia in einer Shishabar (Symbolbild): Eine Gesetzesänderung könnte zu einem neuen Tabak-Schwarzmarkt führen, befürchten Experten. (Quelle: dpa)

Eigentlich will der Bund vermeiden, dass ihm Steuereinnahmen flöten gehen. Doch eine neue Regelung in der Shishabranche könnte dafür sorgen, dass ein riesiger Schwarzmarkt entsteht. Der Zoll ist alarmiert.

Sven Pracht wirkt niedergeschlagen, erschöpft seufzt er in den Telefonhörer. Womöglich muss der Unternehmer seine Fabrik bald für immer schließen, 30 Angestellten droht die Arbeitslosigkeit. Schuld daran ist, so sieht es jedenfalls Pracht selbst, der Staat.

Pracht ist Geschäftsführer von Socab, einem der größten Hersteller für Shishatabak weltweit, mit Sitz in Bad Krozingen im Schwarzwald. Bis zuletzt war Socab auf Wachstumskurs. Für rund 60 Millionen Euro hätte die größte Shishatabak-Fabrik Europas entstehen sollen, 200 Menschen hätten darin arbeiten sollen.

Inzwischen aber liegen die Pläne ad acta, Prachts Mitarbeiter bangen um ihre Jobs – alles wegen einer neuen Gesetzesregelung, die die gesamte Branche vor Probleme stellt: die sogenannte 25-Gramm-Regelung.

Tabak nur noch maximal in 25-Gramm-Verpackungen

Ab dem 1. Juli darf Shishatabak in Deutschland maximal nur noch in 25-Gramm-Verpackungen verkauft werden. Altbestände in größeren Packungen dürfen Händler lediglich noch bis Ende des Jahres anbieten.

Und davon gibt es eine Menge. Denn aktuell ist die glibberige Paste, die zum Rauchen in den Kopf der Wasserpfeife gefüllt werden muss, in allen möglichen Größen verfügbar: Zwischen 10 und 250 Gramm ist alles dabei. Noch. Denn durch die 25-Gramm-Regel wäre das Vergangenheit.

Eingeführt hatte sie das Bundesfinanzministerium unter dem jetzigen Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Zuge der "Siebten Verordnung zur Änderung von Verbrauchsteuerverordnungen". Seit Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 20. August 2021 bangt die Branche um ihre Zukunft.

Das Hauptproblem: Die Zeit für die Umstellung der Verpackungsmaschinen sei viel zu kurz, die Investitionskosten sehr hoch. Auch Unternehmer Pracht sieht das so: "Wir haben eine Fertigungslinie bestellt, mehr war nicht möglich." Doch selbst dieses Gerät, das ihn rund zwei Millionen Euro gekostet hat und bei Weitem nicht ausreiche, um genügend Tabak zu verpacken, wird erst im November geliefert.

"Im Grunde sind wir jetzt schon tot"

Die Zeit zwischen Juli und November also? "Da produzieren wir nichts, so wie aktuell auch schon", so Pracht. Seit Januar stünden die Bänder größtenteils still. "Aktuell leben wir von unseren Ersparnissen", sagt Pracht. "Wir hatten Großes vor. Und jetzt? Keiner weiß, ob wir den Sommer überleben. Im Grunde sind wir jetzt schon tot, wenn die Regelung in Kraft tritt."

Doch die wirtschaftlichen Probleme der Branche sind nur ein Resultat aus der 25-Gramm-Regelung. Das andere ist noch viel größer. Experten befürchten nämlich, dass schon bald ein riesiger Schwarzmarkt entstehen könnte – für größere Packungen, importiert aus dem Ausland.

Auch Zoll sieht aufkommenden Schwarzmarkt

Laut Berechnungen des Shishaverbands dürften dem Fiskus dadurch allein in diesem Jahr Steuereinnahmen in Höhe von rund 160 Millionen Euro entgehen – eine immense Summe, bei der man betonen muss:

Der Verband betreibt Lobbyarbeit für die deutsche Wasserpfeifenbranche und damit auch für Pracht, der sein stellvertretender Vorsitzender ist. Dass solche Horrorzahlen von der Industrie kommen, ist daher wenig erstaunlich.

Doch auch beim Zoll sieht man die Probleme, die mit der 25-Gramm-Regelung entstehen. Einer, der sich dort besonders mit Finanzkriminalität auskennt, ist Frank Buckenhofer, Chef der Polizeigewerkschaft GdP beim Zoll.

Experte: "Riesige Gewinne am Schwarzmarkt"

"Tabakprodukte sind für Kriminelle äußerst lukrativ, weil man mit ihnen am Schwarzmarkt riesige Gewinne machen kann", sagt er im Gespräch mit t-online. "Wir reden hier von einem illegalen Markt von schätzungsweise mehreren Hundert Millionen Euro."

Und weiter: "Die verpflichtenden 25-Gramm-Verpackungen bei Wasserpfeifentabak machen das legale Produkt nun noch teurer und schaffen damit weitere Anreize für kriminelle Anbieter."

Dass Rauchen und Dampfen teurer werden sollen, ist dabei politischer Konsens. Neben der Anhebung der Steuer auf herkömmliche Zigaretten und Tabak hatte Scholz' Ministerium vergangenes Jahr erstmals eine Steuer auf Wasserpfeifentabak eingeführt.

Der Lobbyverband schätzt: Dadurch sowie durch die 25-Gramm-Regel dürften die Kosten eines Kilos Shishatabaks von durchschnittlich 85 Euro auf etwa 200 Euro steigen.

Grund für Regelung wird konterkariert

Das Kuriose dabei: Die Bekämpfung von Steuerhinterziehung war der eigentliche Grund für die 25-Gramm-Regelung, wie eine Ministeriumssprecherin t-online auf Anfrage mitteilt.

Man wolle "die weit verbreitete Praxis der portionsweisen Abgabe von Wasserpfeifentabak weitestgehend unterbinden und die zulässige Packungsgröße an die übliche Konsummenge pro Wasserpfeife anpassen", hieß es bereits vergangenes Jahr in der Begründung zum Ministeriumsbeschluss.

Konkret heißt das: Das Ministerium will verhindern, dass Shishabars den Tabak aus Großverpackungen abfüllen und an Kunden verkaufen, die sie nur einmal versteuern müssen.

Allerdings sind Shishaköpfe nicht genormt, die eine laut Finanzministerium "übliche Konsummenge", gibt es also gar nicht. Vom Verband heißt es außerdem, dass Shishabars nur ein Viertel des Gesamtmarkts ausmachten. Der Gutteil des Konsums finde im heimischen Wohnzimmer statt.

Ohnehin sei die Regel praxisfern, da Shishatabak oftmals gemischt werde – eine Shishabar also trotzdem mehrere Päckchen aufmachen und dann an verschiedene Kunden abgeben könnte. Die entsprechenden Steuereinnahmen gingen dem Staat trotzdem flöten.

Finanzministerium hält an Beschluss fest

Im Finanzministerium sieht man die Kritik an der Regelung indes nicht, etwa die recht kurze Vorlaufzeit, die die Branche bemängelt. "Dem Zeitbedarf für Umstellungsprozesse und Verkauf von Altbeständen im Handel wurde in angemessenem Umfang Rechnung getragen", so die Ministeriumssprecherin weiter.

Immerhin seien die Verbände bereits im Mai 2021 beteiligt worden und hätten die Möglichkeit gehabt, Stellungnahmen abzugeben. Und "eine Verschiebung des Geltungsbeginns" stünde im Widerspruch zu dem Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Man werde daher an dem Beschluss festhalten.

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Die Befürchtung von Experten wie Buckenhofer ignoriert man im BMF geflissentlich. Nämlich, dass die 25-Gramm-Regel das Gegenteil von dem erreichen könnte, wofür sie eigentlich gedacht war.

"Der Bundesregierung ist die Thematik des Schwarzmarktes im Bereich Wasserpfeifentabak bekannt", so die Sprecherin des Finanzministeriums. "Eine signifikante Zunahme wird nicht erwartet."

Dem Schwarzmarkt werde, "wie auch bisher schon, mit zielgerichteten Kontrollen des Zolls sowie entsprechenden Ermittlungen der Zollfahndung begegnet", heißt es weiter.

Zoll fehle "Personal, Ausstattung und taugliche Behördenstruktur"

Zoll-Gewerkschafter Buckenhofer sieht das etwas anders und hält sich mit seiner Kritik nicht zurück. "Wenn der Gesetzgeber mit Regulierungen in den Markt eingreift, muss er auch die Kontroll- und Ermittlungsbehörden darauf ausrichten", sagt er. "Daran fehlt es jedoch."

Dem zuständigen Zoll fehle "das nötige Personal, die nötige Ausstattung und auch die tauglichen Behördenstrukturen, um auch diese sehr erträgliche Kriminalität polizeilich wirksam zu bekämpfen".

Die Bekämpfung der Geldwäscher und des Schmuggels fristeten ein "Schattendasein und sind bisher außerhalb jedweden politischen Radars", so Buckenhofer. Der Zoll müsse endlich modern aufgestellt werden. "Dann hilft das auch den legalen Marktteilnehmern in der Tabakbranche."

Und die selbst? Ist verzweifelt. Ein letzter Ausweg: ein offener Brief des Shishaverbands an Finanzminister Christian Lindner (FDP). Die Hoffnung ist, dass er den Beschluss seines Vorgängers und jetzigen Chefs kippen wird. Rund zwei Monate hätte er noch dafür.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Frank Buckenhofer, GdP Zoll
  • Gespräch mit Sven Pracht, Socab GmbH
  • Anfrage ans Bundesfinanzministerium
  • Berechnungen des Shishaverband
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