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Insolvenz der MV Werften: "Das Schiff nicht fertig zu bauen, wäre ein Desaster"


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Insolvenz der MV Werften
"Das Schiff nicht fertig zu bauen, wäre ein Desaster"

Aus Wismar berichtet Frederike Holewik

22.01.2022Lesedauer: 6 Min.
Betriebsrat Folko Manthey vor dem MV-Werften-Standort Wismar: In der Halle hinter ihm liegt die "Global Dream One", aber aktuell ist unklar, ob sie fertiggebaut werden kann.Vergrößern des Bildes
Betriebsrat Folko Manthey vor dem MV-Werften-Standort Wismar: In der Halle hinter ihm liegt die "Global Dream One", aber aktuell ist unklar, ob sie fertiggebaut werden kann. (Quelle: Michael Hübner)
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Die MV Werften sind insolvent. Auch der Mutterkonzern Genting ist pleite. Was das für die Beschäftigten und eine gesamte Region bedeutet, zeigt ein Besuch in Wismar.

Folko Manthey zieht den Reißverschluss der dunkelblauen Arbeitsjacke zu und vergräbt die Hände in den Taschen. Auf Jacke und Bauhelm prangt das Logo der MV Werften. Es ist ein kalter, grauer Januartag in Wismar, der Wind pfeift, Manthey wirkt müde.

Knapp eine Woche zuvor hat sein Arbeitgeber Insolvenz angemeldet. Wie es dazu kommen konnte, lesen Sie hier. Und das nicht zum ersten Mal: Über die Jahre wechselten Besitzer und Namen des Unternehmens mehrfach. Manthey hat es alles miterlebt, aber daran gewöhnt hat er sich nicht. "Insolvenz lernt man nicht!", sagt er. Die Existenzängste seien jedes Mal wieder da.

So wie Manthey geht es aktuell vielen Menschen, denn die MV Werften schaffen mehr als ein Drittel der Arbeitsplätze im Schiffbau in Mecklenburg-Vorpommern. In der Hansestadt Wismar gehört die maritime Industrie seit Jahrhunderten zur Stadtgeschichte.

Folko Manthey ist seit 1985 bei den heutigen MV Werften. Damals schloss er seine Ausbildung zum Stahlschiffbauer ab, später wechselte er in den Bereich Lager und Logistik. Seit 2018 ist er freigestelltes Mitglied im Betriebsrat und Vertrauensmann der IG Metall – und damit für viele Kollegen die erste Adresse bei Fragen rund um die Insolvenz.

Um das Werksgelände herum wird er aus Autos, von Fahrrädern und von vorbeilaufenden Mitarbeitern gegrüßt, sein Handy klingelt immer wieder. "Wie soll die Stimmung schon sein?", fragt er rhetorisch und antwortet gleich selbst darauf. "Scheiße natürlich!"

Denn noch ist unklar, wie es für die 1.900 Mitarbeiter der MV Werften an den Standorten Wismar, Rostock und Stralsund weitergeht. Es habe sich eine gewisse Ratlosigkeit breitgemacht und vor allem auch Enttäuschung. Enttäuschung darüber, dass die Arbeit der letzten anderthalb Jahre vielleicht umsonst gewesen sein könnte, berichtet Manthey. Was er damit meint: den Bau des Kreuzfahrtschiffes "Global Dream One", das in der Halle in Wismar liegt.

Auch Mutterkonzern hat Schwierigkeiten

Einst sollte es das größte Kreuzfahrtschiff der Welt werden: 342 Meter lang und 57 Meter hoch, mit Platz für 9.500 Passagiere und 2.500 Crewmitglieder. Auf 20 Decks sollten Vergnügungspark, Wasserrutsche, Achterbahn und ein Casino die Gäste unterhalten. Eine Spezialanfertigung für den chinesischen Markt, denn auf dem Festland darf dort kein Glücksspiel betrieben werden, auf See allerdings schon. Aktuell ist das 1,5 Milliarden Euro teure Schiff zu 75 Prozent fertiggestellt. Um das Schiff fertig zu bauen, fehlen noch rund 600 Millionen Euro.

Kunde des Schiffs ist das Kreuzfahrtunternehmen Dream Cruises, das ebenso wie die MV Werften selbst zum Konzern Genting Hongkong gehört. Doch die Corona-Pandemie hat Reisebranche und speziell den Kreuzfahrtmarkt stark getroffen und Genting Hongkong selbst musste vergangene Woche Insolvenz anmelden (t-online berichtete).

Für Christoph Morgen, den vorläufigen Insolvenzverwalter der MV Werften, ist das ein Rückschlag. "Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass das Sanierungsverfahren Erfolg hat und Dream Cruises als Kunde erhalten bleibt", sagt er. "Wir werden mit Dream Cruises als unserem Kunden weiterhin intensiv sprechen." Aber aufgrund der jetzt eingetretenen Situation würden auch mit neuen Interessenten Gespräche über einen Fertigbau geführt.

Muss das Schiff verschrottet werden?

Eines steht fest: Das Schiff muss die Halle verlassen. Denn sonst können auch keine neuen Aufträge angenommen werden. Wäre es da nicht das Beste, das fast fertige Schiff am Ende einfach zu verschrotten? Daran will in Wismar niemand denken.

"Das Schiff nicht fertig zu bauen, wäre ein Desaster", sagt Manthey. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch für die Mitarbeiter persönlich wäre es nach den Strapazen der Pandemie mit langen Phasen der Kurzarbeit ein harter Schlag.

Auch Manthey selbst hängt an den Schiffen, die seine Werft baut. "Ich liebe Kreuzfahrten, deswegen kenne ich mich auch mit den Schiffen so gut aus", sagt er. Nach seiner liebsten Reise gefragt, muss er überlegen. "Die Überfahrt nach New York vielleicht, aber ums Kap Hoorn zu fahren, war auch toll." Die kürzere Strecke nach Oslo gefalle ihm auch gut. "Eigentlich waren sie alle wunderbar", schwärmt er.

"Teil der Stadt-DNA"

Die enge Verbindung zwischen der Werft und seiner Stadt spürt auch Wismars Bürgermeister Thomas Beyer (SPD). Beyer ist ein Küstenkind. Der gebürtige Rostocker macht seit 1990 in Wismar Politik, seit 2010 ist er Bürgermeister. Seine Gäste empfängt er im klassizistischen Rathaus, auf den Gängen hängen Gemälde mit rauer See, im Besprechungszimmer steht ein Modellschiff auf der Kommode.

"Maritime Industrie ist Teil der Stadt-DNA", sagt er. Die Werft berühre sehr viele Menschen und habe eine große Relevanz für die Stadt. Auch für Beyer gliche es einer Katastrophe, wenn die "Global Dream One" nicht fertig gebaut würde. Es sei schließlich ein "irres Produkt", auf das die vielen Mitarbeiter stolz seien.

Als Genting 2016 die MV Werften übernahm, hat das in der Region für viel Euphorie gesorgt. Neue Jobs entstanden, viele Menschen kamen nach Wismar zurück, um dort zu arbeiten, andere zogen sogar neu zu. "Das war damals das Stadtgespräch", so Beyer. Genting habe alle Versprechen gehalten und massiv in den Standort investiert.

Ganz überraschend komme die Insolvenz nun trotzdem nicht. Die großen Probleme in der Pandemie seien absehbar gewesen, sagt Beyer. Er habe deshalb in regelmäßigem Kontakt mit der Landes- und Bundespolitik gestanden und sich immer gut unterstützt gefühlt. Ein Satz, der ihm als Lokalpolitiker nicht leicht über die Lippen gehe.

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Tatsächlich ist die Werften-Insolvenz auch eine erste Bewährungsprobe für den neuen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seinen Kabinettskollegen, Bundesfinanzminister Christian Lindner. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit sehen sie sich mit der Frage konfrontiert, welchen Preis sie für den Schutz von Arbeitsplätzen zu zahlen bereit sind. Und auch für die Landespolitiker um Ministerpräsidentin Manuela Schwesig spielt Geld für die Werften eine Rolle, zuletzt sogar vor Gericht. Lesen Sie hier, wie das Urteil ausfiel.

"Die Werft kann vieles"

Bürgermeister Beyer hat trotz allem Hoffnung. Die Werftanlage sei hochmodern und an gute Infrastruktur angebunden. Und: "Die Werft kann vieles", sagt Beyer. Schließlich werde auch an den anderen Standorten der MV Werften über eine Umwidmung nachgedacht, etwa um Offshore-Plattformen zu bauen.

Aber auch den Bau von weiteren Kreuzfahrtschiffen hält er für möglich. Die Unkenrufe, dass die Kreuzfahrt in Zeiten von vermehrtem Klimaschutz ausgedient habe, will er nicht gelten lassen. Vielmehr sehe er das Veränderungspotenzial der Branche.

Darüber hinaus stehe Wismar mittlerweile besser da als bei vorherigen Insolvenzen. Die Tourismusbranche vor Ort sei stark und die Holzindustrie schaffe ebenfalls viele Arbeitsplätze. Die große Angst sei nicht ausgebrochen, von einer Depression seien sie weit entfernt, sagt Beyer.

Hotels sorgen sich um Gäste

Kleinere Sorgen aber gibt es durchaus. Da sind zum einen die 140 Azubis, die um ihren Ausbildungsplatz bangen. Auch viele Zulieferer vor Ort wären von einem Aus der Werft direkt betroffen. Allein in der Region Wismar wären das noch einmal um die 1.000 Arbeitsplätze.

Und die Probleme der Werft haben auch über die Mitarbeiter und Zulieferer hinaus Auswirkungen auf die Stadt. Die ebenfalls pandemiegeplagte Hotellerie habe sich bereits auf die Geschäftsreisenden gefreut, die sonst immer zuverlässig zu Terminen bei der Werft in die Stadt kamen, berichtet ein Hotelbetreiber. Für die Gastronomie und den Einzelhandel wäre der Verlust von vielen gutbezahlten Stellen bei der Werft ebenfalls mit Umsatzeinbußen verbunden.

"Werft kann Leistungsfähigkeit zeigen"

Auch für den Schiffbau-Standort Deutschland sind die MV Werften von Bedeutung. Die "Global Dream One" fertig zu bauen, wäre ein wichtiges Signal, sagt Henning Groskreutz, Bevollmächtigter der IG Metall Lübeck-Wismar. "Damit kann die Werft Leistungsfähigkeit zeigen – auch für die maritime Industrie in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt."

Schließlich sei der Bau von Kreuzfahrtschiffen auch ein wichtiger Innovationstreiber für den Schiffbau allgemein. Groskreutz hofft, dass auch in Wismar bald etwa an klimaneutralen Antriebssystemen gearbeitet werden kann. Doch so eine Umstellung sei zeit- und planungsintensiv und aus einer Insolvenz heraus zunächst schwierig.

"Für die Angestellten waren Kurzarbeit und die allgemeine Pandemielage bereits eine große Belastung. Nun kulminiert das alles in der Insolvenz", so Groskreutz. Deshalb gehe es jetzt in erster Linie darum, "Perspektiven für die Auszubildenden zu schaffen und die Arbeitsplätze vor Ort zu erhalten".

Beschäftigte suchen nach Alternativen

Doch viele Beschäftigte denken bereits darüber nach, was sie machen, wenn das nicht gelingt. So auch Miriam (Name geändert, Anm. d. Red.). Sie arbeitet seit vier Jahren als Schiffbauingenieurin auf der Werft; für den Job sind sie und ihr Partner damals in die Stadt gezogen. Mittlerweile haben sie zwei kleine Kinder, Kitaplätze, Sportverein, viele Freunde, die ebenfalls bei der Werft beschäftigt sind. "Egal mit wem du hier sprichst, jeder kennt jemanden, der bei der Werft arbeitet", sagt sie.

Für die Ingenieure ist es eigentlich kein großes Problem, woanders eine Stelle zu finden. Tatsächlich kommen bereits Recruiter auf sie zu. Doch die meisten wollen nicht weg aus Wismar. So wie Miriam haben sich viele junge Kollegen mit ihren Familien in der Stadt eingerichtet, Häuser gekauft.

Sie selbst will zunächst abwarten, wie es vor Ort weitergeht. Doch dann wird auch sie eine Entscheidung treffen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Thomas Beyer
  • Gespräch mit Folko Manthey
  • Gespräch mit Henning Groskreutz
  • Weitere Hintergrundgespräche in Wismar
  • Telefongespräch mit Cord Schellenberg
  • Pressemitteilung des Insolvenzverwalters Christoph Morgen
  • Webseite des Landes Mecklenburg-Vorpommern
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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