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Corona in England: Legt die Delta-Variante auch die deutsche Wirtschaft lahm?


Lieferketten-Chaos in England
Räumt Delta auch in Deutschland die Regale leer?


Aktualisiert am 26.07.2021Lesedauer: 4 Min.
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Wenig Auswahl: In Großbritannien sind in manchen Supermärkten die Regale leer. Die Unternehmen warnen aber vor Hamsterkäufen, diese seien nicht nötig.Vergrößern des Bildes
Wenig Auswahl: In Großbritannien sind in manchen Supermärkten die Regale leer. Die Unternehmen warnen aber vor Hamsterkäufen, diese seien nicht nötig. (Quelle: Bildfunk/dpa)

Leere Regale, geschlossene Läden, Tankstellen ohne Benzin: Die Delta-Variante legt die Wirtschaft in Teilen Großbritanniens lahm. Droht Deutschland mit steigenden Zahlen ein ähnliches Szenario?

Als "die schlimmsten Lebensmittelengpässe seit dem Krieg" beschreibt die auflagenstärkste britische Printzeitung "Metro" die aktuellen Zustände in England. Regale bleiben leer, Mülltonnen füllen sich. An manchen Tankstellen wurde das Benzin knapp, so schloss beispielsweise der Ölkonzern BP einige Anlagen aufgrund von Engpässen.

Die äußerst ansteckende Delta-Variante des Coronavirus stürzt Großbritannien ins Chaos. Der britische Lebensmittelunternehmer Ranjit Singh Boparan sagte in britischen Medien, der ohnehin bestehende Mangel an Arbeitskräften im Zusammenspiel mit der Pandemie bringe die Branche an einen Krisenpunkt.

Das beobachtet auch Lisandra Flach, Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft. "Mit Großbritannien trifft die Delta-Variante ein Land, das bereits mit mehreren Lieferengpässen zu kämpfen hatte", erklärt sie auf Anfrage von t-online. Diese seien durch den Brexit und die damit neu eingeführten Handelshemmnisse entstanden. Großbritannien sei zu einem großen Teil auf die Lieferketten aus Europa angewiesen, so Flach.

Rund 1,7 Millionen Briten in Quarantäne

Aber viele Transportunternehmen aus Europa verzichteten nach dem Brexit auf das Geschäft in Großbritannien. "Angesichts konstant hoher Transportnachfragen in Europa meiden Transportunternehmen die zunehmend komplizierter werdenden UK-Verkehre", erklärt Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des DSLV Bundesverbands Spedition und Logistik.

Mit der Delta-Variante kam dann der nächste Schlag für die Wirtschaft – die sogenannte Pingdemic, wie die britischen Medien es nennen. Allein in der zweiten Juliwoche erhielten durch die britische Corona-Warn-App etwa 620.000 Menschen in England und Wales einen Ping. Dieser dient als Signal, dass sie sich in häusliche Quarantäne begeben müssen, weil sie als Kontaktpersonen identifiziert wurden. Schätzungen zufolge sollen sich derzeit rund 1,7 Millionen Briten selbst isolieren.

Angesichts weiterhin steigender Infektionszahlen und der Aufhebung fast aller Corona-Maßnahmen in England dürfte sich dieses Problem auch noch weiter verschärfen. Die hochansteckende Delta-Variante ließ die Corona-Zahlen trotz hoher Impfquote im Vereinigten Königreich schlagartig ansteigen. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner lag zuletzt bei 267 (Stand: 26. Juli).

Jeder zehnte Mitarbeiter fehlt im Nissan-Werk

In den Supermärkten fehlt das Personal, um die Regale aufzufüllen. Doch auch die Lebensmittel selbst könnten bald nicht mehr geliefert werden – die britischen Bauern beklagen, dass Lastwagenfahrer fehlen, um die Lebensmittel an die Händler auszuliefern. Die National Farmers Union warnte vergangene Woche, dass Lebensmittel infolge der Lieferprobleme vernichtet werden müssten.

Auch bei der Müllabfuhr zeigt sich der Personalmangel und in der Industrie leiden die Prozesse ebenfalls. So fehlt etwa jeder zehnte Arbeiter im Nissan-Werk im englischen Sunderland. Viele Geschäfte werden durch den Personalmangel gezwungen zu schließen, die Schichten zu tauschen oder die Öffnungszeiten einzuschränken, berichtet die BBC. Manche Schulen sind wegen Lehrermangels früher in die Ferien gestartet.

Der britische Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng warnte allerdings vor zu großem Alarmismus: "Ich möchte nicht, dass Menschen den Eindruck bekommen, dass jedes Regal in jedem Supermarkt leer ist – das ist nicht der Fall. Aber wir sind aufgrund der Vorfälle von Engpässen sicherlich besorgt und überprüfen die Lieferketten von kritischen Infrastrukturen", zitiert ihn die BBC. Mit Quarantäneausnahmen für Mitarbeiter der Lebensmittelbranche will die Regierung nun dem Mangel entgegenwirken.

Auch Deutschland auf globale Lieferketten angewiesen

Gerade hier zeige sich aktuell eine Schwachstelle, sagt Ifo-Expertin Flach. "Das Vereinigte Königreich ist in hohem Maße auf globale Lieferketten angewiesen." Der Brexit und die Delta-Variante stellen die Lieferketten in Großbritannien und damit die gesamte britische Wirtschaft vor große Probleme.

Doch auch Deutschland sei da keine Ausnahme, betont Flach. Im Gegenteil: Deutschland sei "im internationalen Vergleich sogar stärker in globale Lieferketten eingebunden als Großbritannien". Könnte ein ähnlicher Anstieg an Infektionen mit der Delta-Variante also auch die deutsche Wirtschaft lahmlegen?

"Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts beklagen fast die Hälfte der Unternehmen in Deutschland Schwierigkeiten mit der Lieferung von Zwischenprodukten", räumt die Expertin ein. Zudem belasten steigende Rohstoffpreise deutsche Industrien ohnehin schon (hier lesen Sie, welche Produkte deswegen in Deutschland bald teurer werden).

Erhöhte Kosten für Transport und fehlende Arbeitskräfte

Und auch steigende Transportkosten belasten die Wirtschaft. "Die wachsende Nachfrage trifft jetzt auf eine strukturell bedingte Verknappung von Containern sowie Schiffs- und Luftfrachtraum, die Lieferketten unter Druck setzt", erklärt DSLV-Hauptgeschäftsführer Huster die aktuellen Preissprünge.

Es gibt allerdings auch Gründe, die gegen eine Entwicklung wie in Großbritannien sprechen. In Großbritannien fehlen Arbeitnehmer, die durch den Brexit nicht mehr im Land arbeiten können oder wollen. Diese Arbeitskräfte, die in Großbritannien fehlen, dürften sich zum Teil in Europa aufhalten.

Deutschlands Zurückhaltung zahlt sich aus

Zudem hat Deutschland nicht so schnell gelockert wie England. Während Boris Johnsons Mantra lautet "Wann, wenn nicht jetzt?", fahren die Deutschen bisher auf Sicht. Mit Erfolg: Die Infektionszahlen nehmen deutlich langsamer zu als in unseren Nachbarländern. Mit steigenden Infektionszahlen könnte Deutschland diesen Vorteil bei der hochinfektiösen Delta-Variante allerdings verspielen.

Außerdem seien die Lieferketten in Deutschland stark diversifiziert, erklärt Ifo-Expertin Flach. Das bedeutet: Händler können auch auf andere Lieferanten ausweichen. Flach ist daher optimistisch gestimmt. "Die Engpässe, die wir derzeit in Deutschland beobachten, sind eher ein vorübergehendes Phänomen", sagt sie. Auch Huster geht nicht davon aus, dass sich die Situation in Deutschland ähnlich wie in Großbritannien entwickeln könnte. Die Probleme aus England resultierten allesamt aus Faktoren, die auf Deutschland nicht zutreffen, etwa aus dem Brexit, den starken Lockerungen und der Insellage.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Presseanfrage an Lisandra Flach, ifo-Institut
  • BBC Scotland: Covid in Scotland: Shelf isolation and the United Pingdom
  • BBC: Covid: Supermarkets say shortages are not widespread
  • Metro: UK facing ‘worst food shortages since the war’ due to Covid and Brexit
  • CNN: Covid 'pingdemic' and Brexit mean food and gas shortages in parts of UK
  • Salisbury Journal: Fuel retailer BP closes several sites due to fuel shortage
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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