"Stimmung ist katastrophal" Wirtschaft warnt vor Pleitewelle und drängt auf Lockerungen
Die Corona-Zahlen sinken, trotzdem drängt die Politik auf eine Verlängerung des Lockdowns. Die Wirtschaft ist sehr besorgt. Gerade in Gastronomie und Einzelhandel sehen sich viele Unternehmen in ihrer Existenz bedroht.
Einen Tag vor dem nächsten Bund-Länder-Gipfel erhöhen Einzelhändler, Gastronomen und Friseure den Druck auf die Politik. Angesichts des wochenlangen Lockdowns fordern sie einen transparenten Fahrplan zur Öffnung ihrer Geschäfte, Lokale und Hotels – und warnen vor einer Welle an Pleiten.
So wird etwa die Stimmung in der Gastronomie und im Handel zunehmend schlechter. "Wir brauchen dringend klare Kriterien, wann und unter welchen Voraussetzungen unsere Betriebe wieder geöffnet werden", sagte die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), Ingrid Hartges.
- Lockerungen beim Corona-Gipfel? "Menschen Perspektive geben"
- RKI-Zahlen vom Dienstag: Inzidenz auf Rekordtief – aber Fehler bei NRW-Zahlen
Bund und Länder müssen eine klare Öffnungsperspektive schaffen, forderte auch der Handelsverband Deutschland. Ein Stufenplan für den Weg aus dem Lockdown müsse für den Einzelhandel auch bei Inzidenzwerten über 50 Lockerungsmaßnahmen vorsehen, sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.
75 Prozent der Gastronomen bangen um Existenz
"Denkbar wären Öffnungen unter noch strengeren Vorgaben für die maximale Kundenzahl oder verschärfte Hygieneregeln." Diese können nach Ansicht des Handelsverbands bei weiter sinkenden Corona-Zahlen gelockert werden.
Dabei geht es um die binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Der harte Lockdown ist bisher bis Mitte Februar angesetzt. Mehrere Länder haben Stufenpläne vorgelegt oder arbeiten daran.
"Stimmung und Lage im Gastgewerbe sind katastrophal", sagte Hartges. In den Betrieben machten sich Verzweiflung und Zukunftsängste breit – 75 Prozent bangten um ihre Existenz. Auch der Handelsverband berichtete von der Verzweiflung vieler Einzelhändler im Lockdown. "Nach wie vor kommt das Geld aus den staatlichen Hilfsprogrammen nicht ausreichend an", sagte Genth.
Brandbrief der Friseure an Kanzlerin Merkel
Ebenfalls stark betroffen vom Lockdown sind die Friseure. "Für die Inhaber der 80.000 Salons ist die wirtschaftliche Situation zum Teil dramatisch", sagte Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks. Die Friseursalons mussten Mitte Dezember schließen.
"Vor allem unter dem Gesichtspunkt der Pandemiebekämpfung ist die Schwarzarbeit in unserem Handwerk zwischenzeitlich zu einem wohl echten Problem geworden", sagte Müller. Der Verband betone deshalb mit Nachdruck, dass Friseurdienstleistungen nur in professionellen Salons sicher sein können. Die 240.000 Friseure hoffen auf den Re-Start des Friseurhandwerks zum 15. Februar.
Neben dem Friseur-Verband schlägt auch eine neue Initiative mit dem Namen "Friseure in Not" Alarm. Organisiert haben sich in ihr 16 Friseurunternehmer aus allen Bundesländern, die gegen die Corona-Verordnungen der jeweiligen Bundesländer per Eilantrag Klage eingereicht haben.
In einem Brandbrief an die Ministerpräsidenten und Kanzlerin Angela Merkel schreiben sie: "Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass unserer Schließung nicht dazu führt, dass die befürchteten Kontakte im Rahmen unserer Dienstleistung nicht zustande kommen."
Im Gegenteil: Zahlreiche Friseure würden aufgrund der hohen Nachfrage in die Illegalität gedrängt – weil sie etwa im Privaten die Haare der Menschen schnitten. "Wir Friseure stehen mit dem Rücken zur Wand", heißt es weiter in dem Schreiben, das t-online vorliegt. "Schon jetzt droht 24.000 Salons die Insolvenz."
Die Industrie besorgt die Corona-Lage in Europa
Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer forderte ein bundesweites Ampel-System für Corona-Entscheidungen nach regionaler Inzidenz – "damit Betriebe planen können und eine Perspektive erhalten", sagte er. Ein Öffnungsplan müsse klare Voraussetzungen festlegen, mit denen Betriebe wieder arbeiten können. Außerdem müssen Hilfen deutlich schneller ausgezahlt werden. Bei einem großen Teil der Betriebe sei bisher nicht ein einziger Euro des versprochenen Geldes angekommen.
Der Präsident des Bundesverbandes der Freien Berufe, Wolfgang Ewer, sagte, es müsse nach vielen Monaten des Lockdowns eine Öffnungsstrategie geben, die neben den gesundheitlichen, stärker auch wirtschaftliche Perspektiven berücksichtige. "Es steht viel auf dem Spiel und es gibt ernsthafte Sorgen, dass die Krise dauerhafte Schäden hinterlässt, etwa bei der Bildung und der Infrastruktur", sagte Ewer. Bei den Hilfsprogrammen müsse nachgeschärft werden.
Unterdessen blickt Industriepräsident Siegfried Russwurm mit Sorge auf die Entwicklung der Corona-Lage in Europa. Das europaweit steigende Infektionsgeschehen beunruhige Vertreter der Industrie zunehmend.
"Deutschland ist keine Insel, sondern liegt mitten in Europa. Unsere Industrie ist wie kaum eine andere eng mit grenzüberschreitenden Lieferketten und Mitarbeiterstrukturen verflochten", sagte Russwurm. Wenn es nicht gelinge, die Pandemieeindämmung europaweit erfolgreich voranzutreiben, sei jeder nationale Erfolg ein Strohfeuer.
- Brief der Friseure in Not
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa