Kollisionskurs gegenüber Peking Trumps China-Kalkül
Provokation statt Ausgleich, Sticheleien statt Diplomatie: Seit Tagen zeigt Donald Trump, wie fundamental sich unter ihm das Verhältnis zu China verändern könnte. Was steckt hinter seinem Polter-Ansatz?
Henry Kissinger ist 93 Jahre alt. Wo andere ohne große Hektik den Lebensabend genießen, pflegt der Guru der amerikanischen Außenpolitik noch immer sein weltweites Netzwerk. Gerade erst ist der Republikaner von einer Reise nach China zurückgekommen. Weil er dort auch den Präsidenten Xi Jinping traf, lud ihn das Team von Donald Trump rasch ein, um über den Trip und seine Eindrücke zu berichten.
Die Einladung zeigt, wie wertvoll Kissinger als Gesprächspartner ist - sie zeigt aber auch, welch großen Stellenwert China in der Präsidentschaft Trumps haben dürfte. In den vergangenen Tagen hat der Milliardär mehrfach einen Vorgeschmack darauf gegeben, wie sehr er das Verhältnis zur Großmacht im Fernen Osten überdenken, ja revolutionieren könnte.
An drei Fronten hat der gewählte US-Präsident die Regierung im Reich der Mitte innerhalb weniger Tage gereizt. Erst telefonierte er mit Taiwans Präsidentin - ein Bruch mit der außenpolitischen Tradition der USA, die Ein-China-Politik anzuerkennen und sich in die sensiblen Angelegenheiten zwischen China und der Insel nicht einzumischen. Dann warf Trump China vor, zum Vorteil der Exporte die eigene Währung künstlich niedrig zu halten. Und schließlich kritisierte er die Führung in Peking für ihre Militärmanöver im Südchinesischen Meer.
Seitdem rätseln Beobachter darüber, was Trump treibt. Will er nur provozieren? Oder verbirgt sich hinter seinen Einlassungen eine neue Strategie? Nichts ist wirklich klar. Es fehlt ein Außenminister, es gibt kein China-Papier. Aber auffällig ist: Trump gibt sich ähnlich hart wie im Wahlkampf, als er unter anderem damit drohte, China offiziell als Währungsmanipulator zu führen und chinesische Importe mit hohen Strafzöllen zu versehen. Ein wesentlich strikterer Kurs als unter Barack Obama scheint programmiert. Oder?
Verhandlungsspielraum für anstehende Konflikte
Es ist alles nicht so einfach. China und die USA sind wirtschaftlich massiv verflochten und voneinander abhängig. Ein Zwist, so scheint es, würde beiden schaden. Viele amerikanische Firmen produzieren ihre Waren in China deutlich günstiger als auf dem heimischen Markt. Peking wiederum exportierte im vergangenen Jahr Waren im Wert von knapp 500 Milliarden Dollar. Zudem ist China der größte Gläubiger der USA, hält amerikanische Anleihen in Höhe von mehr als einer Billion Dollar. Und was Strafzölle anbelangt: Bislang hat sich kein maßgeblicher Republikaner für diese Idee begeistern können. Wo, so fragen sich viele, ist eigentlich Trumps Drohpotenzial?
Viel spricht dafür, dass er vor allem jene Botschaft an Peking senden möchte, die er derzeit in praktisch alle Richtungen sendet: Mit mir brechen nun andere Zeiten an. Traditionen und Konventionen zählen für mich nicht, sämtliche Absprachen stehen auf dem Prüfstand. Ob die Uno, die Nato oder eben China: Es geht Trump darum, sein Gegenüber zu verunsichern und sich selbst als unberechenbaren Spieler zu inszenieren, der notfalls zu allem bereit ist, um seine Interessen durchzusetzen. Mit der Methode hat der Milliardär in der Wirtschaft schon viel erreicht. Warum soll das in der internationalen Politik nicht auch funktionieren?
Ebenfalls denkbar ist, dass Trump Verhandlungsspielraum für die Konflikte gewinnen will, die in den kommenden Jahren anstehen. Sobald Trump Ende Januar ins Weiße Haus einzieht, dürfte es neben der Handelspolitik um Chinas Rolle im nordkoreanischen Atomprogramm gehen, um Cyberangriffe und Produktpiraterie. Mit Taiwan hat Trump auf Anraten seiner Vertrauten nun ein neues Konfliktfeld geschaffen, das er benutzen kann, um die Führung in Peking zu Zugeständnissen zu bewegen oder vorteilhaftere Bedingungen für amerikanische Firmen oder die Exporte nach China zu erwirken.
Chinas mögliche Gegenmaßnahmen
Sicher ist, dass es ihm auch um ein innenpolitisches Signal geht, nach dem Motto: Ich lasse mir von Peking nichts diktieren, ich setze der wachsenden Macht Chinas etwas entgegen und schütze unseren Markt. Im Wahlkampf war das ein Renner. Wann immer Trump China als Rivalen angriff, der auf Kosten der US-Wirtschaft wachse und mit billigem Stahl die amerikanische Industrie zerstöre, waren seine Leute besonders euphorisiert. Selbst wenn es bei Rhetorik bliebe, könnte Trump darauf hoffen, dass seine Anhänger ihn als Kämpfer für die amerikanische Sache feiern.
Aber wie gesagt - es ist alles nicht so einfach: Auch China hat freilich Möglichkeiten, sich zu wehren, sollte Trump den Streit in den ersten Monaten seiner Amtszeit zu eskalieren versuchen. Die Führung in Peking könnte US-Anleihen abstoßen, um die amerikanische Wirtschaft ins Wanken zu bringen. Entscheidet sich Trump tatsächlich, in welcher Form auch immer Strafzölle zu erheben, könnte Präsident Xi Jinping die Welthandelsorganisation anrufen. Verlockend scheint auch das Freihandelsfeld: Nach dem Aus des von Obama vorangetriebenen Transpazifischen Abkommens überlegt man in Peking, nun ein eigenes Freihandelsabkommen anzustreben, das den amerikanischen Einfluss in der Region schmälern könnte.
Die möglichen Gegenmaßnahmen dürften auch ein Grund für die vergleichsweise entspannte Reaktion der chinesischen Führung auf Trumps Provokationen sein. Peking legte eine Beschwerdenote ein, verzichtete aber bislang darauf, den Streit weiter anzuheizen. Henry Kissinger fand dafür übrigens lobende Worte.
Er sei, sagte der Ex-Außenminister, "sehr beeindruckt" von der ruhigen Antwort der Chinesen.