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Amazon-Debatte bei Günther Jauch: Bequem oder "asozial"?


Amazon "asozial"?
Weihnachtsgeschenke werden zur Gewissensfrage

t-online, Marc L. Merten

Aktualisiert am 09.12.2013Lesedauer: 4 Min.
Günther Jauch mit seinen Gästen, u.a. Ranga Yogeshwar, Günter Wallraff und Laura Karasek.Vergrößern des Bildes
Günther Jauch mit seinen Gästen, u.a. Ranga Yogeshwar, Günter Wallraff und Laura Karasek. (Quelle: Müller-Stauffenberg/imago-images-bilder)

Ich habe mal wieder etwas bei Amazon bestellt. Kein Buch, sondern einen Pullover. Einen speziellen, Strickware, mit Weihnachtsmotiven darauf. Ziemlich hässlich eigentlich. Aber ich brauche ihn für eine Einladung am Mittwoch. Vorher habe ich nur leider keine Zeit mehr, noch mal in der Stadt shoppen zu gehen. Und sonntags, wenn ich Zeit habe, haben die Läden zu. Also habe ich ihn Sonntagnachmittag einfach online bestellt. Versprochenes Lieferdatum ist Dienstag. Perfekt also. Es war bequem. Es war praktisch. Es ging schnell. Nur leider habe ich laut Günther Jauch damit einem Monster nur noch mehr zu fressen gegeben.

Am Sonntagabend, nur wenige Stunden nach meiner Bestellung, hatte Jauch zu seiner letzten Talkrunde im Jahr 2013 ins Gasometer nach Berlin geladen. Das Thema: "Weihnachten mit Amazon und Co. – Wer leidet unter unserem Bestell-Wahn?" In einem Monat, in dem alleine die Deutsche Post rund acht Millionen Pakete täglich in ganz Deutschland ausliefert, also ein durchaus passendes Thema. Wenn ich mich nicht plötzlich so schuldig fühlen würde.

Nichts, was man nicht online kaufen kann

Also hörte ich gut zu. Hörte, wie Laura Karasek – die Tochter des berühmten Literaturkritikers Hellmuth Karasek – erklärte, sie unterstütze im Gegensatz zu ihrem Vater den Internethandel. Schließlich könne man gerade als Ehepaar mit Kindern "einen Samstag schöner verbringen als im Einkaufszentrum". Warum also nicht online shoppen? Schließlich, so bestätigte Wirtschaftswissenschaftler Gerrit Heinemann, "gibt es kein Produkt mehr, dass sie heute nicht online kaufen können".

Warum sich also noch die Mühe machen, in die Stadt zu eilen? Ich dachte an meinen hässlichen Pullover und nickte zustimmend. Weil wir Shoppen dadurch auf die Faktoren schnell und billig reduzieren, erwiderte Journalist Ranga Yogeshwar. "Andere Komponenten gehen so verloren." Das Gespräch im Buchladen mit der netten Verkäuferin über die besten Neuerscheinungen. Die Scheibe Fleischwurst für die Kinder in der Metzgerei. Oder ein herzhaftes Lachen über die Scheußlichkeit meines Pullovers, dachte ich mir und nickte erneut.

"Verkümmerung unserer gesamten Kultur"

Günter Wallraff war an diesem Abend auch zu Gast. Der berühmte Undercover-Reporter sprach von einer "Verkümmerung unserer gesamten Kultur" durch den Online-Handel. Amazon sei ein "Monster", das "unser ganzes gesellschaftliches Leben" in Gefahr bringe. Ich dachte an die Rentiere auf meinem Pulli und fragte mich das erste Mal, was der Kauf eines Pullovers mit unserem Gesellschaftssystem zu tun haben könnte.

Da sprang Patrick Palombo ein. Er führte einst beim Quelle-Konzern das Internet-Shopping ein und war so ziemlich der einzige Amazon-Befürworter in der Runde. "Es hat angefangen mit dem Tante-Emma-Laden. Dann gab es in der Boom-Zeit nach dem Krieg die Warenhäuser. Dann kamen die Discounter. Ich erinnere auch an die Katalog-Versender. Aber es hat noch nie ein Medium das andere ersetzt. Es wird auch nie nur einen Vertriebsweg geben. Aber es wird eine Verlagerung geben."

Firmensitz in Luxemburg: "Das ist asozial"

Es war der Beginn einer Diskussion, wie und zu welchem Preis Amazon unser Konsumverhalten verändert hat und ob der Internet-Gigant nicht überdies ein höchst fragwürdiges und eventuell sogar verweigerungswürdiges Unternehmen darstellt. Yogeshwar und Heinemann wiesen darauf hin, dass Deutschland für Amazon der zweitgrößte Absatzmarkt der Welt sei, sich hierzulande zu einem "gefährlichen Quasi-Monopolisten" (Heinemann) aufgeschwungen habe, der Firmensitz allerdings in Luxembourg liege und Amazon so in Deutschland keine Steuern zahle.

"Das ist für mich asozial", stellte Yogeshwar klar und stellte eine Verbindung zur aktuellen Diskussion über die Maut für Ausländer her. "Wenn ich mir vorstelle, dass ein Großteil der Amazon-Logistik über LKWs läuft, die die meisten Schlaglöcher auf unseren Autobahnen machen, erwarte ich, dass die Politik irgendwann sagt: Stopp!"

Amazon befindet sich in einem "Lernprozess"

Anschließend klopften die Diskutanten die Arbeitsbedingungen bei Amazon ab, eine Maschinerie bemerkenswerter Logistik, in der jeder Handgriff unter dem Diktat der Effizienz durchgeführt wird. Eine Welt, die auf Systemen beruht, in deren Weiterentwicklung der Konzern laut Palombo jährlich über vier Milliarden Dollar investiert. Eine Welt, die rein unternehmerisch vorbildlich organisiert und über die Jahre beispielhaft optimiert worden ist.

Wenn nicht, laut Wallraff, die Angestellten "wie Arbeitssklaven behandelt werden" würden. Dem widersprach – zumindest zaghaft – der im Publikum anwesende Koblenzer Betriebsratsvorsitzende Norbert Faltin. Amazon befinde sich zwar noch immer in einem "Lernprozess". Doch Faltin versicherte, dass heute keine Leiharbeiter mehr aus dem Ausland angeheuert und zu Niedrigtarifen ausgebeutet werden würden. "Heute arbeitet niemand mehr unter zehn Euro pro Stunde", beteuerte Faltin und schloss nicht nur Festangestellte, sondern auch befristete Mitarbeiter und Leiharbeiter ein.

Vertretbarer Kauf oder schlechtes Gewissen?

Macht diese Aussage des Betriebsrates unser Leben als Konsument also wieder einfacher? Müssen wir kein schlechtes Gewissen haben, weil wir nun zu wissen glauben, dass die Mitarbeiter bei Amazon wenigstens anständig bezahlt werden? Jauch fragte Laura Karasek, ob die Diskussion ihr Konsumverhalten verändert habe. Ich fühlte mich ebenso angesprochen und fragte mich: Muss ich mich nun grämen oder nicht, meinen Pullover bei Amazon bestellt zu haben?

Sollte ich trotz der zehn Euro Stundenlohn an den armen Wicht denken, der unter immensem Zeitdruck in einer Lagerhalle mitsamt elektronischer Überwachung durch die Gänge hetzt, um mir meinen Wunsch zu erfüllen? Oder sollte ich vielmehr froh sein, dass es genau für solche eigentlich sinnlosen Einkäufe einfache Lösungen wie Amazon gibt? Schließlich kann ich ja immer noch in Ruhe in die Stadt gehen, wenn es um die vielen Weihnachtsgeschenke geht, die ich noch zu kaufen habe. Dann, wenn es um das Persönliche eines Geschenks geht, steht mir womöglich auch wieder der Sinn nach einem netten Gespräch mit der Buchverkäuferin meines Vertrauens.

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