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Corona-Krise: Der Steuerzahler geht für die EU ins Risiko – ohne es zu spüren


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Wiederaufbaufonds
Der Steuerzahler geht für die EU ins Risiko – wird das aber kaum spüren

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 21.07.2020Lesedauer: 4 Min.
Nach dem EU-Gipfel: Hinter Bundeskanzlerin Angela Merkel liegen vier volle Verhandlungstage.Vergrößern des Bildes
Nach dem EU-Gipfel: Hinter Bundeskanzlerin Angela Merkel liegen vier volle Verhandlungstage. (Quelle: afp)
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Vier Tage haben die Staats- und Regierungschefs verhandelt – und am Ende zum Glück eine Verständigung erreicht. Was das für den deutschen Steuerzahler bedeutet.

Rekordlänge, Rekordärger, Rekordergebnis: Wenn die Dauer des derzeitigen europäischen Gipfeltreffens ein Maßstab ist, dann haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union an diesem Wochenende bewiesen, dass sie die Tiefe der Krise verstanden haben.

Wenn man Gesprächsklima, Gemeinsinn, europäischen Geist bewertet, kommt man zu völlig anderen Schlüssen. Die Europäische Union hat in den vergangenen Nächten kein gutes Bild abgegeben. Doch den endgültigen Zerfall in die Interessengebiete Nord, Süd und Ost hat sie immerhin vermeiden können. Zum Glück. Denn alles andere wäre eine politische und wirtschaftliche Katastrophe.

Man kann viel gegen den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaupakt ins Feld führen. Er löst keines der strukturellen Probleme der Union, die in absehbarer Zukunft wieder aufflammen werden. Noch nie hat die EU so offen mit dem Grundsatz gebrochen, dass kein Land die Schulden eines anderen bezahlen muss.

Es geht um Summen ungekannter Höher

Noch nie hat sie so viel Geld in die Hand genommen, um eine Wirtschaftskrise zu bekämpfen. Die Vergabe des Geldes an die vom Coronavirus besonders betroffenen Länder wird zudem nicht besonders aufmerksam kontrolliert werden. Die Extrarabatte auf die Beitragszahlungen, die die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden für ihre Zustimmung herausgehandelt haben, gehen zu Lasten der Investitionen in Klima und Digitalisierung – Themen, die ausgerechnet diesen Ländern angeblich so wichtig waren.

Und: Die Rechtsstaatsformel, nach der Überweisungen aus dem EU-Haushalt an die Rechtsstaatlichkeit gebunden werden können, ist so windelweich in die Zukunft vertagt, dass selbst Polen und Ungarn ihr zustimmen können.

Vier Wege zum Abtragen der Kreditlast

Deutschland haftet mit rund 27 Prozent für den größten Anteil des Pakets. Das entspricht seinem Anteil an der Wirtschaftsleistung der Europäischen Union. Der Steuerzahler geht dafür ins Risiko, wird aber zunächst einmal nichts von der zusätzlichen Verantwortung merken.

Denn erstens finanziert die Europäische Union das Paket über eigene Anleihen, die nicht einmal auf den Gesamt-Schuldenstand der einzelnen Länder angerechnet werden. Zweitens soll mit der Tilgung frühestens 2027 begonnen werden.

Für das Abtragen dieser Schulden stehen vier Wege offen, von denen zwei den nationalen Steuerzahler ebenfalls schonen würden: Die Europäische Union könnte ein eigenes Steuerrecht bekommen, zum Beispiel in Form einer Digitalsteuer. Damit würde ein Traum vieler Europapolitiker wahr. Konzerne wie Apple, Google oder Amazon würden am Ende die Ablösung der Corona-Anleihen bezahlen.

Wahrscheinlich zahlt die EU die Schulden nie zurück

Eine andere Möglichkeit läge in Europa selbst. Die Mitgliedsländer könnten sich auf höhere Beiträge oder Einsparungen im EU-Haushalt verständigen. Das allerdings ist wenig wahrscheinlich, weil die Bürger Europas beides natürlich spüren würden.

Deshalb wird es voraussichtlich darauf hinauslaufen, die Kredite gar nicht zurückzuzahlen, sondern immer weiter umzuschulden. Hier liegt die heißeste Wette des Pakets: Nur wenn das Wirtschaftswachstum in der Union bald und kräftig anzieht, kann das gut gehen.

Die Einwände gegen das Wiederaufbaupaket sind richtig und sie müssen ernst genommen werden. Vor allem die Frage nach der Kontrolle der 390 Milliarden Euro an Zuschüssen und der 360 Milliarden Euro, die als Extrakredite in die besonders hart betroffenen Länder fließen sollen, ist wichtig.

Transparenz bei der Verwendung des Geldes ist wichtig

Denn wenn die Europäische Union sich wegen der besonderen Notlage zu gemeinsamen Schulden entschlossen hat, muss es auch einen ordentlichen Weg geben, die Vergabe des Geldes nachzuverfolgen. Sonst werden die Bürger der Länder bald laut protestieren, die von der Corona-Hilfe nicht profitieren, sie aber mitbezahlen sollen.

Alle Beteiligten haben aus der Euro-Krise gelernt. Ein enges Überwachungsregime wie in Griechenland wird es nicht mehr geben. Der wirtschaftliche Einbruch in Italien, Spanien und Portugal ist ohnehin so gravierend, dass eine haushaltspostengenaue Abrechnung der Zuschüsse und Kredite gar nicht so nötig erscheint. Alle drei Länder werden in den kommenden Jahren ohnehin all ihre Kraft darauf verwenden müssen, die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte zu bewältigen.

Trotzdem ist es richtig, wenn die Länder des Nordens auf Transparenz bestehen. Denn die Gefahr einer neuen Finanz- und Schuldenkrise ist trotz des Hilfspakets von gestern Nacht noch lange nicht gebannt. Das Hilfspaket aber soll und muss eine einmalige Aktion sein. Schon deshalb ist es wichtig, dass mit dem Geld gut umgegangen wird.

Die Achse Berlin–Paris reicht längst nicht mehr aus

Dem legendären britischen Premierminister Winston Churchill wird der Satz "Never waste a good crisis" zugeschrieben. Er meint, dass man in Krisen Dinge erreichen kann, die zu Friedenszeiten undenkbar wären.

Das gilt für das Gipfeltreffen des vergangenen Wochenendes ganz sicher. Denn die politischen Achsen Europas haben sich an diesem Wochenende deutlich verschoben. Nachdem Großbritannien aus der EU ausgeschieden ist, haben Deutschland und Frankreich haben wieder zusammengefunden.

Unbestritten aber ist dieses Bündnis schon lange nicht mehr. Ohne die beiden geht in Europa zwar immer noch nichts. Doch eine Übereinkunft zwischen Berlin und Paris reicht längst nicht mehr aus, um zu einem Konsens zu kommen. Die kleinen Länder Europas und die Osteuropäer haben die Krise gut genutzt.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Gemeinsam mit t-online.de und der Leibniz-Gemeinschaft produziert sie den Podcast "Tonspur Wissen".

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