Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Madame Moneypenny "Wer Reichtum böse findet, wird ihn nie erlangen"
Natascha Wegelin hilft Frauen, finanziell unabhängig zu werden. Ein zentraler Baustein dafür ist die Geldanlage. Wie der Einstieg am besten gelingt, was sie vom Grundeinkommen hält – und warum Frauen die Schuld für Geldprobleme nicht bei den Umständen suchen sollten.
Finanzen regeln? Mache ich später ... So denken noch immer viele Frauen in Deutschland. Dabei hätten gerade sie es besonders nötig, fürs Alter vorzusorgen. Teilzeit, geringeres Gehalt, Sorgearbeit – es gibt viele Gründe, warum Frauen eine deutlich geringere Rente bekommen als Männer.
Das liegt auch an strukturellen Ungerechtigkeiten, für die die Politik Lösungen finden muss. Doch so lange sollten Frauen nicht warten, findet Natascha Wegelin, auch bekannt als Madame Moneypenny.
Die Finanzbloggerin und Podcasterin will Frauen das Thema Geldanlage schmackhaft machen. Mehr als 100.000 Frauen vertrauen ihren Tipps – und bekommen von Madame Moneypenny dabei durchaus auch einmal einen Tritt in den Hintern.
t-online sprach mit Natascha Wegelin darüber, welchen Schritt jede Frau bei der Geldanlage zuerst gehen sollte, warum sie sich mit der Ausrede "Dafür habe ich keine Zeit" selbst betrügen und wieso Wissen alleine nicht ausreicht, um finanziell frei zu werden.
t-online: Frau Wegelin, Sie arbeiten daran, Frauen für Altersvorsorge und Geldanlage zu begeistern. Warum sind Finanzen gar nicht so langweilig, wie viele denken?
Natascha Wegelin: (lacht) Woher kommt das überhaupt, dass das so viele Leute denken? Finanzen sind nicht öde. Klar, es hat erst mal viel mit Zahlen zu tun, aber spannend ist ja, was ich damit machen kann. Ich kann mir meine Träume erfüllen, vielleicht früher in Rente gehen, schöne Reisen machen, ein stressloses Leben aufbauen. So ein Ziel ist selten öde.
Gerade Frauen haben einiges aufzuholen, weil sie über das gesamte Leben weniger verdienen als Männer. Ihre Formel für die Aufholjagd hat drei Bausteine: Geld verdienen, Geld sparen, Geld vermehren. Können Sie kurz erklären, wie die drei Dinge zusammenhängen?
Das ist relativ simpel. Ich muss natürlich erst mal Geld verdienen, damit überhaupt irgendwas reinkommt. Es nützt mir aber auch nichts, gut zu verdienen, wenn ich alles direkt wieder rausballere. Ich muss Geld verdienen und dann etwas davon sparen. Und zwar richtig: nicht zum Winterschlussverkauf gehen und denken, ich hätte etwas gespart, sondern Geld wirklich nicht ausgeben. Aber auch das reicht noch nicht.
- Frauen in Abhängigkeit: Darum ist ein Mann keine Altersvorsorge
- Lebensstandard halten: So viel Geld müssten Frauen auf dem Konto haben
Es fehlt noch der dritte Baustein.
Genau. Wir werden nicht vermögend, wenn wir das Geld nur unters Kopfkissen legen. Wir müssen es gewinnbringend anlegen, so dass das Geld, für das wir gearbeitet haben, wiederum für uns arbeitet. Bei vielen ist es doch so: Ich habe Geld verdient, lege das zur Seite und damit ist der Zyklus beendet. Aber eigentlich ist das erst der Anfang.
Und für diesen Anfang empfehlen Sie ETFs, also börsengehandelte Indexfonds, die einen Index wie zum Beispiel den Dax eins zu eins nachbilden. Sind ETFs alternativlos?
Nein, sicherlich nicht. Es kommt natürlich darauf an, in welcher Situation ich mich befinde und was ich für ein Typ bin. Ich finde ETFs super, weil Geld anlegen mit ihnen simpel ist – verglichen mit einer Immobilie beispielsweise. Da muss ich erst mal ein bisschen Kleingeld mitbringen, damit ich mir das überhaupt leisten kann. ETFs hingegen eignen sich auch für Anfängerinnen, weil ich wenig Eigenkapital brauche. Man kann schon mit 25 Euro pro Monat loslegen. Und im Gegensatz zu Einzelaktien streuen sie schön breit. Das senkt das Risiko.
- ETF-Sparplan: So sorgen Sie ganz leicht fürs Alter vor
- Lohnt sich: So viel Rendite werfen ETFs ab
Sie haben mal gesagt, mit 800.000 Euro würden Sie sich mit 65 Jahren auf der sicheren Seite wissen. Wenn man mit 30 Jahren anfängt, einen ETF zu besparen, der 6 Prozent Rendite bringt, müsste die Sparrate bei etwa 580 Euro im Monat liegen. Wenn man erst mit 40 startet, bei ungefähr 1.200 Euro. Heißt das, dass nur Gutverdiener finanziell frei werden können?
Für die ist es definitiv einfacher. Da sind wir wieder beim Dreiklang. Wenn ich weniger verdiene, kann ich weniger sparen und dann auch weniger investieren. Allerdings kann man mit Zeit viel wettmachen. Deswegen rate ich, so früh wie möglich anzufangen. Und dann sind auch die 25 Euro pro Monat schon mal besser als nichts. Aber klar ist natürlich auch: Je mehr Geld ich anlegen kann, desto besser.
- Fünf Fehler: Das sollten Sie beim Anlegen unbedingt vermeiden
Bei den meisten scheitert der Einstieg daran, dass sie nicht wissen, wo genau sie anfangen sollen. Gibt es einen ersten Schritt, der nie verkehrt ist?
Der Anfang ist immer bei sich selbst. Wo stehe ich? Viele Frauen wissen ja noch nicht einmal, was sie überhaupt verdienen. Deswegen wissen sie auch nicht, was sie sparen können. Da heißt es erst mal Haushaltsbuch führen, Einnahmen und Ausgaben in eine Excel-Tabelle eintragen.
- Mehr Geld sparen: So führen Sie ein Haushaltsbuch
Da wären wir wieder beim langweiligen Teil.
Es nützt ja nichts, da muss man einmal durch. Wenn ich eine neue Sprache lerne, muss ich erst Vokabeln pauken – das ist auch nicht das Aufregendste der Welt. Wenn ich meinen Status quo aber kenne, kann ich rückwärts rechnen. Wie viel muss ich denn genau sparen und investieren, damit ich mein Ziel erreiche? Dann geht es darum, ins Machen zu kommen.
Aber ist nicht gerade das besonders schwierig?
Das ist auch meine Erfahrung, ja. Das Problem ist weniger, sich das Wissen anzueignen. Das gibt es umsonst oder für kleines Geld, aber sich dann wirklich zu trauen, dieses Wissen zu nutzen – das ist meiner Erfahrung nach die Bruchstelle, an der viele Frauen sagen, "ja okay, jetzt weiß ich, wie es geht, aber mache ich nächstes Jahr".
Für den Start können sich Leserinnen Ihres Blogs eine Schritt-für-Schritt-Anleitung maßschneidern lassen. Dafür müssen sie zunächst einige Angaben machen – zum Beispiel über ihr Alter oder ihr Ziel. Eine Frage fällt auf: „Kann ich richtig reich werden?“ Was passiert, wenn man mit „Nein“ antwortet?
Dann bist du raus (lacht). Nein – das ist absichtlich eine Stolperfrage. Sie zielt auf den Glauben ab, die eigene Einstellung. Wer Reichtum abwertet oder böse findet, der wird ihn nie erlangen – egal, was er darunter versteht. Alles Wissen der Welt hilft dir nicht, wenn in dir ein Widerstand ist, der sagt: "Das ist ja alles ganz schön, aber ich kann doch sowieso nicht reich werden." Man muss sich auch zutrauen, dass das hinhaut. Und so ein "Nein" ist ein guter Startpunkt, um sich diese inneren Widerstände genauer anzuschauen.
Was sind denn typische Widerstände, die Frauen in sich tragen?
Da gibt es eine ganze Reihe. Typische weibliche Glaubenssätze sind zum Beispiel "Finanzen sind Männersache", "Es gehört sich nicht für eine Frau, viel Geld zu haben", "Alle Reichen sind geizig", "Alle Reichen sind böse". Solche Ansichten sind oft tief verwurzelt. Dazu kommen typische Ausreden wie "Ich bin nicht gut in Mathe". Dabei ist ein ETF-Sparplan eigentlich nur Plus, Minus und Prozentrechnung – und selbst das machen Online-Rechner für einen.
Ein Klassiker ist doch sicher auch "Dafür habe ich keine Zeit".
Oh ja! Da frage ich mich aber: Wofür hast du denn dann Zeit in deinem Leben, wenn nicht für dich und deine Familie? Da sollte man seine Prioritäten überdenken. Es ist ja nicht so, dass man keine Zeit hat, sondern es einfach nicht für so wichtig hält.
Welche Ausrede würden Sie gelten lassen?
Keine (lacht). Es ist ja die Definition einer Ausrede, dass sie kein richtiger Grund ist. Trotzdem glaube ich – und sehe das auch an mir –, dass für gewisse Themen die Zeit einfach kommen muss. Wenn man gerade andere Probleme hat, beispielsweise gesundheitliche oder in der Partnerschaft, ist es schon sinnvoll, eins nach dem anderen anzugehen. Und nicht zu sagen, jetzt muss ich heiraten und Kinder kriegen und meine Finanzen ordnen und den Kilimandscharo besteigen.
Das würde bedeuten, schwierige Umstände rechtfertigen höchstens ein Aufschieben. Was entgegnen Sie Frauen, die sagen, sie können gar nicht sparen, weil sie zum Beispiel alleinerziehend sind oder wenig verdienen?
Das ist schwierig, denn der Mechanismus ist immer der gleiche: verdienen, sparen, investieren. Egal, ob ich 100.000 Euro im Jahr verdiene oder 15.000 Euro. Da gibt es leider keine Zauberformel. Nichtsdestotrotz möchte ich dazu ermutigen, auch mit kleinen Beträgen anzufangen. Viele Leute leben in dem Trugschluss, dass sie sich nicht weiterentwickeln können. Aber wenn man das Thema einmal anfasst, beginnt man zu lernen, hat Aha-Momente. Vielleicht kann ich mein Einkommen doch noch steigern. Vielleicht kann ich mein Leben anders organisieren. Das ist nicht leicht, aber es ist immer besser, selbst aktiv zu werden. Die zweitbeste Alternative zu tun, ist immer noch besser als die beste Alternative gar nicht zu tun.
Glauben Sie, dass jede alles schaffen kann?
Grundsätzlich ja – jetzt mal abgesehen von Naturgesetzen. Ich werde definitiv keine Basketballerin mehr, weil ich 1,65 Meter bin und die letzten 34 Jahre kein Basketball gespielt habe. Aber ich denke schon, dass bei allen Menschen noch viel mehr drin ist, als sie denken. Vielleicht kann ich etwas jetzt noch nicht, aber ich kann alles lernen, was ich brauche, um an mein Ziel zu kommen. Das heißt nicht, dass jede Millionärin werden oder ein siebenstelliges Business aufbauen muss. Das eigene Leben ein Stück weit zu verbessern, würde schon reichen.
Aber auch abgesehen von Naturgesetzen hat man doch nicht auf alles Einfluss. Was ist mit ungerechten Strukturen? Braucht man nicht auch etwas Glück?
Definitiv. Diese Dinge kann ich nicht beeinflussen, aber was ich beeinflussen kann, ist die Art, wie ich die Umstände wahrnehme. Ob ich mir zutraue, daraus doch noch etwas Besseres zu machen.
Eine Ihrer Überzeugungen ist: Geld löst keine Geldprobleme. Es gibt eine Studie eines Princeton-Psychologen und eines Harvard-Ökonomen, die das Gegenteil behauptet. Wer arm ist, verbraucht demnach viel Energie für Sorgen und hat daher gar nicht die Kraft für langfristige Planung – zum Beispiel um sich schlau zu machen über Geldanlage.
Ja, die Studie kenne ich. Da geht es darum, dass Geldnot dazu führt, dass das Gehirn sozusagen überlastet ist.
Genau. Geld würde in dem Fall – so das Ergebnis der Studie – doch Geldprobleme lösen. Ist ein bestimmtes Maß an Armut also eine Grenze, ab der man es nicht mehr alleine herausschafft?
Das ist ein bisschen wie das Henne-Ei-Prinzip. Was ist der Anfang der ganzen Geschichte? Was ich mit "Geld löst keine Geldprobleme" sagen will: Viele Menschen haben wahrscheinlich Geldprobleme, weil sie nicht gelernt haben, mit Geld umzugehen. Frauen noch einmal mehr als Männer. Wenn das so ist, nützt es mir auch nichts, wenn mir jemand 50.000 Euro gibt.
Weil ich damit wieder nicht richtig umzugehen weiß?
Ja. Geld kann sicherlich ein Loch stopfen, wenn es mal knapp ist, aber nicht das grundsätzliche Problem lösen, warum ich es seit 20 Jahren nicht schaffe, aus meinem Dispo herauszukommen. Der Ansatzpunkt ist daher bei einem selber. Ich muss mir eingestehen, dass ich mich finanziell bilden muss.
Bald startet eine Studie zum bedingungslosen Grundeinkommen, bei der mindestens 120 Menschen drei Jahre lang 1.200 Euro pro Monat bekommen – was halten Sie davon?
Ich bin total neugierig darauf, was diese Studie bringt. Die Idee des Grundeinkommens finde ich an sich gut. Ich bin gespannt, wie das unsere Gesellschaft und das ganze System verändern würde. Sind die Menschen dann glücklicher? Können sie besser ihren Hobbys nachgehen? Ich denke schon, dass das bedingungslose Grundeinkommen sehr vielen Menschen helfen würde.
Vorausgesetzt, die Menschen haben gelernt, mit Geld umzugehen?
Das wäre am besten. Es wäre gut, wenn sie sich davon nicht bloß einen neuen Fernseher kaufen.
Braucht es ein Schulfach Finanzen?
Ich würde mir wünschen, dass Kids schon viel früher und offener an das Thema herangeführt werden. Aktuell ist das Aufgabe der Eltern, weil es in der Schule nicht vorkommt. Ob es aber ein Schulfach werden sollte, da bin ich zwiegespalten. Wer steht dann da vorne? Ein Sparkassenvertreter, der uns erzählt, wie toll Bausparverträge sind? Jemand aus der Wirtschaft? Die Religionslehrerin, die auch noch Finanzen mitmacht? Finanzielle Bildung gerne so früh wie möglich, aber ob die Schule das richtige Organ dafür ist, da bin ich mir nicht sicher.
Statt der Finanzlehrerin kümmern Sie sich derzeit um finanzielle Aufklärung. Wann ist Ihre Mission beendet?
Tja, gute Frage. Wahrscheinlich erst, wenn alle Frauen zumindest in Deutschland finanziell unabhängig sind. Wenn alle ihre Altersvorsorge geregelt haben. Wenn sie dabei sind, ein schönes Vermögen aufzubauen. Dann wäre Madame Moneypenny abgeschafft. Ich arbeite also aktiv an der Abschaffung meiner Existenzgrundlage (lacht). Aber bis dahin ist es noch ein sehr weiter Weg.
- Gender Pay Gap: Frauen verdienen erst 2121 so viel wie Männer
Schneller ginge es mit dem Schneeballeffekt: Wie kann ich Freundinnen helfen, finanziell unabhängiger zu werden?
Der erste Schritt ist, darüber zu sprechen. Das passiert – auch in meinem Umfeld – immer noch viel zu wenig. Wir müssen mehr über Gehälter reden, über unsere finanzielle Situation, wie wir Geld in Partnerschaften regeln, wie in der Familie. So machen wir einen Schritt in Richtung Unabhängigkeit. Unabhängig sein heißt ja auch, souveräne Entscheidungen treffen zu können. Dazu brauche ich gewisse Infos, gewisse Motivation, gewisse Inspiration, vielleicht auch Vorbilder. Ich bin großer Fan davon, Ziele gemeinsam anzugehen, sich einen Zielbuddy zu suchen.
Wie könnte das konkret aussehen?
Man könnte zum Beispiel sagen, 2021 ist unser Finanzjahr und wir setzen uns an Neujahr hin und stellen einen Finanzplan auf. Und zwar so, dass man die wichtigen Schritte zusammen durchläuft und sich gegenseitig Rechenschaft ablegen muss. Dafür könnte man einmal im Monat einen Termin machen, um die Ziele für den nächsten Monat festzulegen und daraus nächste Schritte abzuleiten. So kann man voneinander lernen, sich gegenseitig motivieren. Das Umfeld ist unglaublich entscheidend für das eigene Leben und für den eigenen Erfolg.
Zum Schluss noch drei schnelle Fragen. Für was geben Sie Geld aus, obwohl es nicht vernünftig ist?
Technik-Kram wie das neueste iPhone. Damit kriegt man mich ganz gut.
Was war Ihr letzter Fehlkauf?
Ein paar Schuhe, mit dem ich nie so richtig warm geworden bin. Die hatte ich nur dreimal an in den letzten drei Jahren.
Was würden Sie sich gerne mit Geld kaufen können?
Lebensenergie. Also fitter zu sein, mehr Energie zu haben. Fast hätte ich Lebenszeit gesagt. Ich hätte durchaus Bock, 200 Jahre alt zu werden.
Wir danken Ihnen für das Interview, Frau Wegelin.
- Gespräch mit Finanzbloggerin Natascha Wegelin
- Sendhil Mullainathan, Eldar Shafir: "Scarcity: Why Having Too Little Means so Much"
- mein-grundeinkommen.de