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Wirtschaftskrise in Deutschland: Gründe und Warnung


Experte mit zwei Aspekten
"Der Ampel allein kann man die Schuld nicht geben"


Aktualisiert am 13.01.2025 - 09:31 UhrLesedauer: 5 Min.
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Industrieproduktion (Symbolbild): Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise. (Quelle: Silas Stein/dpa/dpa-bilder)
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Die deutsche Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Wie schafft es Deutschland da heraus?

Die Zahlen zur deutschen Wirtschaft sehen düster aus. Wirtschaftsforscher prognostizieren für das kommende Jahr nur ein geringes Wachstum. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erwartet etwa, dass die Konjunktur um 0,1 Prozent wächst. Auch das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) geht von einem solchen Mini-Plus aus.

Schon fast optimistisch gibt sich die Industriestaatengemeinschaft OECD, die ein Plus von 0,7 Prozent erwartet. Damit ist Deutschland im Vergleich mit anderen OECD-Staaten aber immer noch das Schlusslicht. Timo Wollmershäuser, Leiter der Konjunkturforschung am Münchner Ifo-Institut, stellt im Gespräch mit t-online fest: "Wir kommen seit fünf Jahren nicht von der Stelle."

Doch woher rührt die schlechte Wirtschaftslage? Und: Was braucht es nun? Während die Diagnose recht schnell gestellt ist, streiten sich Experten und Politiker über die Ursachen – und insbesondere die Maßnahmen. Doch von vorn.

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Experte Wollmershäuser konstatiert, dass sich die Welt nach der Corona-Pandemie und der Energiepreiskrise erholt habe. "Deutschland aber profitiert von der Erholung nicht", sagte er. Damit meint der Ökonom die deutsche Industrie, deren Exporte lahmen.

Stattdessen gewinne China immer größere Marktanteile, auch in Feldern, in denen die Deutschen eigentlich Vorreiter waren: Automobilindustrie und Maschinenbau. Laut Wollmershäuser steckt die Wirtschaft aber neben der Konjunkturkrise zusätzlich in einer Strukturkrise, die erst jetzt vollends sichtbar wird. Dazu gleich mehr.

Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen
Timo Wollmershäuser (Quelle: ifo)

Zur Person

Timo Wollmershäuser (geboren 1972) ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler und seit 2014 Leiter der Konjunkturforschung und -prognosen am Ifo-Institut. Außerdem ist er stellvertretender Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen. Seine Schwerpunkte liegen auf Konjunkturanalysen, Prognosen sowie makroökonomischen Fragestellungen, darunter Inflation und Wirtschaftswachstum.

IMK-Forscher: Handelskrieg zwischen China und den USA

Die Wirtschaftsforscher des IMK analysierten ebenfalls die Gründe für das geringe Wirtschaftswachstum. Demnach sei dies nicht auf hohe Lohnkosten oder Sozialausgaben zurückzuführen – sondern vor allem die Folge von veränderten Rahmenbedingungen und des Machtkampfes zwischen den wichtigen Handelspartnern China und USA.

Beide Länder haben laut IMK-Direktor Sebastian Dullien ihre industrie- und handelspolitischen Aktivitäten – etwa durch Subventionen nationaler Unternehmen und Zölle – deutlich verstärkt. Darunter leide die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Zudem wirke der durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelöste Energiepreisschock noch immer nach, was auch Wollmershäuser konstatiert.

Tatsächlich sparen viele Menschen, statt ausgiebig zu konsumieren. Und das, obwohl sich die Inflation zuletzt abgeschwächt hat. Die zeitweise gestiegenen Preise, Kriege und wirtschaftliche Verunsicherung drücken weiterhin auf die Stimmung und Kauflaune.

"Hier hat Deutschland den Anschluss verpasst"

Wollmershäuser geht aber in der Ursachenforschung über die derzeitige Konjunkturkrise hinaus. Zwei Punkte hält der Ökonom in der aktuellen strukturellen Krise für entscheidend: Zum einen die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft viel zu lange auf Öl und Gas gesetzt hat – beides kam lange Zeit sehr billig aus Russland. "In Sachen Dekarbonisierung hat Deutschland den Anschluss verpasst."

Zum anderen hält der Experte die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für schlecht. "Unternehmen überlegen sich oft zweimal, ob sie in Deutschland – oder nicht günstiger im Ausland investieren", sagt der Experte.

Beides Punkte, die in den vergangenen 15 Jahren liegen geblieben seien – also auch unter den Großen Koalitionen. "Der Ampel allein kann man die Schuld sicher nicht geben."

"Das hält viele Firmen vom Investieren ab"

Deutschland ist zudem im internationalen Vergleich unter den Spitzenreitern, was die Steuerlast für Unternehmensgewinne angeht. Wollmershäuser kritisiert darüber hinaus die "ausufernde Bürokratie". "Das hält viele Firmen vom Investieren ab", sagt er.

Dazu kommt die demografische Krise, in die Deutschland rutscht: Auf immer mehr Rentner kommen immer weniger Erwerbspersonen, was die Rentenkasse vor ein Finanzierungsproblem stellt (mehr dazu lesen Sie hier).

Die Industrie sucht derweil dringend nach Fachkräften. "Die Hürden für Fachkräfte aus dem Ausland sind leider viel zu hoch", sagt Wollmershäuser. Er verweist etwa auf umfangreiche Sprachtests, die Fachkräfte zunächst absolvieren müssten.

Und die Arbeitszeit in Deutschland geht seit Jahren zurück – und mit ihr die Produktivität. Zwar gab es im Jahr 2024 mit rund 46 Millionen eine Rekordzahl an Erwerbstätigen. Zugleich hat sich die Zahl der von ihnen geleisteten Arbeitsstunden seit 1990 nicht erhöht, weil viele in Deutschland nur in Teilzeit arbeiten. "Es gibt eine ganze Palette an Faktoren, die die deutsche Wirtschaft aktuell lähmen", fasst Wollmershäuser zusammen.

Folge der Konjunktur- und Strukturkrisen: Die Zahl der Firmenpleiten zieht an. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform rechnet für das vergangene Jahr mit 22.400 Unternehmensinsolvenzen in Deutschland. Das wäre der höchste Stand seit 2015. Im neuen Jahr könnten die Zahlen demnach den Höchststand des Krisenjahres 2009 mit mehr als 32.000 Fällen erreichen.

Ökonom mit drastischen Vorschlägen für Reform

Wie aber die aktuelle Krise lösen? Darüber streiten sich besonders Politiker – gerade im Bundestagswahlkampf. Wirtschaftsexperte Wollmershäuser hat sich umfassende Gedanken dazu gemacht. Er empfiehlt, die Unternehmenssteuern zu senken und beschleunigte Abschreibungsregeln für Firmen auszuweiten. Gleichzeitig schlägt er vor, "die Steuern in den unteren Einkommensklassen zu senken". Auch um den Faktor Arbeit wieder attraktiver zu machen.

Und er sagt: "Deutschland hat ein Ausgabenproblem. Die Ausgabenliste muss gekürzt werden." Was der Volkswirt damit meint: "Wir müssen überlegen, welchen Staatskonsum und welche Subventionen wir uns noch leisten können." Alle Staatsausgaben sollten überprüft werden, einschließlich Subventionen wie das Dienstwagenprivileg. Auch Transferleistungen wie das Bürgergeld könnten angepasst werden, so der Experte.

Sein Vorschlag, sollte das nicht ausreichen: "Dann könnte eine Regierung auch über eine minimale Erhöhung der Mehrwertsteuer nachdenken. Ein Prozentpunkt würde hier bereits enorme Einnahmen bringen", sagte er. Aktuell liegt sie bei 19 Prozent, die reduzierte bei 7 Prozent. Die Einnahmen daraus lagen im Jahr 2023 bei rund 291 Milliarden Euro – und machten damit den größten Punkt bei den Steuererträgen aus.

An der Frage nach den Staatsausgaben ist letztlich auch die Ampelkoalition gescheitert. Wollmershäuser hat einen Appell an die künftige Regierung: "Die Schuldenbremse sollte maximal leicht gelockert werden. Von einer Aussetzung halte ich aber nichts."

Der Grund: Die Schuldenregel diszipliniere die Regierung. Das sei auch "eine Frage von Gerechtigkeit", sagte er. "Sonst bürden wir den nachfolgenden Generationen einen immensen Schuldenberg auf, den sie abtragen müssen. Das kann nicht unser Ziel sein."

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Institut fordert Investitionsoffensive

Das IMK setzt derweil eher auf den Staat. Es müsse eine Investitionsoffensive geben, um die Infrastruktur zu modernisieren, forderte es, "von Schienen, Straßen, Netzwerkkabeln, Stromnetzen bis zu Schulen". Außerdem müsse das Problem hoher und volatiler Strompreise angegangen werden – kurzfristig über einen Brückenstrompreis und längerfristig durch eine Finanzierung des Netzausbaus über öffentliche Kredite.

Nicht zuletzt müsse der Fokus auf einer EU-koordinierten neuen Industriepolitik liegen, um sich nicht "verdrängen" zu lassen, sagte IMK-Direktor Dullien. Die EU-Handelspolitik müsse "offen, aber wehrhaft" reagieren, wenn insbesondere China und die USA in einem ökonomischen Ringen "um die globale Vorherrschaft" zunehmend Regeln der Welthandelsorganisation ignorierten, rieten die Forschenden.

Das Thema spielt auch eine Rolle im Bundestagswahlkampf. Die CDU kündigte jüngst eine "Agenda 2030" an – mit umfangreichen Steuersenkungen (mehr dazu lesen Sie hier). Die Frage nach der Schuldenbremse lässt die Partei indes explizit offen.

Laut Wollmershäuser wäre eine umfassende Wirtschaftsreform auch dringend nötig. "Aktuell ist der Druck im Kessel womöglich noch nicht groß genug", sagt Wollmershäuser. Aber: "Geht eine neue Regierung keine umfassende Wirtschaftsreform an, werden wir langfristig einen Wohlstandsverlust auf breiter Front sehen. Die Einkommenszuwächse werden stets geringer ausfallen, Jahr für Jahr werden wir weiter zurückfallen." Ein Szenario, das wohl niemand haben will.

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  • Eigene Recherche

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