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Ungarn befürchtet Energiekrise – Ukraine kappt Zugang Öl aus Russland


Ukraine kappt Zugang zu russischem Öl
Ungarn droht die Energiekrise

Von t-online, sic

Aktualisiert am 22.07.2024Lesedauer: 4 Min.
imago images 0706418103Vergrößern des Bildes
Viktor Orbán spricht bei einer Pressekonferenz in Moskau Anfang Juli: Die ungarisch-ukrainischen Beziehungen sind schwer belastet – auch wegen Orbáns Besuch bei Putin. (Quelle: IMAGO/Valery Sharifulin/imago)

Die Ukraine dreht Ungarn den Zugang zu russischem Öl ab – zumindest in weiten Teilen. In Budapest befürchtet die Orbán-Regierung nun eine handfeste Energiekrise.

Die Beziehungen zwischen Ungarn und der Ukraine sind auf einem Tiefpunkt. Kiew kritisiert die Regierung in Budapest schon lange für seinen russlandfreundlichen Kurs. Dann reiste Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán kürzlich auch noch zu Kremlchef Putin nach Moskau und zog damit erneut den Zorn der ukrainischen Regierung auf sich. Neue Sanktionen der Ukraine gegen Russland bergen nun weiteres Konfliktpotenzial.

Bereits im Juni hatte die Ukraine den Transport von russischem Öl des Konzerns Lukoil über ihr Territorium endgültig verboten. Lukoil versorgt über den südlichen Teil der Druschba-Pipeline noch Ungarn und die Slowakei mit Öl. Andere Exporteure dürfen die Pipeline weiter nutzen. Trotz der von Kiew verhängten Sanktionen gegen Lukoil liefen die Transporte zunächst weiter, doch am vergangenen Donnerstag meldeten beide Länder dann, dass sie kein Lukoil-Öl mehr über die Pipeline erhielten.

Besonders Ungarn setzt das unter Zugzwang. Laut dem US-Portal "Politico" erhält Ungarn 70 Prozent seiner Ölimporte aus Russland, die Hälfte davon stammt vom Konzern Lukoil. Nun ist diese wichtige Quelle versiegt. Ungarn droht dadurch eine handfeste Energiekrise. Es könnte zu Stromausfällen und Treibstoffknappheit kommen.

"Könnte zu einer ernsten Situation führen"

Die Ungarn-Expertin Ilona Gizińska vom Centre for Eastern Studies sagte "Politico" dazu: "Die ukrainischen Maßnahmen könnten zu einer ernsten Situation führen." Binnen weniger Wochen könnten die Energiepreise explodieren und Stromausfälle drohen – außer Ungarn finde eine Lösung.

In Budapest arbeitet die Regierung wohl bereits unter Hochdruck daran. Außenminister Péter Szijjártó erklärte am Freitag in einer Pressekonferenz: "Es ist uns gelungen, die Situation mit vorübergehenden Lösungen zu stabilisieren, aber diese werden auch in naher Zukunft nicht ausreichen." Man habe versucht, mit den ukrainischen Behörden eine Lösung zu finden, doch trotz anfänglich gutem Willen der Ukrainer sei dieser nun verebbt. Jetzt drohen Szijjártó zufolge langfristige Folgen für Ungarns Energiesicherheit.

In der Ukraine bringt man derweil wenig Verständnis für die ungarische Kritik auf. Inna Sowsun von der Oppositionspartei Holos sagte "Politico", dass die Ukraine die Dinge nun selbst in die Hand nehmen wolle: "Wir warten seit über zwei Jahren darauf, dass die EU und die G7 echte Sanktionen gegen russisches [Pipeline-]Öl einführen." Es sei "absurd", dass Russland erlaubt werde, Öl durch die Ukraine zu transportieren und mit dem so eingenommenen Geld seinen Angriffskrieg gegen das Nachbarland zu finanzieren.

Slowakei wettert gegen Kiews Sanktionen

Die EU hatte kurz nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine Sanktionen gegen den Import von russischem Öl über den Seeweg verhängt. Damit wollte Brüssel den Ländern in Ost- und Zentraleuropa ein Zeitfenster einräumen, um sich um andere Lieferquellen zu kümmern. Doch vor allem Ungarn und die Slowakei haben an den Pipeline-Geschäften mit Russland festgehalten.

Auch die slowakische Regierung reagiert ungehalten auf den ukrainischen Alleingang. Premierminister Robert Fico erklärte am Samstag, dass sich sein Land nicht zur "Geisel der ukrainisch-russischen Beziehungen" machen werde. "Die Aufnahme von Lukoil in die Sanktionsliste ist nur ein weiteres Beispiel für sinnlose Sanktionen, die nicht der Russischen Föderation, sondern vor allem einem (EU-)Mitgliedstaat schaden, was inakzeptabel ist", hieß es aus Ficos Büro. Der Premierminister gilt seit Langem als scharfer Kritiker der Russland-Sanktionen.

Laut Regierungsangaben erhält die größte slowakische Raffiniere Slovnaft nun 40 Prozent weniger Öl, als sie eigentlich benötigt. Slovnaft gehört dem ungarischen Mineralölkonzern MOL. Das könnte demzufolge einerseits die slowakischen Märkte beeinträchtigen, andererseits aber auch dazu führen, dass die Slowakei Dieselexporte an die Ukraine einstellt. Eine unverhohlene Drohung an Kiew.

"Wir haben wirklich alle diplomatischen Lösungen ausprobiert"

Doch auch die Ukraine hat wohl über die Verhinderung russischer Öleinnahmen hinaus weitere Motive für die Lukoil-Sanktionen. Die Abgeordnete Sowsun sagte "Politico", dass Kiew versuche, Ungarn dazu zu bewegen, seine Opposition gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aufzugeben. "Wir haben wirklich alle diplomatischen Lösungen ausprobiert, und sie haben nie funktioniert", sagte sie. "Es scheint also, dass wir andere Wege finden müssen, um mit ihnen zu reden."

Die ungarisch-ukrainischen Beziehungen hatten sich zuletzt zugespitzt, weil Ungarns Ministerpräsident Orbán Anfang Juli nach Moskau reiste, um sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen. Orbán deklarierte die Reise als "Friedensmission". Wenige Tage später besuchte er zudem Chinas Staatschef Xi Jinping in Peking und den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump in den Vereinigten Staaten. Die erste Station seiner "Friedensmission" – also noch vor dem Moskau-Besuch – war jedoch Kiew. Die Reisen erfolgten ohne Abstimmung mit der EU oder der ukrainischen Regierung.

Selenskyj über Orbán: "Warum sollten wir so eine Person beachten?"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisierte die Alleingänge Orbáns scharf. "Wenn jemand Reisen in die Hauptstadt des Kriegs machen will, um zu reden und vielleicht irgendwas auf Kosten der Ukraine zu versprechen, warum sollten wir so eine Person beachten?", sagte Selenskyj beim Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft am Donnerstag bei Oxford. Moskau sei immer interessiert, die Geschlossenheit des Westens durch individuelle Angebote oder auch Erpressung zu brechen, sagte er.

Video | Orbán überraschend zu Besuch bei Putin
Quelle: Glomex

Moskau bezichtigte die Ukraine einer "politischen Entscheidung". Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, die Situation sei "kritisch" für Länder, die weiterhin russisches Öl beziehen. Laut dem ungarischen Außenminister Szijjártó arbeite Ungarn jedoch bereits mit Russland an einer "Lösung".

Noch im vergangenen Jahr hat Russland laut Berechnungen der Kyiv School of Economics rund 180 Milliarden Dollar durch seine Ölgeschäfte eingenommen. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge, die sich auf Quellen in der Industrie bezieht, wurden zuletzt monatlich rund 1,1 Millionen Tonnen Öl durch die Druschba-Pipeline transportiert, wovon insgesamt gut 900.000 Tonnen an die Slowakei und Ungarn gingen. Die Pipeline versorgt zudem auch Tschechien.

Verwendete Quellen
  • reuters.com: "Slovakia, Hungary say Ukraine has halted Lukoil's Russian oil transit" (englisch)
  • kse.ua: "Russian Oil Tracker, January 2024" (englisch)
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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