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Ukraine-Krieg: Wirtschaft in Russland wächst – Putin fürchtet die Rechnung


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Hohe Kriegskosten für Russland
Putin plündert den Wohlstandsfonds


21.07.2024Lesedauer: 6 Min.
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Wladimir Putin (Archivbild): Für den russischen Präsidenten ist der bereits seit mehr als zwei Jahren andauernde Krieg gegen die Ukraine eine heikle Rechnung. (Quelle: IMAGO/Vyacheslav Prokofyev/imago)
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Die russische Wirtschaft wirkt überraschend stabil trotz enormer Kriegskosten. Tatsächlich soll sie laut Prognosen sogar weiter wachsen. Wie lang kann Putin seinen Krieg gegen die Ukraine also noch finanzieren?

Die russische Wirtschaft wirkt auf den ersten Blick stabil – überraschend stabil. Immerhin befindet sich das Land seit seinem Angriff auf die Ukraine vor mehr als zwei Jahren im Krieg.

Aber die Produktion von Waffen kurbelt die Industrie an, Rohstoffe werden statt an die EU an Indien und China verkauft, in russischen Geschäften herrscht trotz Sanktionen kein Mangel: Geht Russland also zumindest wirtschaftlich als Gewinner aus dem Krieg hervor?

Ganz so einfach ist es nicht. Denn der Schein trügt.

Prognosen sagen russisches Wachstum voraus

Zunächst ein Blick auf die Zahlen: Die russische Wirtschaft wächst und das wird auch erst einmal so bleiben. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet in seinem Sommerupdate für das kommende Jahr mit einer Steigerung um 1,5 Prozent.

Damit verlangsamt sich das Wachstum allerdings deutlich. Zuvor hatte die Organisation noch mit 1,8 Prozent gerechnet. Für das laufende Jahr sind es sogar 3,2 Prozent. Zum Vergleich: Für Deutschland geht der IWF von einem Wachstum von 1,3 Prozent im kommenden Jahr aus.

Experten erwarten aber, dass dieses Wachstum nicht nachhaltig ist, da es vor allem die Industrie ist, die durch die Waffenproduktion wächst. Die Produkte, die hier gefertigt werden, haben oft nur eine kurze Lebensdauer im Krieg und schaffen somit keine Gegenwerte. Hinzu kommt die große Abhängigkeit der russischen Wirtschaft von den Einnahmen aus dem Rohstoffhandel. Melinda Fremerey, Ökonomin am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW), spricht vom "Rohstoff-Fluch".

Russischer Rohstoffhandel wurde angepasst

In den vergangenen Jahren habe das Öl- und Gasgeschäft mehr als 40 Prozent der Gesamteinnahmen des Staatshaushaltes in Russland ausgemacht, so Fremerey. "Von den weltweit fünf größten Exporteuren dieser Brennstoffe hatte Russland vor dem Krieg die zweitgrößte Abhängigkeit von Abnehmerländern – mehr als die Hälfte floss in die EU, trotz aller hiesigen Pläne auf mehr grüne Energie zu setzen", sagt sie im Interview mit t-online. Das ganze Gespräch lesen Sie hier.

Nach Beginn des Krieges verhängte Russland einen Lieferstopp für Gas nach Deutschland. Die EU beschloss einige Monate später ein Ölembargo.

Doch Russland hat – zumindest in Teilen – neue Großabnehmer in China und Indien gefunden. Laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax exportierte Russland so im vergangenen Jahr 90 Millionen Tonnen Öl nach Indien, doppelt so viel wie 2022. Damit hatte Indien einen Anteil von rund 40 Prozent an den russischen Ölverkäufen, weitere 45 bis 50 Prozent entfielen auf China.

Anders sieht die Lage allerdings beim Gas aus. Auch hier hatte Russland gehofft, schnell auf andere Kunden umsteigen zu können, doch braucht es hierfür entsprechende Lieferwege. Und während es nach Europa gleich mehrere große Pipelines gibt, befindet sich die geplante Strecke "Kraft Sibiriens 2" über die Mongolei nach China noch im Bau. Entsprechend ist das Exportvolumen deutlich gesunken. 2021 lieferte Russland noch gut 240 Milliarden Kubikmeter Gas aus, 2023 waren es nur noch rund 138 Millionen Kubikmeter.

All das heißt übrigens nicht, dass gar keine russischen Energieträger mehr nach Deutschland kommen. Einige europäische Länder treiben weiterhin Handel mit Russland, etwa die Schweiz oder Ungarn. Zudem bezieht Deutschland in geringeren Mengen etwa Öl aus Indien, das mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Russland stammt und lediglich weiterverarbeitet wurde. Russland sind also insgesamt deutlich weniger Einnahmen weggebrochen, als viele Politiker in der EU mit Blick auf die Sanktionen zunächst erwartet hatten.

Kriegskosten steigen immens

Den Einnahmen und Wachstumsprognosen stehen aber dennoch die hohen Kriegskosten gegenüber. Fest steht: Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist teuer für Russland. Die genauen Zahlen veröffentlicht der Kreml nicht, doch es gibt Schätzungen. Im Februar 2024 schätzte die US-Regierung die bisherigen russischen Ausgaben auf bis zu 211 Milliarden US-Dollar. Die Summe beinhalte direkte finanzielle Aufwendungen für die Ausrüstung, den Einsatz und die Aufrechterhaltung der russischen Militäroperationen in der Ukraine, sagte eine hochrangige Beamtin im US-Verteidigungsministerium.

Doch das sind eben nur Kosten für die laufenden Operationen. Der Sold der kämpfenden Soldaten wird von Moskau bezahlt. Experten schätzen die Zahl der getöteten oder verletzten russischen Militärangehörigen auf über 300.000, laut Angaben des britischen Senders BBC aus dem April konnten über 50.000 getötete russische Soldaten bestätigt werden. Die tatsächliche Zahl dürfte aber deutlich darüber liegen.

Wenn russische Soldaten in der Ukraine sterben, bekommen ihre Familien vom Staat Kompensationszahlungen. Die Gesamtkosten steigen also für Moskau stetig.

Neben den Subventionen für die Kriegswirtschaft muss Russland außerdem Waffen im Ausland einkaufen: Laut US-Angaben hat das den Kreml bislang zehn Milliarden Dollar gekostet.

Wichtig in dem Zusammenhang: Das sind lediglich die Kosten, um die Operationen in der Ukraine fortzusetzen, Soldaten auszubilden und zu bezahlen und um verlorenes Kriegsgerät nachzuproduzieren. Die russische Armee hat den Krieg bisher größtenteils mit Panzern und gepanzerten Fahrzeugen aus ihren Beständen geführt und besonders beim Kriegsgerät ist das Land weit vom Vorinvasionszustand entfernt. Diese Verluste müssen noch mit dazu gerechnet werden, zusammen mit den Kosten für wegfallende Rüstungsgeschäfte.

Denn Russland kann sein Kriegsgerät teilweise nicht mehr ins Ausland verkaufen, weil es dieses selbst in der Ukraine benötigt. So war das Land laut Angaben des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI von 2016 bis 2020 noch der zweitgrößte Waffenexporteur der Welt, mit einem Weltmarktanteil von 20 Prozent. In den Jahren 2019 bis 2023 fiel Russland auf den dritten Platz, mit einem Anteil von nur noch elf Prozent. Und der Absturz dürfte weitergehen, weil in der Statistik noch zwei Jahre vor der russischen Invasion miterfasst wurden.

Es geht an die Rücklagen

Aber wie bezahlt Putin das? Der Kreml hat in den vergangenen Jahrzehnten gut gehaushaltet, viel Geld aus den russischen Rohstoffgeschäften in einem Wohlstandsfonds (NWF) angelegt. Der Name ist trügerisch. Denn diese Rücklagen dokumentieren eher die kriegerischen Ambitionen, die Putin schon viele Jahre hegte.

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Der russischen Bevölkerung hat der NWF dagegen keinen Wohlstand gebracht, noch im Jahr 2021 lebten in dem rohstoffreichsten Land der Erde mindestens 19 Millionen Russen (oder 13 Prozent der Bevölkerung) laut offiziellen Angaben unter der Armutsgrenze.

Nun zehrt der Krieg am Wohlstandsfonds, besonders wenn die Gewinne aus Rohstoffverkäufen wegfallen. Daraus folgt: Die Hälfte, rund 60 Milliarden US-Dollar, sollen laut US-Angaben bereits weg sein – und dieser Verfall dürfte sich weiter beschleunigen. Denn als die Rohstoffpreise 2022 zunächst anstiegen, machte Gazprom in diesem Jahr noch einen Gewinn von fast 12,5 Milliarden Euro und konnte somit auch mehr in den NWF einzahlen. Das ist jetzt anders: Putin muss an seine Reserven.

Wie lange hält Russland den Krieg noch durch?

Das klingt aus ukrainischer und westlicher Perspektive positiv, doch Vorsicht ist geboten. Denn natürlich können auch die Verantwortlichen im Kreml rechnen und Putin weiß, dass er reagieren muss. Es gilt als unwahrscheinlich, dass Russland als Staat durch den Ukraine-Krieg bankrottgehen wird. Aber eines steht fest: Das Land könnte zu einem gescheiterten Staat werden.

Experten gehen davon aus, dass Russland mit den aktuellen Rücklagen diese Invasion noch mindestens bis Mitte 2025 weiterführen kann. Bastian Giegerich, Generaldirektor des International Institute for Strategic Studies (IISS), prognostizierte im Gespräch mit "Politico" im Februar: Russland werde seine Kriegsanstrengungen in der Ukraine "noch zwei bis drei Jahre aufrechterhalten können". "Aber dabei wird es Qualität zugunsten der Quantität opfern müssen." Damit ist vor allem die Rüstungsproduktion gemeint.

Doch diese Prognosen sind allenfalls Schätzungen, die sich an der aktuellen Realität orientieren. Natürlich wird der Kreml auch Maßnahmen ergreifen, um diesem Trend notfalls entgegenzuwirken. Ein paar Beispiele:

  • Russland könnte sich weiter verschulden. Der Krieg hat die russische Politik gezwungen, mehr Kredite aufzunehmen, vor allem bei russischen Staatsbanken. Aber die Schulden des Landes machen immer noch nur knapp 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Das ist sehr wenig im internationalen Vergleich.
  • Putin bereitete das Land schon bei seiner jährlichen Pressekonferenz zum Jahreswechsel auf Steuererhöhungen vor. Der damals stellvertretende Ministerpräsident und heutige Verteidigungsminister, Andrei Beloussow, erklärte im Februar, dass die Duma einen "freiwilligen Beitrag" großer russischer Unternehmen diskutiert. Doch wie freiwillig dieser Beitrag sein würde, ist fraglich.
  • Letztlich wird der Kreml versuchen, die nicht-militärischen Staatsausgaben zu senken. Maxim Mironow, Professor an der IE Business School ins Madrid mit Schwerpunkt Unternehmensfinanzen, sagte der britischen "Financial Times": Die Regierung könnte beschließen, "nicht in die Infrastruktur zu investieren und keine Straßen zu reparieren – wie in den 90er-Jahren, da die Russen Veränderungen ihrer Lebensqualität gegenüber sehr tolerant sind".

Somit ist es völlig unklar, wie lange Putin seinen Krieg noch wird führen können. Fest steht nur: Putins Invasion ist für Russland ein finanzieller Albtraum, ein Fass ohne Boden. Dieser Krieg wirft das Land und den Wohlstand um Jahre zurück, weil Gelder ins Militär fließen, die andernorts gebraucht werden. Und all das riskiert Putin lediglich für koloniale Fantasien über Gebiete der Ukraine. Die Endabrechnung kann noch nicht ausgestellt werden, aber sie wird laut Experten wahrscheinlich Putins Vermächtnis sein.

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