Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Inflation weltweit Leere Regale, hohe Kosten
Seit dem russischen Angriffskrieg bereitet Deutschland die hohe Inflation Probleme. Doch in anderen Ländern sind die Folgen noch dramatischer. Ein Überblick.
Es könnte ein erstes Aufatmen sein: War die Inflationsrate in Deutschland seit dem vergangenen Februar nahezu konsequent gestiegen, ging sie heute deutlich nach unten: Für den März gab das Statistische Bundesamt die Teuerungsrate mit 7,4 Prozent an, in Januar und Februar lag sie noch bei 8,7 Prozent.
In anderen Ländern ist von einer Trendumkehr nichts zu sehen: In vielen Teilen der Welt hat die Teuerung die Wirtschaft fest im Griff – doch wo sind die Folgen besonders dramatisch und wie gehen andere Staaten gegen die Geldentwertung vor? t-online gibt einen Überblick aus sechs Ländern:
Frankreich: Aufruf zum "Anti-Inflationsquartal"
In der Grande Nation lag die Inflation im Februar bei 6,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat – und damit unter dem europäischen Durchschnitt von 9,9. Statt der Energiepreise treiben inzwischen hohe Lebensmittelkosten die Steigerungen an. Diese waren im Februar um 14,5 Prozent teurer als im Jahr zuvor. In Deutschland stiegen sie im gleichen Zeitraum um 21,8 Prozent.
Trotzdem haben große Einzelhändler und die Regierung Anfang März das sogenannte "Anti-Inflationsquartal" beschlossen. Mit deutlich günstigeren Preisen für Produkte des täglichen Bedarfs soll bis Juni die Entwicklung gebrochen werden.
Die Kosten für das Projekt trägt der Handel. Dafür dürfen die Anbieter entscheiden, welche Produkte sie günstiger abgeben wollen und im Juni außerhalb der Reihe noch einmal mit den Herstellern nachverhandeln. Das Wirtschaftsministerium überprüft, ob die Vereinbarung eingehalten wird. Die Supermarktkette Carrefour etwa kündigte an, vor allem Produkte ihrer Eigenmarken herabzusetzen.
Großbritannien: Gemüse als Mangelware
Eigentlich hatte man sich schon auf Entspannung auf der Insel eingestellt, doch es kam anders: Die Teuerungsrate stieg im Februar auf 10,4 Prozent. Dabei war der Trend seit einigen Monaten wieder rückläufig: Noch im vergangenen Oktober lag die Inflation mit 11,1 Prozent so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr.
Ein Treiber der Teuerung sind die Lebensmittelkosten: Dort liegt die Inflation mit 17,5 Prozent gar auf Rekordniveau. Besonders dramatisch stiegen die Preise laut dem Marktforschungsinstitut Kanter bei Eiern, Milch und Käse. Gemüse war in den vergangenen Wochen Mangelware in vielen Supermärkten. Die Medien sprechen daher von der "Salatkrise."
Auch mittelfristig sehen die Vorhersagen für die Insel düster aus: Einer Rezession könne man laut der Haushaltsbehörde OBR zwar noch entgehen, hieß es in einer jüngsten Prognose. Doch in den kommenden zwei Jahren soll das Haushaltseinkommen pro Kopf um 5,7 Prozent sinken – so stark wie zuletzt 1957.
Tschechien: Die Folgen der russischen Energieabhängigkeit
Seit einem Jahr kämpft der Staat mit einer Rekordinflation. Im Februar lag sie bei 16,7 Prozent – doppelt so hoch wie in Deutschland. Mit einer Entspannung rechnen Beobachter erst im Laufe des Jahres. Der Grund sind vor allem die Energiepreise. Vor dem Angriffskrieg in der Ukraine lag die Abhängigkeit von russischem Gas etwa bei 97 Prozent.
In den vergangenen Monaten konnte die Regierung diese Abhängigkeit drastisch reduzieren – mit Folgen: Die Energiepreise stiegen um mehr als 60 Prozent, auch Wohnen und Lebensmittel wurden deutlich teurer.
Mitte März demonstrierten deshalb Tausende in der Hauptstadt Prag. Der Protest richtete sich nicht nur gegen die hohen Energiepreise, sondern auch gegen den prowestlichen Kurs der Regierung. Das Ausmaß überraschte auch Beobachter, gilt Tschechien doch als eines der Länder, die die Ukraine besonders stark unterstützen.
Argentinien: Hyperinflation als Normalzustand
Schon lange vor der Corona-Pandemie und der russischen Invasion in die Ukraine hat Argentinien mit einer Megainflation gekämpft. Die jährliche Inflationsrate stieg auf 102,5 Prozent und ist damit eine der höchsten weltweit. Zum Vergleich: Die Inflationsrate in Deutschland für das gesamte Jahr 2022 lag bei 6,9 Prozent.
Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas befindet sich seit Jahren in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Aufgrund einer schweren Dürre könnte dem "Handelsblatt" zufolge der Export von landwirtschaftlichen Produkten, wie Mais und Soja, bis zu 20 Milliarden Dollar weniger als im Vorjahr in die Staatskasse einbringen.
Präsident Alberto Fernández hat bisher keine Lösung gegen die Dauerkrise gefunden. Dabei wird mit einem Blick auf Argentiniens Ausgaben und Einnahmen eines deutlich: Das Land gibt mehr aus, als es einnimmt. Seit der weltweiten Wirtschaftskrise ab 2007 ist die Wirtschaft um nur zwölf Prozent, die Staatsausgaben aber um 40 Prozent gestiegen. Die Zentralbank kommt mit dem Drucken von neuem Geld, um das Haushaltsdefizit zu finanzieren, kaum hinterher. Eine Veränderung könnte im Herbst eintreten: Dann finden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt.
Türkei: Die Regierung verteilt Essen
Die Horrorinflation bestimmt noch immer das Leben vieler Türkinnen und Türken. Zwar ging sie zuletzt leicht zurück, aber die Verbraucherpreise stiegen gegenüber dem Vorjahresmonat um 55,2 Prozent.
Im vergangenen Jahr war die Inflation sogar bis auf rund 85 Prozent gestiegen. Die Lage war teilweise so schlimm, dass die Regierung in großen Städten wie Istanbul Essen auf den Straßen verteilen musste. Viele alltägliche Dinge sind mittlerweile nicht mehr bezahlbar – besonders, wenn sie aus dem Ausland importiert werden müssen.
Embed
Die Ursache der Teuerung ist teilweise hausgemacht. Die Währung Lira ist schwach, weil der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan großen Druck auf die Zentralbank ausübt, die Zinsen niedrig zu halten. Die Währungshüter haben ihre Leitzinsen in den vergangenen Monaten trotz der hohen Teuerung weiter reduziert, zuletzt auch wegen des schweren Erdbebens. Erdoğan will dadurch das Wirtschaftswachstum fördern – bei Ökonomen eine umstrittene Strategie.
USA: Der Kampf gegen die "Bidenflation"
In seiner Rede zur Lage der Nation hatte der amerikanische Präsident Joe Biden behauptet, dass die Inflation zurückgehe, besonders bei Lebensmitteln. Tatsächlich sind die Preise auch in den USA noch immer auf einem Rekordniveau. Die anhaltenden Steigerungen haben sich lediglich verlangsamt. Je weniger die Menschen verdienen, desto stärker sind sie von den teuren Grundnahrungsmitteln betroffen.
Dabei sind es nicht nur Eier, die wegen der Inflation in den USA unglaublich teuer geworden sind. Auch der Durchschnittspreis für Weißbrot war etwa im Januar um circa 22 Prozent höher als noch vor zwei Jahren. Der Preis für Mehl ist um fast 21 Prozent gestiegen, Butter kostete sogar 31 Prozent mehr. Ein einfacher Wocheneinkauf mit Obst, Gemüse, Brot, Käse und Joghurt kann damit selbst für einen Single-Haushalt schnell bei 100 US-Dollar landen.
Laut dem US-Landwirtschaftsministerium sind die Lebensmittelpreise im vergangenen Jahr um 11,4 Prozent gestiegen – das ist höchste jährliche prozentuale Veränderung seit 1974. Für 2023 wird eine weitere Teuerung von 8,6 Prozent erwartet. Insgesamt liegt die Inflation inzwischen bei rund 6 Prozent. Zum Vergleich: In den ersten Monaten nach Bidens Amtsantritt lag die Inflation noch stabil bei rund 1,5 Prozent.
Politisch sind die hohen Preise mit die größte Gefahr für Joe Biden und die Demokraten. Die Republikaner sprechen seit Monaten von der sogenannten "Bidenflation". Auch deshalb hatte der Präsident sein Wirtschaftsförderungsprogramm mit dem ursprünglichen Namen "Build Back Better" umbenannt. Der Titel für die aus Steuergeldern finanzierten Rekordinvestitionen heißt jetzt ganz bewusst "Inflation Reduction Act". Dabei heizt das viele Geld, das schon während der Pandemie in Form von Staatshilfen auf den Markt gegeben wurde, die Inflation eher noch an. Parallel versucht deshalb die US-Zentralbank seit Monaten, mit Zinserhöhungen entgegenzuwirken.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- ons.gov.uk: "Consumer price inflation, UK: February 2023" (englisch)
- ons.gov.uk: "CPI annual Rate 00: All Items 2015=100" (englisch)
- theguardian.com: "UK inflation rate in surprise rise to 10.4% as salad crisis pushes up prices" (englisch)
- reuters.com: "UK salad crisis: Govt tells grocers look again at farmer relationships" (englisch)
- reuters.com: "UK grocery inflation hits new high of 17.5% -Kantar" (englisch)
- lebensmittelzeitung.net: "Frankreichs Händler deckeln Lebensmittelpreise"
- faz.net: "Inflation im Euroraum sinkt auf 8,5 Prozent"
- imf.org via statista: "Tschechien: Inflationsrate von 1996 bis 2021 und Prognosen bis 2027"
- euractiv.com: "Czechia decreases Russian gas dependence over eight months" (englisch)
- apnews.com: "An anti-government protest in Czech capital draws thousands"
- bls.gov: "Consumer Price Index Summary" (englisch)
- finance.yahoo.com: "Grocery inflation: Price increases decline for the sixth consecutive month. Eggs? Down!" (englisch)
- grocerydive.com: "What grocers can expect with food prices, inflation in 2023" (englisch)
- handelsblatt.com: "Mehr als 100 Prozent Inflation in einem Jahr: Argentinien findet keinen Weg aus der Preiskrise"
- clarin.com: "Descuentan que la inflación de marzo será de 7%: qué pronostica Ecolatina para lo que resta del año" (spanisch)
- Instituto Nacional de Estadísticas y Censos: "Índices de precios, Vol. 7, no. 8" (spanisch)
- International Monetary Fund: "Inflation rate, average consumer prices" (englisch)
- Eigene Recherche