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Strafprozess: Ex-Wirecard-Chef Markus Braun steht vor Gericht


Prozessauftakt
Früherer Wirecard-Chef Braun steht vor Gericht

Von t-online, fho, cup

Aktualisiert am 08.12.2022Lesedauer: 4 Min.
Markus Braun im Wirecard-Untersuchungsausschuss.Vergrößern des Bildes
Der frühere Wirecard-Chef Markus Braun (Archivbild): Der Prozess ist auf 100 Tage angesetzt. (Quelle: Fabrizio Bensch/Pool/File Photo/reuters)

Er soll für den größten Bilanzskandal der deutschen Geschichte verantwortlich sein. Am Donnerstag startet der Prozess gegen Ex-Wirecard-Chef Markus Braun.

Es war der größte Börsenskandal der deutschen Geschichte: Vor knapp zweieinhalb Jahren brach das Kartenhaus des Wirecard-Konzerns zusammen. Nun stehen der Ex-Chef Markus Braun und zwei weitere frühere Manager vor Gericht.

100 Prozesstage sind angesetzt – genau das, was man klassischerweise einen Mammutprozess nennt. Das öffentliche Interesse ist riesig: Dutzende Zuschauer wollten für den Prozessauftakt in den Gerichtssaal. Das verzögerte den Start um fast eine Stunde.

t-online erklärt, wie der Prozess vor Ort abläuft und was den Managern vorgeworfen wird.

Wie lief der erste Prozesstag an?

Die erste Aufgabe für die meisten im Gerichtssaal lautete: Warten. Braun kommt mit fast einer Dreiviertelstunde Verspätung in den Gerichtssaal, losgehen kann es erst, als alle Zuschauer durch die Sicherheitskontrolle geschleust sind. Das dauert lange und verzögert sich zusätzlich, denn der Einlass hat erst begonnen, als die Verhandlung schon hätte starten sollen. Und bevor es wirklich zur Sache geht, hat die Verteidigung noch Einwände.

Allein das Verlesen der Personalien der Angeklagten und der Namen der Verteidiger dauert Minuten. Aus ihren Reihen kommen zu Beginn gleich zwei Versuche, die Zusammensetzung des Gerichts prüfen zu lassen. Das solle nicht als Befangenheitsantrag verstanden werden, heißt es. Aber die Frage, ob jemand auf der Richterbank Wirecard-Aktien hatte oder beim Zusammenbruch der Firma Geld verlor, steht nun im Raum.

Richter Markus Födisch hält sich damit aber nicht auf. Es entstehe der Verteidigung kein Nachteil, wenn der Punkt auf später verschoben werde, argumentiert er. Fast eine Stunde später als erwartet beginnt der eigentliche Prozess mit dem Verlesen der Anklageschrift. 90 Seiten Skript sind das, mit dem die Staatsanwaltschaft arbeitet. Zur Mittagspause ist nicht einmal die Hälfte geschafft.

Wer ist angeklagt?

Die Augen sind vor allem auf den früheren Wirecard-Chef Markus Braun gerichtet. Er hatte Wirecard nicht nur geleitet, sondern auch selbst große Gewinne eingefahren.

Braun war nach dem Bekanntwerden des "Verschwindens" von 1,9 Milliarden Euro festgenommen worden. Nach dem ersten Haftbefehl kam er auf Kaution frei, nach tiefergehenden Ermittlungen kam er erneut in Untersuchungshaft.

Ob Braun im Prozess aussagen wird, ist noch offen. Vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss zu dem Skandal schwieg er zu den Vorwürfen. Im Mai 2021 ließ er über einen Medienberater in der Wochenzeitung "Die Zeit" feststellen, "dass er von diesen Schattenstrukturen und Veruntreuungen nichts wusste". Braun gab dem Wirecard-Vorstand Jan Marsalek alle Schuld – doch der langjährige engste Vertraute von Braun ist auf der Flucht.

Ebenfalls angeklagt ist Oliver B., der frühere Leiter der Wirecard-Tochtergesellschaft Cardsystems Middle East in Dubai. Ihm kommt als Kronzeuge der Anklage eine wichtige Rolle zu. Nach dem Auffliegen des Skandals hatte er umfassend ausgepackt und will sich nun erneut äußern. Der dritte Angeklagte ist der frühere Chefbuchhalter des Konzerns.

Was wird den Angeklagten vorgeworfen?

Der Kernvorwurf: Braun und seine Komplizen sollen eine Bande gebildet haben, die die Bilanzen des Konzerns Wirecard seit 2015 systematisch fälschte. Der mittlerweile abgewickelte Zahlungsdienstleister rechnete an der Schnittstelle zwischen Kreditkartenfirmen auf der einen sowie Einzelhändlern und sonstigen Verkäufern auf der anderen Seite elektronische Zahlungen ab und kassierte dafür Gebühren. Banken und Kreditgeber seien so um 3,1 Milliarden Euro geprellt worden.

Laut Anklage schrieb der Konzern eigentlich Verluste, meldete aber Jahr für Jahr rasant steigende Umsätze. 2018 stieg Wirecard in den Börsenindex Dax auf, erreichte an der Frankfurter Börse zwischenzeitlich einen Wert von über 20 Milliarden Euro.

Um diese Diskrepanz zu kaschieren, soll die Wirecard-Bande ein nicht existentes "Drittpartnergeschäft" der Dubaier Tochter in Milliardenhöhe samt Scheingewinnen erfunden haben.

Das Hauptmotiv der Männer soll gewesen sein, sich selbst zu bereichern: So kassierte Braun nicht nur ein Millionengehalt, als Wirecard-Aktionär kassierte er außerdem von 2015 bis 2018 Dividenden in Höhe von 5,5 Millionen Euro. Nun droht Braun eine langjährige Haftstrafe.

Wie flog das Unternehmen auf?

Der Kollaps kam im Juni 2020 und vernichtete auch Brauns Vermögen zum großen Teil. Nachdem die britische "Financial Times" jahrelang über Ungereimtheiten in den Bilanzen berichtet hatte, räumte das Unternehmen ein, dass 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar seien, es folgte die Insolvenz. Die Erlöse des Drittpartnergeschäfts waren angeblich auf Treuhandkonten in Südostasien verbucht. Das Geld ist bis heute nicht aufgefunden worden.

Braun stellt dies anders dar: Er argumentiert, dass die auf den Treuhandkonten verbuchten Gelder existierten, aber veruntreut worden seien. Er beschuldigt seinen Mitangeklagten, den ehemaligen Geschäftsführer in Dubai.

Wie läuft der Prozess ab?

Vor allem wird er langwierig. Die vierte Strafkammer des Landgerichts München I hat 100 Prozesstage bis ins Jahr 2024 angesetzt. Verhandelt wird in einem bunkerähnlichen unterirdischen Sitzungssaal neben der JVA München-Stadelheim.

Zu Beginn wird die Staatsanwaltschaft den Anklagesatz vortragen. Dieser umfasst selbst in der Kurzform 89 Seiten und wird von drei Ermittlern im Wechsel verlesen. Das dürfte geschätzt fünf Stunden dauern. Die vollständige Anklage ist 474 Seiten lang, die Akten füllen 700 Bände.

Der Vorsitzende Richter Markus Födisch und die Kammer müssen nun klären, ob Braun Betrüger oder Betrogener war. Die Staatsanwaltschaft widerspricht Vorwürfen mangelnder Sorgfalt. Abgeschlossen sind die Wirecard-Ermittlungen längst nicht, auch wenn nun der Prozess beginnt.

Was ist mit dem früheren Co-Chef Jan Marsalek?

Ein wichtiger Mann der Wirecard-Affäre fehlt dieser Tage im Gerichtssaal: Jan Marsalek, früher die rechte Hand von Braun und Vertriebschef, ist flüchtig. Die Ermittler vermuten ihn in Moskau – geschützt vom russischen Geheimdienst. Vor ein paar Monaten forderten die Münchner Staatsanwälte Russland auf, den mutmaßlichen Milliardenbetrüger auszuliefern, ohne Erfolg.

Marsalek scheint auf jeden Fall über Kontakte zu verfügen, die einem Kriminellen dienlich sind. Als er bei Wirecard als Betrüger aufflog und entlassen wurde, verließ er einen Tag später, am 18. Juni 2020, Deutschland. Der Mann, der über acht Pässe verfügte, täuschte eine Ausreise auf die Philippinen vor. Wie sich herausstellte, charterte Marsalek aber tatsächlich einen Privatjet und flog von Österreich nach Weißrussland und von dort weiter nach Russland.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
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