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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Drohender Gas-Engpass im Winter Stadtwerkechef: "Das sind die üblichen Politiker-Reflexe"
Deutschland bereitet sich auf einen kalten Winter vor. Die Politik plant bisher ungewohnte Maßnahmen. Ein Stadtwerke-Chef hält manches davon für "völlig irre".
Am Donnerstag entscheidet sich, ob Russland wieder Gas nach Deutschland liefert – und wenn ja, wie viel genau. Schon jetzt ist dabei klar: Für den Winter wird es eng, verlassen können wir uns nicht auf den russischen Staatskonzern Gazprom.
Das zeigt sich auch am Krimi um Deutschlands größten Gasimporteur Uniper, den der Bund nun mit einer großen Beteiligung vor der Pleite retten will. Das Fatale: An Uniper und dessen Zwischenhändlern hängen zahlreiche kleinere Energieversorger, vor allem viele kommunale Stadtwerke, die durch eine Insolvenz des Konzerns ebenfalls in Schieflage geraten könnten. t-online hat darüber mit dem Chef der Magdeburger Stadtwerke, Thomas Pietsch, gesprochen.
t-online: Herr Pietsch, am Donnerstag entscheidet sich, ob Russland wieder Gas nach Deutschland liefert. Was passiert, wenn Gazprom den Hahn zulässt?
Thomas Pietsch: Um es gleich vorneweg zu sagen: Ich teile diese Sorge nicht. Ich glaube, nach der Wartung wird das Gas wieder fließen. Doch selbst wenn nicht, würde sich für unsere Kunden zunächst nichts ändern. Die Börsen haben die Nicht-Lieferung schon antizipiert, deshalb haben sich die Preise seit Beginn der Wartung nicht verändert. Wir können die Bedarfe der Kunden zu dieser Jahreszeit vollständig decken, auch wenn gilt: Die Preise sind gerade sehr, sehr schmerzlich.
Wie bereiten Sie sich denn auf den möglichen Erdgas-Engpass im Winter vor?
Die Diskussion um den Gasmangel im Winter führt zu einer großen Verunsicherung der Bevölkerung. Da bereiten Bürgermeister teilweise Turnhallen vor, in denen man sich aufwärmen kann. Damit unterstellen sie: Viele Wohnungen bleiben in diesem Winter kalt. Wie das bei den Deutschen ankommt, sieht man zum Beispiel am Brennholz. Das ist gerade überall vergriffen, ähnlich wie das Toilettenpapier zu Anfang von Corona. Das ist völlig irre, dafür gibt es keinen Grund.
Ach nein?
Es gibt sehr klare Regeln, was in einem Fall der Verknappung passiert, und eine deutliche Hierarchie der Kundschaft: Vorrangig werden die Privathaushalte und alle grundlegenden sozialen Dienste wie Krankenhäuser versorgt. Industriekunden sind die ersten, die in einer Mangellage abgeschaltet würden.
Gilt das auch für die Region Magdeburg?
Ja, natürlich. Die Bundesrepublik bezieht mittlerweile 60 Prozent des Gases aus der Nordsee, aus Belgien und den Niederlanden. Für Privathaushalte wird das Gas immer reichen.
Finden Sie es richtig, dass Haushalte gesetzlich besonders geschützt sind? Manche fürchten: Die Industrie abzuschalten, würde große wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen. Sie fordern, vorrangig die Betriebe am Netz zu lassen.
Beide Extrempunkte sind schwierig. Wir müssen einen Mittelweg finden. Einige Betriebe müssen wir unbedingt am Netz halten, weil der entstehende Schaden sonst enorm wäre. Ich denke da etwa an die Glasindustrie. Ein Gasstopp wäre hier besonders fatal: Das führt zum Totalverlust einer 30 Millionen-Euro-Anlage. Fraglich wäre auch, ob ein Industriezweig wie dieser nach einem solchen Ereignis überhaupt noch mal in Mitteleuropa seine Produktion aufnehmen würde. Ich habe da meine Zweifel.
In Bedrängnis geraten dürften bald aber auch Sie selbst: Schließlich müssen die Stadtwerke das Gas aktuell zu hohen Preisen einkaufen.
Auch an uns geht die Preisentwicklung an den Börsen nicht vorbei. Aber da wir keine nennenswerten Erdgasmengen zur Fernwärme- und Stromproduktion einsetzen, trifft uns das nicht so hart. Außerdem haben wir unseren Einkauf langfristig organisiert. Das Gas, das wir gerade an unsere Kunden verkaufen, haben wir noch zu vergleichsweise günstigen Preisen beschafft.
Das heißt, die Gasrechnungen Ihrer Kunden sind seit Beginn des Jahres kaum gestiegen?
Genau. Problematisch wird es erst, wenn jetzt ein Vertrag oder eine Preisgarantie ausläuft und wir das Gas neu einkaufen müssen. Auch für Neukunden greifen natürlich die enormen Preissteigerungen von bis zu 300 Prozent. Die Glückspilze unter unseren Kunden haben bis Mai 2023 Preise wie vor der Corona-Krise.
Früher oder später werden Sie die Abschläge aber erhöhen müssen, allein schon, um Verbraucher vor hohen Nachzahlungen im nächsten Jahr zu bewahren. Gibt es eine Faustregel, um zu berechnen, wie stark die Abschläge steigen?
Nein, eine Faustregel gibt es nicht. Aber man sollte bedenken, dass es bei der Gasrechnung immer einen Verzug gibt. Das macht sich vor allem bei den Wohnungsunternehmen bemerkbar. Die Nebenkosten dürfen nämlich nur nach der Abrechnung angepasst werden – und die erfolgt nur einmal im Jahr. Wir haben deshalb an die Wohnungswirtschaft appelliert, ihren Mietern eine freiwillige Verdopplung der Heizkostenpauschale nahezulegen. Damit wäre ein Großteil der Preissteigerungen abgefangen. Klar ist aber auch: Das können natürlich nicht alle bezahlen. Da muss die Regierung ran, das muss berücksichtigt werden beim Wohngeld.
Helfen muss der Staat auch dem Energiekonzern Uniper, der angesichts der hohen Gaspreise vor der Pleite steht. Was würde eine Uniper-Insolvenz für Sie und Ihre Kunden bedeuten?
Geht Uniper pleite, bricht der Markt zusammen. Das Gas wird dann extrem knapp – das ganze System gerät ins Wanken. Mit Sicherheit träte dann der Paragraf 24 des Energiesicherungsgesetzes in Kraft: Jeder Energieanbieter könnte dann mit sofortiger Wirkung neue Preise festlegen, bis hin zum Haushaltskunden. Die Ein-Jahr-Festpreisgarantie können Sie dann vergessen.
Ein Horrorszenario.
Ja, die Preise würden eine Größenordnung erreichen, die viele Kunden, egal ob Industrie oder Privathaushalt, nicht mehr stemmen können. Nicht umsonst gab es besonnene, von der Presse abgeschirmte Gespräche zur Rettung von Uniper. Das ist absolut richtig.
Das Energiesicherungsgesetz
Der §24 des neuen Energiesicherungsgesetzes erlaubt es Unternehmen, bei einer Gasmangellage höhere Preise kurzfristig entlang der Lieferkette weiterzugeben – auch entgegen bestehender Verträge. Die Gasmangellage muss die Bundesnetzagentur offiziell feststellen. Würde der Paragraf aktiviert, müssen auch Endverbraucher mit deutlich höheren Preisen rechnen.
Auch wenn sich die Pleite abwenden lässt, werden schon jetzt Rufe nach weiteren Entlastungen laut. Wie sollten die Ihrer Meinung nach aussehen?
Den größten Hebel haben wir, wenn wir bei den fünf großen deutschen Gas-Importeuren ansetzen. So erhalten wir die Volkswirtschaft am Leben. Alles andere wäre auch administrativ ein Handstand: Die Anpassung der Preise entlang der Lieferkette hätte zur Folge, dass 40 Millionen Gasverträge in Deutschland neu abgeschlossen werden müssten.
Gerade in Ostdeutschland ist immer wieder die Rede davon, dass der Druck in den Gasleitungen gar nicht ausreicht, um bei einem Mangel alle Haushalte und Betriebe zu erreichen. Stimmt das?
Das halte ich für Geunke. Klar, es stimmt schon: Wenn Russland nicht mehr liefert und eine Gasmangellage eintritt, dann fließt das Gas nach Ostdeutschland nur noch aus dem Westen. Die Gefahr eines Druckabfalls aber sehe ich nicht – zumindest, wenn der Notfallplan Gas greift und in den westlichen Bundesländern die Zuteilungen funktionieren. Dann wird das Gas reichen.
Können Sie überhaupt einzelne Betriebe vom Netz nehmen?
Das geht schon. Allerdings muss das vor Ort, im Betrieb, geschehen. Und dann lässt sich das Gas auch nicht einfach wieder anschalten, dafür braucht es Fachpersonal, die das an den Maschinen erledigen.
Die Abkopplung vom Gas könnte auch privaten Haushalten drohen, wenn sie ihre Rechnungen nicht bezahlen. Familienministerin Lisa Paus forderte zuletzt im t-online-Interview, dass genau das niemals passieren dürfe. Wie stehen Sie dazu?
Das sind die üblichen Politiker-Reflexe, um sich aus der Verantwortung zu ziehen. Meine Meinung ist: Bezahlt ein Haushalt seine Rechnung nicht, sollte ihm Strom und Gas abgestellt werden. Wenn wir ohne Gegenleistung weiter liefern müssen, bekommen wir als Stadtwerke ein Problem. Wir sind Grundversorger, haben einen besonderen Auftrag für die Versorgungssicherheit. Wie sollen wir diesen Auftrag erfüllen, wenn wir unsere Lieferanten nicht bezahlen können?
Die Armen sollen also frieren?
Natürlich nicht. Wir wissen, dass sich der Preis für Gas bis zum Winter verdreifachen wird. Das ist sehr gut sichtbar, bereits jetzt. Dem zu begegnen aber ist primär eine Aufgabe der Politik: Die Regierung muss sich schon jetzt darum kümmern, das Schlimmste abzuwenden – ohne dass wir als Versorger Schaden nehmen.
Wie könnte das aussehen?
Zum Beispiel, indem das Wohngeld für Grundsicherungsempfänger angepasst wird. Auch Zuschüsse für einkommensschwächere Menschen müssen her. All das muss die Regierung jetzt klären. Da kann man sich nicht rausziehen und sagen: "Wir machen jetzt mal nichts, die Wirtschaft soll das ausgleichen."
Wirtschaftsminister Robert Habeck fordert die Deutschen derzeit vor allem zum Energiesparen auf. Beobachten Sie, dass die privaten Haushalte in den letzten Wochen weniger Gas verbraucht haben?
Wir haben in einer Untersuchung herausgefunden, dass der Verbrauch gegenüber vergleichbaren Sommerwochen im vergangenen Jahr um rund ein Prozent gesunken ist. Aber: Die Kundschaft verbraucht in den warmen Sommermonaten ohnehin wenig, da nicht geheizt wird. Die Möglichkeiten, den Verbrauch zu senken, sind derzeit also sehr begrenzt, auch wenn allen das Problem bewusst ist.
Und bei Ihren Industriekunden?
Da sieht es ganz anders aus: Die Betriebe sparen massenhaft Gas, indem sie Heizöl verwenden. Wir beobachten einen Rückgang um zweistellige Prozentbeträge. Das nicht verbrauchte Gas wird dann wieder am Markt verkauft. Einige setzen auch wieder auf Braunkohle: Die war durch die CO2-Zertifikate deutlich teurer als Erdgas, mittlerweile jedoch lohnt sich ihr Einsatz finanziell.
Das heißt, die hohen Preise sind schon Anreiz genug, damit die Deutschen Gas sparen?
Ja. Die Preise, die jetzt herrschen, bieten bereits einen großen Anreiz zum Sparen – auch unter den Privathaushalten. Ich kenne keinen mehr, der im Herbst nicht verstärkt auf seinen Energieverbrauch achten will. Manche stehen bereits jetzt finanziell an der Grenze des für sie Leistbaren. Das Preissignal ist mehr als deutlich genug, diese Menschen brauchen jetzt Entlastung.
Herr Pietsch, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
- Interview mit Thomas Pietsch, Geschäftsführer der Stadtwerke Magdeburg