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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Was heißt das für Privatkunden? Der Gaspreis explodiert
Übers Wochenende hat sich Gas extrem verteuert. Woran das liegt und was das für Deutschland bedeutet.
Die Nachricht kam am Freitagabend – ihre volle Wirkung aber zeigt sich erst jetzt: Der längere Lieferstopp für russisches Gas hat den Erdgaspreis zum Handelsstart nach dem Wochenende deutlich in die Höhe getrieben.
Kurz zuvor haben am Sonntag die Ampelparteien ihr neues Entlastungspaket vorgestellt. Darin geht es auch um Energiefragen, nicht jedoch konkret um Gasverbraucher. Worauf die sich jetzt einstellen müssen und warum genau die Preise für Gas so stark steigen, erklärt t-online im Überblick.
Warum steigt der Gaspreis gerade so extrem an?
Der Preis für Erdgas am sogenannten Terminmarkt ist am Montag um rund 35 Prozent nach oben gesprungen. Am Vormittag zog der Preis des Terminkontrakts TTF für niederländisches Erdgas um 72,50 Euro auf zuletzt 281 Euro pro Megawattstunde an. Damit lag er nur unweit entfernt vom jüngsten Rekord vor knapp anderthalb Wochen. Damals waren rund 320 Euro für dieselbe Menge Gas fällig.
Grund für den extremen Preissprung ist der auf unbestimmte Zeit andauernde Lieferstopp für russisches Gas. Nachdem der Staatskonzern Gazprom die Gaslieferungen zuletzt vergangene Woche für drei Tage wegen angeblicher Wartungsarbeiten unterbrechen wollte, hieß es am Freitagabend aus Moskau, es müssten weitere Reparaturarbeiten vorgenommen werden. Ob und wenn ja, wann wieder Gas nach Europa durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 fließt, sagte Gazprom bislang nicht.
Entsprechend groß ist die Unsicherheit an den Energiemärkten: Gibt es künftig für die weiterhin große Nachfrage genug Angebot auf dem Gasmarkt? Bleibt es bei dem Lieferstopp? Reichen die Importe aus anderen Ländern wie Norwegen aus, damit Deutschland genug Gas einspeichern kann? Und wie entwickelt sich die Gasnachfrage, wenn in den kommenden Wochen die Temperaturen fallen und viele Haushalte beginnen zu heizen? All diese Fragen sind derzeit offen, was den Preis für Gas weiter antreiben dürfte.
Wie sehr steigt die Gasrechnung jetzt für mich?
Das lässt sich im Detail derzeit noch nicht sagen. Fest steht: Steigen die Preise für künftige Gaslieferungen nicht nur wie derzeit kurzfristig an, sondern bleiben langfristig auf dem jetzt erreichten hohen Stand, werden das auch die Verbraucher in Deutschland zu spüren kommen – und zwar zusätzlich zu den bislang bereits angekündigten Preissteigerungen.
Denn schon jetzt müssen viele Menschen mehr für Gas bezahlen. Nach einer Zählung des Vergleichsportals Check24 haben seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine Anfang März insgesamt 999 Grundversorger eine Tariferhöhung angekündigt oder bereits umgesetzt. Im Schnitt betragen die Erhöhungen 81,7 Prozent verglichen mit dem ersten Quartal dieses Jahres.
- Pläne der Bundesregierung: Mit welchen Entlastungen Sie konkret rechnen können
Absehbar ist angesichts der jüngsten Preissteigerungen zudem auch, dass die Gasumlage, mit der der Bund ab Oktober Geld von den Gaskunden einsammelt, um Gasimporteure wie Uniper zu retten, steigen muss. Derzeit beträgt die Umlage noch 2,4 Cent, schon im Januar könnte sie womöglich angehoben werden, sofern der Preis weiter auf hohem Niveau bleibt. Wie viel Gasumlage Sie bezahlen müssen, können Sie hier ausrechnen.
Kommt es zu der Erhöhung der Umlage, ist ungewiss, ob die abgesenkte Mehrwertsteuer auf den Gaspreis (mehr dazu lesen Sie hier) die Zusatzbelastung durch die Umlage ausgleichen kann. Umso mehr kommt es deshalb darauf an, wie die Regierung gezielt Gaskunden entlasten will.
Wie will die Regierung Gaskunden gezielt entlasten?
Das ist noch immer nicht klar. Die Energiepauschale in Höhe von 300 Euro, die Arbeitnehmern im September ausgezahlt wird und von der noch Steuern abgezogen werden, wird die Mehrkosten jedenfalls nicht annähernd auffangen können. Dies gilt auch für die am Sonntag beschlossenen neuen Entlastungen: eine Pauschale für Rentner (ebenfalls 300 Euro) und Studierende (200 Euro) sowie den einmaligen Heizkostenzuschuss in Höhe von 415 Euro für Bezieher von Wohngeld. (Wer wie sehr vom neuen Entlastungspaket profitiert, lesen Sie hier.)
Das Problem: Die aktuellen Preissteigerungen werden erst in den kommenden Monaten auf den Märkten bei den Verbrauchern ankommen – viele Kunden werden dann wohl das Drei- bis Vierfache zahlen müssen. Die Koalition will deshalb nun eine Expertenkommission aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbraucherschützern einsetzen, die klären soll, ob ein preisvergünstigtes Grundkontingent für Wärme möglich ist – "zeitnah", wie es im Beschluss der Ampel heißt.
So eine Art Gas-Grundtarif hatte zuvor die Wirtschaftsweise Veronika Grimm vorgeschlagen. Ihr sogenannter "Deutschlandtarif" sieht ein Grundkontigent von rund 75 Prozent des Durchschnittsverbrauchs vor – dessen Preis durch staatliche Hilfe gedrückt wird. Konkret plädiert Grimm für einen Tarif "in Höhe des mittelfristig erwartbaren Gaspreises, etwa 12 Cent je Kilowattstunde". Wer mehr verbraucht, soll den höheren, nicht subventionierten Marktpreis zahlen.
Der Clou bei dieser Idee: Es gäbe weiterhin Anreize zum Sparen. Idealerweise bekämen all jene, die unter dem definierten Grundbedarf blieben, sogar noch Geld zurückgezahlt. Wer wenig verbraucht, würde dann nicht nur Geld sparen, sondern sogar welches verdienen.
Unterstützt wird der Vorstoß von Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne). Zusammen betonten sie in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", es sei nun wichtig, "dass die Bundesregierung schnell die Voraussetzungen für das Angebot eines solchen Sondertarifs schafft."
Und was ist mit den Strompreisen?
Einen ähnlichen Weg will die Bundesregierung beim Strom einschlagen – und hier ist der Weg schon etwas klarer: Mit einem Preisdeckel für einen gewissen Grundverbrauch wollen die Ampelparteien verhindern, dass der hohe Gaspreis weiter auf den Strompreis durchschlägt. Bundeskanzler Scholz hat mit diesem Hebel den Bürgern eine "dramatische Entlastung" versprochen, doch einer schnellen Umsetzung stehen verschiedene Hürden im Weg.
Finanziert werden soll das Ganze durch die Abschöpfung von Zufallsgewinnen am Strommarkt. Das ist der politische Kompromiss, der von der Idee einer Übergewinnsteuer übriggeblieben ist. Es sollen die Gewinne jener Unternehmen angezapft werden, die Strom aus Wind, Sonne oder Kohle relativ günstig erzeugen, aber aufgrund der vom Gaspreis hochgetriebenen Strompreise hohe Gewinnmargen einfahren.
Allein: Wie das konkret funktionieren kann, ist weiterhin unklar. Da die Preise so stark schwanken, sind verlässliche Prognosen schwierig. "Die Besteuerung der Zufallsgewinne bleibt ebenso unkalkulierbar wie die daraus folgende Entlastung der Stromkunden", bemängelt deshalb Michael Hüther, der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft. "Alles in allem: vage Lösung, deren Volumen und Wirkung unklar bleibt", so Hüther in der "Rheinischen Post".
Erschwerend kommt hinzu, dass über derartige Eingriffe in den Strommarkt ohnehin die EU entscheidet. Zwar will die Kommission in Brüssel auch die Möglichkeit schaffen, Zufallsgewinne abzuschöpfen. Doch in Berlin zweifeln viele, dass die EU das rasch umsetzen kann. Notfalls will man allein vorpreschen. "Wenn wir nicht einen schnellen Zeitplan auf der europäischen Ebene haben, dann machen wir das national", sagte SPD-Chef Lars Klingbeil dem Sender NDR Info. "Und national kann das sehr schnell gehen."
Doch so weit ist man noch gar nicht. Derzeit prüft das Wirtschaftsministerium erst einmal, wie hoch der preisreduzierte Grundbedarf für die Verbraucher überhaupt sein könnte.
- Eigene Recherche
- Frankfurter Allgemeine Zeitung: Gastbeitrag von Danyal Bayaz und Veronika Grimm