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AfD-Taktik: Löschkultur erobert politische Mitte Deutschlands


Fataler Stil
Und jetzt benutzen sie die Taktik der AfD

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

26.02.2025 - 13:31 UhrLesedauer: 4 Min.
Alice Weidel: Die AfD wirft geschichtspolitische Nebelkerzen, warnt der Historiker Jens-Christian Wagner.Vergrößern des Bildes
Parteichefin Alice Weidel: Politiker anderer Parteien kopieren auf Social Media den Stil der AfD. (Quelle: Angelika Warmuth/reuters)
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Es war ein harter und teilweise sehr unfairer Wahlkampf. "War aber doch immer schon so", könnte man sagen und damit sogar recht haben. Trotzdem war er anders. Nicht im guten Sinne.

"Schweigen ist Gold", lautet eine kluge Redensart. Im analogen Zeitalter, aus der sie stammt, war es mithilfe des sprachlich weniger eleganten, inhaltlich aber genauso wahren Credos "Einfach mal die Fresse halten" möglich, das Gegenüber vor Publikum zu entlarven: als Plappermaul, das den Ernst der Lage nicht erkannt hat, weder Anstand noch Zurückhaltung kennt. Dem es an Feinsinn mangelt für Situationen, in denen alles klar auf dem Tisch liegt. Zumindest für diejenigen, die kognitiv, stilistisch und intellektuell in der Lage sind, dies zu erkennen.

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Nicole Diekmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".

Digital ist das schwieriger. Wer auf X und anderswo nicht reagiert, erwidert, mitredet, ist schlicht und einfach nicht da. Denn bereits in dem Moment, in dem er seine Anwesenheit bestätigt, bricht er ja sein Schweigen. Und wer im Sinne von Karl Valentin mit "Darauf reagiere ich nicht mal" reagiert, der – nun ja: reagiert auch. Besonnenes, überlegenes, vorsichtiges Schweigen – widerspricht allen Mechanismen der Boxbuden namens Social Media.

Also wirft man sich erst mal rein ins Getümmel, kommentiert, sekundiert, lässt sich, und das ist ein nicht ganz unwichtiger Unterschied, nicht nur mitreißen von den Mechanismen, sondern adaptiert sie auch. Warum auch nicht?, denken manche. Denn selbst falls man sich mal verrennt inmitten der Hatz nach den meisten Likes, dem größten Applaus, dem trügerischen Gefühl, bei Debatten gehe es ums Gewinnen und genau das sei einem gerade gelungen – nicht so schlimm! Man kann ja immer noch löschen! Und diese Taktik funktioniert recht gut. Weil das so einfach ist. Und weil kaum jemand sich in diesem Wust und dieser Hektik des Dabeisein- und nicht Verpassen- und nicht Übersehenwerden-Wollens die Mühe macht, gelöschte Inhalte noch einmal ausfindig zu machen. Nach dem Motto: Was weg ist, ist nie passiert.

"Zäsur für die Demokratie"

Das ist aber ein Fehlschluss, aus mehreren Gründen. Ich erkläre es Ihnen anhand eines Beispiels.

Am 29. Januar, Sie werden sich erinnern, stimmte die CDU unter anderem mit den Stimmen der AfD für einen Entschließungsantrag zum Thema Asyl. Damit bekam ein Antrag einer demokratischen Partei erstmals mithilfe der in Teilen rechtsextremistischen AfD eine Mehrheit im Bundestag. Am darauffolgenden Tag verließ Michel Friedman nach über 40 Jahren die CDU.

Friedmans Familie wurde fast vollständig im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Friedman war stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland und gehörte in den Neunzigerjahren dem Bundesvorstand der CDU an.

Noch am selben Tag trat Friedman vor die Presse. Dort sprach er von einer “katastrophalen Zäsur für die Demokratie der Bundesrepublik" und einem "unentschuldbaren Machtspiel".

CDU stand massiv unter Druck

Und dann gingen auch noch Zehntausende auf die Straße, um gegen die CDU zu demonstrieren. Die Proteste ließen sich schwerlich kleinreden, nicht nur wegen der schieren Zahlen: Man sah auf den Straßen zwar auch Menschen, die die CDU mit "schwarzer Block, eh krawallbereit und nicht unser Klientel" abtun konnte. Man sah aber auch Menschen, die bisher CDU gewählt hatten. Selbst die Kirchen waren dabei. Und auch Altkanzlerin Angela Merkel äußerte sich ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, erstens überhaupt und zweitens scharf. Kurz: Die CDU stand massiv unter Druck. Und das gut drei Wochen vor der Wahl.

Wenige Tage später ließ sich ein ehemaliger, nicht ganz unwichtiger Funktionär zu einer Revanche hinreißen. Der CDU-Mann versuchte, den Protesten entgegenzuwirken. Nach dem Prinzip: Verunglimpfe deine Kritiker, dann verliert ihre Kritik an Glaubwürdigkeit. Und postete dies auf X: "Gestern in Berlin Mordaufrufe zumeist arabischstämmiger Demonstranten gegen Juden. Kein Wort von Michel Friedman oder Luisa Neubauer. Heute Friedman und Neubauer bei sog. ‘Aufstand der Anständigen’ vor der CDU-Zentrale. Mehr muss man zum ‘Anstand’ der beiden nicht wissen."

Strategie der AfD wird kopiert

Sein unfassbares Posting hat der Mann inzwischen gelöscht: Er habe es offensichtlich so formuliert, dass er missverstanden werden konnte, begründete er diesen Schritt. Zuvor hatten sich mehrere, auch namhafte User unter seinem Posting dazu geäußert, wie sie es verstanden hatten: als Versuch, Friedman zu verunglimpfen und auf seine Kosten das Image der CDU zu polieren.

Der Post ist also nicht mehr da. Dasselbe gilt für die Passage in einem YouTube-Video einer sächsischen Grünen-Politikerin, die in peinlich überheblichem Ton schlankerhand erzählte, es wüssten ja alle, dass Olaf Scholz ein Arschloch sei (nicht mein Stil, nicht meine Wortwahl). Auch das Posting einer ehemaligen Bundesministerin, die beim Versuch, Medien zu verunglimpfen, peinliche Bildungslücken in Sachen Umfragen offenbarte – gelöscht. Der Tweet, in dem die SPD Hamburg allen Ernstes behauptete, die CDU und die FDP würden gegen Deutschland kämpfen – gelöscht.

All das aber ist ja passiert. Und ähnelt in Strategie, wenn auch (noch) nicht im Ausmaß und Unverfrorenheit dem Vorgehen von Populisten und Extremisten, also dem Stil der AfD. Es bleibt in den Köpfen. Und lagert ja ganz offensichtlich längst im Werkzeugkasten der demokratischen Mitte-Parteien. Das ist schlecht. Denn so beherzt und womöglich aufrichtig bedauernd manche Löschaktion auch sein mag – eines lässt sich nicht ändern: Tabus existieren nur so lange, bis sie nicht zu oft gebrochen wurden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Meinung
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