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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Klischee total Ausgerechnet ihm unterläuft ein Anfängerfehler

Markus Söder versteht das Spiel in den sozialen Medien perfekt und setzt auf Humor. Auch während er Weltpolitik machen will, verwandelt er eine kulinarische Panne in charmante Selbstironie.
Es gibt Gegenden, da irren deutsche Politiker noch immer herum wie einst der Sage nach Kolumbus in Amerika. Im Social Web zum Beispiel. Nach wie vor glauben gar nicht mal so wenige politisch Verantwortliche, Postings auf X, Instagram und anderen Social-Media-Kanälen seien wie Faxmitteilungen, nur halt kürzer: Da werden sämtliche Mechanismen und Ratschläge zur zielgruppengerechten Ansprache ignoriert und konsequent in korrekter, technisch-kalter Sprache verfasste Pressemitteilungen herausgehauen.
Ohne mit der Wimper zu zucken oder die mediale Realität des 21. Jahrhunderts wenigstens rudimentär anzuerkennen, hinterlassen mit allen Wassern gewaschene Politprofis in Worte gegossene Einschlafhilfen. In ihrer Originalität und Emotionalität erinnern diese Posts stark an Lokalzeitungs-Fotos von ersten Spatenstichen oder Autobahnabschnittseinweihungen.

Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz". Mehr
Markus Söder aber ist im Umgang mit den sozialen Netzwerken ein Pionier unter den Ausnahmen. Als viele seiner Berufskollegen noch angestrengt überlegten, bei welchem Amt sie denn jetzt wohl so einen Account bei Twitter oder wie das heißt beantragen müssten, hatte er die Laufroute des Hasen längst verstanden. Social Media ist anders. Man geht dort andere Themen an, und man geht sie anders an. Lockeres Wording, Mut zum Blödeln, auch mal über sich selbst – das mag die Community. Das weiß Söder.
Er ist sich, das ist sein großer Vorteil, für wenig zu schade. Das gilt auch, wenn er isst. Unter dem Hashtag #SöderIsst postet Bayerns Ministerpräsident in sturer Regelmäßigkeit auf Instagram kulinarische Begebenheiten aus seinem Leben. Inklusive wenig schmeichelhafter Fotos von sich beim Verzehr dessen, was Ernährungsprofis wohl aus guten Gründen als mittelfristig direkten Weg zu Bluthochdruck und Herzinfarkt bezeichnen würden. Würstl mit Sauerkraut, Burger, Krapfen, Schweinshaxe mit Knödeln, gegrilltes Fleisch. (Fast überflüssig, zu erwähnen, dass die Grünen immer mal wieder in seinen Postings erwähnt werden.) Söder inszeniert sich auch auf diesem Weg als Antithese einer seiner Meinung nach verkniffenen, spaßbefreiten und deshalb rigoros ablehnenden Ernährungsweise und Weltanschauung.
Taylor Swift der Politik
Markus Söder ist ein entspannter Typ, das sollen seine Insta-Beiträge vermitteln. Und unbestritten ist er ein Marketing-Crack: Der CSU-Fanshop vertreibt gar ein Kochbuch mit dem Titel "#SöderIsst – 25 Genuss-Rezepte angelehnt an die besten Instagram-Posts von Ministerpräsident Dr. Markus Söder". Unterm Strich ist Markus Söder Social-Media-Profi. Der Mann verfügt über Hunderttausende Follower – für hiesige Verhältnisse ist er damit die Taylor Swift der Politik.
Und darüber hinaus ein Bayer, der seinen Freistaat nicht einfach nur als eines von 16 Bundesländern verstanden wissen will, sondern in seiner vollen, von den meisten unterschätzten internationalen Bedeutung. Bayerische Bodenständigkeit in Verbindung mit staatsmännischer Weltläufigkeit – dies vereint Söder in sich. Auch diese Botschaft sollen sein Wirken und sein Social-Media-Auftritt senden.
Weltläufigkeit aus Bayern
Jüngster Coup des Söder-Projektes namens "Weltläufigkeit beweisen": Am Samstag traf der CSU-Chef in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi ein, um bei der Regierung des zur Weltmacht aufstrebenden Staates für eine indisch-europäische Freihandelszone zu werben – und für mehr Waffenimporte aus Europa.
Auf den ersten Blick eine überraschende Mission. Markus Söder wird dem ja höchstwahrscheinlich demnächst zustande kommenden Kabinett Merz nicht angehören. Er läuft sich mit dieser Reise also nicht warm als künftiger Außen-, Wirtschafts- oder Verteidigungsminister. Auch wenn sich Söder all diese Posten zweifelsohne zutrauen würde; wahrscheinlich auch gebündelt in einem Giga-Ministerium – er bekommt keinen der drei. Nein, Söder betreibt bayerische Außenpolitik. Das macht man in der CSU gerne. Als Union und SPD vergangene Woche den Koalitionsvertrag vorstellten, konnte Söder verkünden, dass seine Partei künftig einen Staatsminister im Auswärtigen Amt stellen wird. Dies sei die Erfüllung eines Traums: "Wir wollen unser außenpolitisches Profil stärken", sagte er.
Das hätte er wissen müssen
Als Medienprofi und gelernter Journalist weiß Söder: Nicht nur Bilder, wie er in eine Wurst beißt, wecken Aufmerksamkeit – sondern auch solche von Reisen und politischen Gesprächen in fernen und großen, mächtigen Ländern. Im vergangenen Frühjahr etwa zog es Söder nach China. Unvergessen die Fotos mit naturgemäß extrem niedlichen Pandas auf dem Arm, aber eben auch im Gespräch mit Machthabern. Das macht Eindruck, vermittelt Tatendrang plus exzellente Vernetzung plus ein weiches Herz. Da schaut jemand über den eigenen Tellerrand – so die gewünschte Botschaft. Ja, geht es denn noch besser?
An dieses Konzept wollte Söder nun in Indien anknüpfen: Söder neben dem indischen Außenminister, Indiens IT-Minister, nachdenklich in die Ferne blickend vor indischen Monumenten, aber auch neben einem indischen Mädchen sitzend, das von einem Sozialprojekt unterstützt wird – sein Instagram-Account zeigt: Söder sieht, kennt und trifft jedermann. Und: Dafür muss ein Markus Söder nicht in ein Bundeskabinett berufen werden.
Ganz aktuell allerdings vermittelt sich eher der Eindruck, dass Markus Söders weltpolitische Pläne ausgerechnet aufgrund eines dann doch ziemlich provinziell anmutenden Anfängerfehlers geändert werden müssen: Eigentlich wollte der Bayer noch vor seinem Rückflug in die Heimat in die bayerische Partnerprovinz Karnataka weiterreisen. Stattdessen aber musste er in Neu-Delhi bleiben, im Hotel – und mutmaßlich im Bett. Ausgerechnet die indische Küche macht Söder einen fetten Strich durch die Rechnung: Er hat Magen-Darm. In Indien. Klischee total.
Ironie rettet ihn mal wieder
"Essen Sie keinen Salat, keine frischen Früchte, nur Gekochtes oder Durchgebratenes – und Vorsicht bei allem, was Sie noch nie gesehen oder gerochen haben" – das ist so circa der erste Satz, der Indien-Besuchern in jedem Reiseführer serviert wird. Die Inder kochen anders als wir, und die Inder verfügen stellenweise über nicht ganz so sauberes Trinkwasser wie wir. Vorsichtig ausgedrückt. Die Inder zumindest, die nicht seit Jahren dieses leckere Restaurant um die Ecke betreiben.
Was exakt den großen Söder nun niedergestreckt hat, entzieht sich der Kenntnis der Öffentlichkeit. Ansonsten aber macht er mit der ihm eigenen Mischung aus Medienkompetenz, Selbstironie und Marketingschläue das Beste aus dem Malheur: Auf seinem Instagram-Account findet sich jetzt ein Foto von einem kargen Frühstück. Und dieser Text: "#söderisst heute nur Toast und trinkt Tee. Denn gestern hat es mich ziemlich erwischt. Zum Glück geht es heute schon wieder besser, und ich fliege aus Indien wieder nach Hause ... PS: Danke für die vielen Genesungswünsche!"
Übrigens: Kolumbus hielt Amerika damals zunächst für Indien.
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