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"Querdenker"-Experte: "Keine Impfungen gegen Verschwörungsideologien"


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Experte über "Querdenker"
"Leider gibt es keine Impfungen gegen Verschwörungsideologien"

InterviewVon Ali Vahid Roodsari

Aktualisiert am 04.05.2021Lesedauer: 8 Min.
Polizisten bei einer "Querdenker"-Demo in Hannover 2020 (Archivbild): Sogenannte "Querdenker" ziehen laut Verfassungsschutz immer mehr Rechtsextremisten an und radikalisierten sich zunehmend im Internet.Vergrößern des Bildes
Polizisten bei einer "Querdenker"-Demo in Hannover 2020 (Archivbild): Sogenannte "Querdenker" ziehen laut Verfassungsschutz immer mehr Rechtsextremisten an und radikalisierten sich zunehmend im Internet. (Quelle: Hauke-Christian Dittrich/dpa)
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Seit mehreren Monaten gehen "Querdenker" regelmäßig auf die Straße. Ein Experte erklärt, was die Bewegung gefährlich macht und wie sie sich ungestört im Netz radikalisieren konnte.

Seit fast einem Jahr demonstrieren Menschen immer wieder gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Mittlerweile dominieren sogenannte "Querdenker" die Proteste. Die Bewegung wird seit Ende April 2021 bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet.

Josef Holnburger, Geschäftsführer vom Thinktank Cemas, befasst sich seit Jahren wissenschaftlich mit Verschwörungsideologien, Rechtsextremismus und Antisemitismus. Im Interview erklärt der Experte, warum die Beobachtung durch den Verfassungsschutz gerechtfertigt ist, warum sich "Querdenker" auf Telegram lange ungestört radikalisieren konnten und warum man "Querdenkern" widersprechen sollte.

t-online: Herr Holnburger, seit Ende April ist bekannt, dass der Verfassungsschutz die "Querdenker"-Szene bundesweit beobachten wird. Sind das gute Nachrichten?

Josef Holnburger: Ich halte das jedenfalls für die richtige Entscheidung.

Warum?

Dafür gibt es viele Gründe: Zu einem der Ziele von "Querdenken" gehört beispielsweise, dass sie den Artikel 146 umsetzen wollen. Das ist ein Überbleibsel aus der Nachkriegszeit, als es darum ging, ein eigenes Grundgesetz zu entwickeln.

Artikel 146 des Grundgesetzes: "Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."

An sich ist das nicht problematisch. Aber es zeigt, dass die "Querdenker" per se kritisch gegen die aktuelle Verfassung sind. Und dazu kommen noch weitere problematische Dinge.

Die wären?

Die Bewegung ist stark rechts offen. So waren bei "Querdenken" von Beginn an Personen beteiligt, die auch im Reichsbürgermilieu aktiv sind – beispielsweise Stephan Bergmann, der Pressesprecher von "Querdenken". Vor Kurzem führte der "Querdenken"-Initiator Michael Ballweg Interviews mit dem vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuften "Compact"-Magazin. Außerdem gab es Kontakte mit dem Schweizer Rechtsextremen Ignaz Bearth oder Nikolai Nerling, dem sogenannten Volkslehrer – einem Lehrer und Holocaust-Leugner aus Berlin.

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Gibt es denn nicht in jeder Bewegung ein paar fragwürdige Figuren?

Die Sache ist die: Wenn man die oben genannten Dinge thematisiert hat, dann hat man sich zwar distanziert, aber sich am Ende trotzdem wieder mit diesen Personen getroffen. Dazu kommt: Die "Querdenken"-Bewegung wird dominiert von Verschwörungserzählungen. Zum Beispiel über eine globale Verschwörung der technologischen Hochfinanz – was durchaus kompatibel zur vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung ist. Auch wird suggeriert, dass es verboten sei, die Regierung zu kritisieren. Aber das ist Quatsch: Ich kritisiere die Regierung ständig. Und angeblich seien alle Medien gleichgeschaltet. Das alles führt dazu, dass die Menschen in der Bewegung radikalere Maßnahmen mittlerweile befürworten: Wir haben bereits gesehen, dass die Demonstrationen immer ausschreitender wurden und es häufiger Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten seitens der Szene gibt. Insofern ist eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz eine logische und notwendige Konsequenz.

Es wurden sogar bereits Polizisten attackiert. Aber es sind ja nicht alle "Querdenker" gewalttätig oder glauben an Verschwörungen. Einige sind sicher auch nur generell mit den Corona-Maßnahmen unzufrieden.

Es gibt sicher viele Menschen, die bei "Querdenken" mitlaufen, die kein oder wenig problematisches Gedankengut mit sich tragen. Aber dass man immer wieder solche Personen aus dem rechten Spektrum oder mit antidemokratischen Ansichten auf der Bühne akzeptiert, begünstigt eben diese antidemokratischen Ansichten. Die Veranstaltungsbranche hat im vergangenen Jahr gezeigt, dass man auch ohne diese Menschen demonstrieren kann.

Also wer bei "Querdenken" mitläuft, unterstützt Rechtsextreme?

Jeder, der bei Querdenken mitläuft, muss sich eines klarmachen: Wer sich nicht von Menschen distanziert, die man als rechtsextrem bezeichnen kann, der macht sich mit den Zielen dieser Leute gemein, unterstützt sie indirekt und gibt der Bewegung eine größere Masse. Nehmen wir als Beispiel den Sturm auf den Reichstag am 29. August: Das Ganze wirkte größer und Rechtsextreme innerhalb der Bewegung nahmen das auch als Deckungsmasse wahr. Das heißt: Rechtsextreme waren gewalttätig gegenüber Polizisten und versuchten einen Sturm auf den Reichstag aus der Masse der "Unideologisierten" heraus.

Vor dem Sturm auf den Reichstag haben "Querdenker" in öffentlich einsehbaren Kanälen des Messengerdienstes Telegram verkündet, was sie planen. Behörden haben diese Ankündigungen aber wohl nicht ernst genommen, wie man dann gesehen hat. Wie kann das sein? Die Infos waren doch für jeden verfügbar.

Ich glaube, dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Zum einen wurden Verschwörungserzählungen lange lächerlich gemacht beziehungsweise nicht ernst genommen. Laut Forschungen neigen aber Menschen mit einem verschwörungsideologischen Weltbild eher dazu, Gewalt anzuwenden. Das ist in Expertenkreisen schon seit Langem bekannt, Behörden oder auch viele Medien sahen die Gefahr wohl aber nicht.

Und was ist der zweite Punkt?

Ich glaube, es gibt immer noch zu wenig Wahrnehmung der Verschränkung der Online- und Offlinewelt. Wir haben das von Behörden in der Vergangenheit erlebt: Sie gingen gegen volksverhetzende Aussagen im Internet weniger aktiv vor, als wenn die Aussagen auf einer Demo oder allgemein im öffentlichen Raum getroffen wurden. Das Internet wurde abgekapselt und quasi zum rechtsfreien Raum gemacht.

Aber man muss eben beachten: Nutzer, die Hass ins Internet schreiben, sind reale Personen und erreichen damit viele andere reale Personen. Wir haben vor Halle und Hanau auch gesehen, dass der Hass vorher online aufgebaut wurde. Deswegen muss es meiner Meinung nach eine stärkere Wahrnehmung dafür geben, dass die Onlinewelt und die Offlinewelt sich gegenseitig beeinflussen.

Die Regierung hat Anfang April ein Gesetzespaket gegen Hasskriminalität und Rechtsextremismus beschlossen, das höhere Strafen gegen Hass im Netz ermöglicht. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Insgesamt halte ich es für einen Schritt in die richtige Richtung. Aber es ist nur ein Baustein, gesetzlich dagegen vorzugehen. Auch die Zivilgesellschaft muss aktiv werden. Und natürlich müssen Plattformen mitarbeiten. Da haben wir aber Anbieter wie Telegram, die sich verschließen und kaum etwas machen. Da muss die Politik Antworten finden. Und ich denke, da reichen oft nicht nationale Alleingänge, sondern man braucht eine europäische Lösung.

Wie könnte so eine Lösung aussehen? Telegram zu verbieten kann ja keine sein.

Ich glaube, Konzepte zwischen Zivilgesellschaft und Plattformbetreiber sind wirksamer. Das ist zum Beispiel der Weg, den Facebook geht. Es wird zwar nicht immer das umgesetzt, was die Zivilgesellschaft fordert. Aber es heißt, dass es eine Sensibilisierung für Probleme gibt. Facebook hat auch viele "QAnon"-Gruppen bereits gelöscht.

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Mit dem Netzwerksdurchsuchungsgesetz gibt es zudem ein Gesetz, das Unternehmen zwingt, Transparenzberichte zu Löschungen zu erstellen. Instant-Messenger, wie Telegram klassifiziert wird, sind davon jedoch ausgenommen. Telegram ist aber bereits über einen Instant-Messenger hinausgewachsen.

Es ist ja auch ohne Account möglich, bei Kanälen und Gruppen mitzulesen. Ich denke darum, hier braucht es gesetzliche Nachbesserungen in Bezug darauf, dass man sich der Realität anpassen muss: Nämlich, dass Telegram nicht einfach nur ein Instant-Messenger ist, sondern ein soziales Netzwerk.

Telegram ist in vielen Ländern bei Oppositionellen beliebt, wie damals in Hongkong oder jetzt Belarus. Welche Rolle hat das Netzwerk in Deutschland?

Wir bei Cemas analysieren das schon seit Längerem und haben festgestellt, dass Telegram das Tool für die verschwörungsideologische Szene in Deutschland ist. Darüber werden Demonstrationen angekündigt und darüber gibt es auch immer wieder Aufrufe zur Gewalt.

Es hat sich in der Vergangenheit schon öfter gezeigt, dass sich online viel bewegt hat und online abzuschätzen war, wie erfolgreich beziehungsweise gewaltsam so eine Demonstration werden könnte. Bei Cemas analysieren wir die öffentlichen Onlinediskussionen im verschwörungsideologischen Milieu und beraten dahingehend Politik, Behörden und Medien.

Cemas steht für "Center für Monitoring, Analyse und Strategie" und ist eine gemeinnützige Organisation, die sich auf Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus spezialisiert hat. Cemas wird von der Alfred Landecker Foundation bis 2024 mit 2,8 Millionen Euro unterstützt. CEO und Gründungsdirektor Andreas Eberhardt der Alfred Landecker Foundation begründet das so: "Wir sind ein Inkubator für Demokratie im digitalen Zeitalter, der Technologie und Innovation in den Dienst offener Gesellschaften stellt. Als Stiftung fördern wir Organisationen wie Cemas, um nahezu in Echtzeit wirksame Ergebnisse im Kampf gegen zunehmende Radikalisierungsdynamiken zu erzeugen. Das ist notwendig, da sich die Zukunft der Demokratie im Internet entscheidet."

Was haben Sie herausgefunden?

Das Thema Impfen ist beispielsweise seit November ein dominantes Thema auf Telegram. Deswegen rufen wir dazu auf, Impfzentren besser zu schützen und Demonstrationen nicht an Impfzentren vorbeizuführen. Ich glaube, solche Einschätzungen von uns braucht es, weil wir gesehen haben, dass die Einschätzungen von Behörden, von dem, was daraus resultiert ist, ziemlich weit weg waren.

Wie der vorhin besprochene Sturm auf den Reichstag. In Stuttgart und Kassel haben wir das noch mal erlebt, dass die Polizei mit der hohen Zahl an Menschen nicht umgehen könnten. Ich glaube, es gibt noch viel Potenzial für Entwicklung, wie Behörden und wie die Politik damit umgehen müssen. Wir werden uns vermutlich noch länger mit dem Thema Verschwörungsideologien beschäftigen müssen.

Wie meinen Sie das?

Nach der Corona-Pandemie werden wir wohl eine Wirtschaftskrise haben. Dazu sind wir mitten in einer Klimakrise. Das heißt: Die Krisen hören nicht auf und in Krisenzeiten haben Verschwörungserzählungen besonders starken Zulauf. Wir brauchen also nachhaltige Strategien und Konzepte, wie man damit umzugehen ist.

Vorhin haben Sie gesagt, dass auch die Zivilgesellschaft gegen Verschwörungserzählungen aktiv werden sollte. Was raten Sie normalen Bürgern zu tun? Beispielsweise wenn man online oder auf Familienfeiern damit konfrontiert wird?

Wir sehen bei Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, dass sie denken, Medien, Wissenschaft und Politik hätten sich gegen sie verschworen. Sie nehmen Faktenchecks aus dieser Szene darum nicht mehr wahr. Der einzige Zugang zu diesen Personen besteht eher aus dem Bekanntenkreis, dem Arbeitsumfeld oder der Familie. Ich glaube, da ist es wichtig, stärker auf diese Personen zuzugehen, aber auch zu widersprechen, wenn jemand Gewaltfantasien äußert. Zum Beispiel: "Moment, das ist menschenfeindlich, was du da äußerst, das lasse ich nicht zu." Das kann helfen, die Personen wieder in die Realität zurückzuholen.

Nicht jeder hat vermutlich aber die Energie oder die Courage, ständig zu widersprechen.

Es ist natürlich eine individuelle Entscheidung, wie man damit umgeht. Aber was man im Hinterkopf behalten muss: Zu schweigen interpretiert die andere Person oft als Zustimmung. Bei "Querdenken" merkt man das: Die Leute denken, dass sie für eine stumme Mehrheit sprechen. Wenn beispielsweise die Polizei deeskalierend gehandelt hat und Maßnahmen nicht durchgesetzt hat, wurde das bei "Querdenken" so verstanden, dass die Polizei auf ihrer Seite sei und sie eigentlich unterstützte.

Und was ist, wenn man jemanden überhaupt nicht mehr erreichen kann, egal, was man sagt?

Einen Schlussstrich zu ziehen und mit der Person nicht mehr zu reden, ist eine Maßnahme, die am Ende stehen kann. Das hat auch etwas mit Selbstschutz zu tun. Aber es ist wichtig, ein Zurückkommen immer zu erlauben und zu sagen, wann die Freundschaft wieder aufgenommen werden kann, wenn zum Beispiel die andere Person die fragwürdigen Gedanken aufgibt. Dadurch treibt man die Radikalisierung nicht so weit voran, dass die Leute nur noch in diesen Telegram-Gruppen Zuflucht suchen.

Glauben Sie denn wirklich, man kann alle diese Menschen noch irgendwie erreichen, die an Verschwörungserzählungen glauben?

Das Thema ist am Ende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die wir gemeinsam Lösungen finden müssen. Und es stellt sich die große Herausforderung: Was machen wir mit den Menschen, die sich so weit von der Realität abgeschottet haben, dass sie in ihrer eigenen Realität existieren? Wir haben zwar jetzt medizinische Antworten auf das Coronavirus wie Impfungen.Aber leider gibt es keine Impfungen gegen Verschwörungsideologien. Und deren Anhänger erfinden auch immer neue Narrative, wenn die alten sich nicht bewahrheiten. Erst hieß es zum Beispiel, dass 25 Prozent der Menschen an Impfungen sterben. Nun heißt es, dass die Folgen erst in zwei Jahren zu sehen sein werden.

Und eine Sache noch: Studien haben auch gezeigt, dass sich die Zustimmungen zu Verschwörungsideologien nicht erhöht haben. Das ist etwas, was man im Hinterkopf behalten muss: Vielleicht sind es gar nicht mehr Menschen, die an Verschwörungsideologien glauben. Vielleicht sind diese Menschen einfach nur lauter und selbstbewusster geworden. Und vielleicht muss man gesamtgesellschaftlich lauter darauf antworten und einen Schlussstrich ziehen, wenn sich die Diskussion nicht mehr lohnt.

Herr Holnburger, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Josef Holnburger
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