"Wäre vermeidbar gewesen" Warnungen der Botschaft in Kabul wurden offenbar ignoriert
Offenbar wusste die deutsche Botschaft in Kabul schon länger um die Gefahrenlage in Afghanistan. Das Auswärtige Amt reagierte trotzdem spät. Für ihr Krisenmanagement wird die Regierung scharf kritisiert.
Die deutsche Botschaft in Kabul hat einem Bericht zufolge beim Auswärtigen Amt über längere Zeit erfolglos auf die Gefährdung ihrer Mitarbeiter hingewiesen. Der stellvertretende deutsche Botschafter Hendrik van Thiel habe in seinem Lagebericht am Freitag geschrieben, "dass den dringenden Appellen der Botschaft über längere Zeit erst in dieser Woche Abhilfe geschaffen" worden sei, berichtete das ARD-Hauptstadtstudio. "Wenn das an irgendeiner Stelle diesmal schiefgehen sollte, so wäre dies vermeidbar gewesen", schrieb der Diplomat demnach weiter.
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Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte trotz des raschen Vormarschs der radikalislamischen Taliban erst am Freitag den Abzug eines großen Teils der deutschen Botschaftsmitarbeiter aus Kabul angekündigt. Am Sonntag wurde die Botschaft geschlossen und das gesamte Personal an den militärischen Teil des Kabuler Flughafens verlegt.
Am Krisenmanagement der Bundesregierung gibt es breite Kritik. Insbesondere wird der Vorwurf erhoben, zu spät auf die Lage in Afghanistan reagiert zu haben.
Am Montagmorgen startete ein erstes A400M-Transportflugzeug der Luftwaffe zur Evakuierung von Menschen aus Kabul. Das ARD-Hauptstadtstudio berichtete unter Berufung auf Sicherheitskreise, dass erst in der vergangenen Woche darüber gesprochen worden sei, unter welchen Bedingungen ein A400M für eine solche Aktion zur Verfügung gestellt werden könnte.
Zeitfenster für Evakuierungen von höchstens einer Woche
Der Sicherheitsexperte der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Markus Kaim, geht davon aus, dass der Flughafen Kabul nicht mehr lange für Evakuierungsflüge genutzt werden kann. Es gebe noch ein Zeitfenster von vielleicht drei Tagen oder höchstens einer Woche – "dann schließt sich dieses Zeitfenster und wer dann das Land nicht verlassen hat, wird dort bleiben müssen", sagte Kaim am Montag im Sender Phoenix.
Zur Aufnahme ehemaliger afghanischer Ortskräfte in Deutschland sagte er, der Bundesregierung müsse "ein schlechtes Zeugnis" ausgestellt werden. "Sie hat zu lange gewartet, sie hat zu hohe bürokratische Hindernisse aufgebaut, sie hat darauf bestanden, dass alle, die nach Deutschland kommen wollen, einen afghanischen Pass vorlegen." Das habe das Verfahren erheblich verlangsamt. "Und jetzt ist es wirklich an der Zeit, unbürokratisch all die mitzunehmen, die man mitnehmen kann", mahnte Kaim.
- Nachrichtenagentur AFP