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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Pressesprecher Lüth AfD ließ Sprecher trotz Hitlergruß-Vorwürfen im Amt
Nach skandalösen Aussagen hat die AfD-Fraktion ihren Pressesprecher Christian Lüth gefeuert. Die Partei geht zwar auf Distanz, doch Jahre vorher waren Hitlergruß-Vorwürfe offenbar kein Problem.
Die AfD-Spitze hatte offenbar lange vor der fristlosen Entlassung des Pressesprechers ihrer Fraktion im Bundestag, Christian Lüth, mehrere Hinweise auf fehlende Distanz zum Nationalsozialismus. Konsequenzen zog die AfD aber offenbar nicht. Die frühere AfD-Chefin Frauke Petry sagt t-online: "Wer aus der aktuellen AfD-Führung heute so tut, als wüsste er nichts von Fehlleistungen und Gesinnung von Lüth, hat 2016 die Augen und Ohren fest geschlossen." Lüth weist die Vorwürfe dagegen zurück.
Am Montag hatte der Fraktionsvorstand als Reaktion auf einen TV-Bericht den sofortigen Rauswurf beschlossen. ProSieben hatte in der Doku "Rechts. Deutsch. Radikal" Aufnahmen von Lüth aus dem Februar gezeigt, die verdeckt bei einem Treffen mit einer Influencerin gedreht worden waren. Aus dem Gedächtnisprotokoll von Lisa Licentia zitierte der Sender Lüth zum Thema Zuzug von Migranten: "Wir können die nachher immer noch alle erschießen, das ist überhaupt kein Thema, oder vergasen, oder wie du willst, mir egal." Mit dem AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland sei besprochen: "Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD."
Gauland nannte die Behauptung, er habe mit Lüth über diese Themen auch "nur gesprochen" beziehungsweise die "Herrn Lüth zugeschriebenen Äußerungen sogar gebilligt" völlig absurd und frei erfunden. Lüth gilt aber als enger Vertrauter von Gauland.
Wann wusste Fraktion von Vorwürfen?
Die Bundespartei erklärte sogar, man wolle nicht mit solchen Äußerungen in Verbindung gebracht werden. Lüth sei seit August nicht mehr Partei-Mitglied und sei auch im Februar nicht Partei-Sprecher gewesen, sondern der Sprecher der Fraktion. Dorthin war Lüth nach der Bundestagswahl 2017 gewechselt.
Doch es gibt auch Streit um die Reaktion der Fraktion. Der rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Uwe Junge wirft dem Vorstand um Gauland, Alice Weidel, Tino Chrupalla und Beatrix von Storch vor, dass die Vorwürfe länger bekannt gewesen seien.
Bereits vor dem Wechsel von Lüth gab es Vorfälle, die ein anderes Licht auf diese Distanzierungen werfen: Die Spitzengremien der Partei beschäftigten sich mit mindestens zwei Fällen, in denen es um Lüth und Hitlergruß-Vorwürfe während seiner Zeit als Sprecher der Partei ging. Das bestätigte die frühere Parteichefin Frauke Petry gegenüber t-online.
In der AfD ging es – auch in dieser Zeit – in allen Lagern oft nicht um die Sache. "Ihre politischen Widersacher fassten alles unter das Thema 'Machtkampf'", sagt Dirk Driesang, früheres Mitglied im AfD-Bundesvorstand und im vergangenen Jahr aus der AfD ausgetreten.
"Schilderung war verstörend"
Als Petry Lüths Ablösung forderte, war es Petrys Gegenspielern demnach vor allem wichtig, dass sie nicht mehr innerparteiliche Macht bekommt. Driesang sagte, er selbst sei aus der Ferne mit Lüths Arbeit zufrieden gewesen, habe aber 2016 für eine Ablösung gestimmt: "Die Schilderung damals war handfest und völlig verstörend."
Damit meint er speziell einen von zwei Vorfällen: Es geht um einen Abend in der Berliner Bar Sky-Lounge am 6. April 2016. Der schillernde Politikberater Friedel Opitz berichtete Petry in einem Brief von einem Erlebnis, das er und ein Begleiter hatten. Den Ablauf trugen sie auch Wochen später in einem kleinen Hotelzimmer Petry und Bundesvorstandsmitglied Albrecht Glaser vor, wie die beiden Zeugen und Petry übereinstimmend t-online sagten.
Es soll folgendermaßen abgelaufen sein: Opitz habe Lüth nicht gekannt, sie seien aber als Tischnachbarn auf die AfD zu sprechen gekommen, für die Opitz Sympathien hatte. Lüth habe dann mit Zeige- und Mittelfinger ein Hitlerbärtchen angedeutet und sowie mit angewinkelter rechter Hand den Hitlergruß imitiert. Dazu habe Lüth gesagt, in der AfD seien doch sowie nur Rechtsradikale und Nazis. Dann habe er sich als AfD-Pressesprecher zu erkennen gegeben.
"Hitlergrüße nicht durch 'Satire' entschuldbar"
Petry erklärt dazu: "Hitlergrüße sind weder durch Alkohol noch angebliche 'Satire' entschuldbar." Die beiden Zeugen sagten t-online, sie hätten nach dem Gespräch im Hotelzimmer gedacht, dass Lüth nun aus dem Amt fliege. Opitz: "Mein Eindruck war, dass sein Auftreten nicht nur die Distanz zum Nationalsozialismus fehlen lässt, sondern die AfD in der schlimmstmöglichen Art schädigten könnte." Den Sachverhalt versicherte er auch eidesstattlich.
Christian Lüth schrieb t-online dagegen, die Vorwürfe seien "absurd. So etwas hat es nie gegeben. Das war lediglich Teil einer Verleumdungskampagne von Frauke Petry gegen mich."
Den ersten Fall hatte Petry nach ihren Angaben selbst erlebt. Lüth habe in der Bundesgeschäftsstelle in bierseeliger Stimmung den Hitlergruß gezeigt. Den Zeitpunkt kann sie nicht mehr nennen. Am 25. März 2016 hatte sie in der Bundesvorstandssitzung davon berichtet und seine Ablösung gefordert. Der Rest des Vorstands stellte sich gegen sie, sie stand nun ohne Pressesprecher da.
Damals machte Petry nicht öffentlich, dass sie Lüth auch den Hitlergruß vorgeworfen hatte, sondern sprach allgemein von "Kritik an seiner Arbeit". Es gilt als offenes Geheimnis, dass Lüth gegen Petry gearbeitet hat. Er teilte t-online mit: Die damalige Parteichefin "habe jede Gelegenheit genutzt, neutrale – also nicht hörige – Mitarbeiter auf haarsträubende Weise zu verleumden."
Für Petry dürfte der Brief von Opitz zwei Wochen später mit der Schilderung des zweiten Vorfalls zunächst wie ein politisches Geschenk gewesen sein. Aber sie setzte sich im Bundesvorstand nicht durch – auch nicht, als sie beim Bundeskonvent der AfD das Thema noch einmal ansprach.
"Toleranz für Extremismus"
In einem Dossier zu Lüth habe sie dort die fast 50 Vertreter der Landesverbände und den vier weiteren Vertretern des Bundesvorstands stichpunktartig über Lüth informiert und dabei auch von den Hitlergrüßen berichtet. Doch Lüth – seit 1. November 2013 in der Bundesgeschäftsstelle zuständig für die Koordination der Pressearbeit, Medien und Programmatik und seit März 2014 Pressesprecher – bekam keine Probleme. Ex-Bundesvorstands-Mitglied Driesang findet den Ausgang "rückblickend erneut sehr bedauerlich".
Petry sagt, der Konvent habe ihr gezeigt, "dass Meuthen und Gauland mit Inkompetenz und einer erkennbaren Toleranz für Extremismus in der AfD mehrheitsfähig waren", so Petry. "Da die Führungsriege beschlossen hatte, Lüth trotz der bekannten Vorfälle zu decken, waren meine Möglichkeiten aus damaliger Sicht erschöpft."
Im April 2020 wurde dann öffentlich, dass Lüth sich in Chats als "Faschist" bezeichnet und von seiner "arischen Abstammung" geschrieben hatte. Die Fraktion stellte ihren Pressesprecher als Mitarbeiter ohne Aufgaben frei, entlassen wurde er nicht. Doch dann gab es nach Informationen des ZDF sogar zwischenzeitlich Pläne der Fraktion, Lüth nun zum Medienkoordinator zu machen. Petry: "In der Politik werden wichtige Mitarbeiter selten entfernt, sondern allenfalls wegbefördert. Meist wissen sie zu viel." Ob das auch in diesem Fall so sei, könne sie nur spekulieren.
Die AfD hat auf eine Anfrage von t-online vom Dienstagmorgen bisher nicht geantwortet.
- Eigene Recherchen
- ProSieben: Rechts. Deutsch. Radikal.
- Spiegel.de: Petry arbeitet nicht mehr mit Vorstands-Pressesprecher zusammen
- tagesschau.de: Faschismusvorwurf – AfD wirft Pressesprecher raus
- Politik & Kommunikation: Lüth betreut Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der AfD (archiviert)
- heute.de: Was wusste die AfD von "Vergasen"-Aussage?