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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vom "Vogelschiss" bis zum "Bevölkerungsaustausch" Die AfD als Verdachtsfall des Verfassungsschutzes
Höcke, Halemba und Co: Immer wieder fallen Mitglieder der AfD mit rechtsextremen Aussagen auf. Teile der Partei werden vom Verfassungsschutz beobachtet. t-online erklärt, was das bedeutet.
Ist die Alternative für Deutschland (AfD) eine rechtsextreme Partei? Seit dem Februar 2021 ist die gesamte Partei laut Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft. Obwohl die AfD dagegen vor einem Gericht in Nordrhein-Westfalen klagte, bestätigte das Verfassungsgericht NRW die Einstufung der AfD und ihrer Jugendorganisation Junge Alternative (JA) als Verdachtsfall. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, denn die Partei legte Berufung ein. Das abschließende Urteil soll im Februar 2024 folgen.
Der Verfassungsschutz unterscheidet seine Beobachtungen in drei Phasen: den Prüffall, den Verdachtsfall und die erwiesen extremistische Bestrebung. Erst ab der Phase des Verdachtsfalls darf die Öffentlichkeit informiert werden.
In Deutschland werden beinahe alle Landesverbände der AfD vom Verfassungsschutz als Verdachtsfälle beobachtet. Das bedeutet, dass die Behörde Anhaltspunkte hat, die auf eine verfassungsfeindliche Ausrichtung schließen lassen, diese aber noch nicht derart verdichtet sind, um erwiesenermaßen davon ausgehen zu können. Einige AfD-Landesverbände wurden bereits als gesichert rechtsextrem eingestuft. t-online erklärt, welche Verbände das sind und welche Auswirkungen die Einordnung hat.
Welche Landesverbände der AfD werden vom Verfassungsschutz beobachtet?
Als rechtsextreme Verdachtsfälle gelten – und werden somit vom Verfassungsschutz beobachtet – die Landesverbände der AfD in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz.
Die Landesverbände Sachsen-Anhalt und Thüringen gelten nach Prüfung der Verfassungsschutzbehörden als gesichert rechtsextrem.
Damit verbleiben drei Bundesländer, in denen die in Teilen rechtsextreme Partei bisher noch nicht öffentlich beobachtet wird. Im jüngsten Bericht des saarländischen Verfassungsschutzes taucht die AfD nicht auf. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es noch kein Gerichtsurteil, die Behörde habe die Partei aber nach Informationen des NDR im Blick. In der nordrhein-westfälischen AfD wird nur ein Netzwerk, das dem Höcke-Lager zugerechnet wird, beobachtet. Da der "Flügel" offiziell aufgelöst ist, hat das Netzwerk keinen speziellen Namen.
Der sogenannte "Flügel" wurde im März 2020 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" eingestuft. Seitdem werden seine Vertreter rund um die Hauptfigur Björn Höcke nachrichtendienstlich beobachtet. Offiziell gilt die innerparteiliche Gruppierung als aufgelöst.
Die Junge Alternative (JA) gilt seit diesem Jahr nach einer Überprüfung durch den Bundesverfassungsschutz ebenfalls als gesichert rechtsextrem. "Die JA propagiert ein völkisches Gesellschaftskonzept, das auf biologistischen Grundannahmen beruht, ein ethnokulturell möglichst homogenes Staatsvolk postuliert", heißt es in der offiziellen Mitteilung.
Wie wird die Einstufung begründet?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz begründet die Einstufung der gesamten Partei als Verdachtsfall folgendermaßen: "In Verlautbarungen der AfD und ihrer Repräsentanten kommt vielfach ein ethnisch-kulturell geprägtes Volksverständnis zum Ausdruck, welches im Widerspruch zur Offenheit des Volksbegriffs des Grundgesetzes steht."
Dazu zähle beispielsweise die Unterscheidung in Staatsbürger deutscher und nicht-deutscher Abstammung. Zudem bediene die Partei verschwörungstheoretische und rechtsextreme Narrative wie etwa die Warnung vor einem "Bevölkerungsaustausch", bei dem "die Deutschen" weniger und durch Menschen mit Migrationsgeschichte ersetzt würden.
"Was man früher durch Krieg erreichte, erreicht man so sukzessive über drei bis vier Generationen durch Einwanderung und Geburtenüberschuss."
Facebook-Eintrag eines AfD-Kreisverbandes vom 23. Juni 2022, der im Verfassungsschutzbericht zitiert wird
Personen mit muslimischem Hintergrund werde laut Verfassungsschutzbericht pauschal ein Hang zur Kriminalität unterstellt. Auch antisemitische Narrative werden von Personen der AfD verbreitet.
"Festzustellen sind zudem Diffamierungen und Verunglimpfungen politischer Gegner sowie des Staates und seiner Repräsentanten, die nicht eine Auseinandersetzung in der Sache, sondern eine generelle Herabwürdigung und Verächtlichmachung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland zum Ziel haben." Dieses Vorgehen gilt per Gesetz als demokratiefeindlich.
Der Verfassungsschutz konnte darüber hinaus strukturelle Verbindungen zu Anhängern der Neuen Rechten feststellen. Die Neuen Rechten grenzen sich von Anhängern des historischen Nationalsozialismus ab. Sie lehnen die Idee der liberalen Demokratie ab und stehen für einen Ethnopluralismus, der im Grunde bedeutet, dass Völker nicht "durchmischt" werden, sondern homogen sind. Zu den Neuen Rechten zählen beispielsweise die Identitäre Bewegung oder das rechte Magazin "Junge Freiheit".
Auf dieser Basis argumentieren auch die Bundesländer.
Was bedeutet es, wenn der Verfassungsschutz eine Partei als Verdachtsfall einstuft?
Mit der Einstufung einer Organisation, Gruppe, Partei oder eines Vereins als Verdachtsfall darf der Verfassungsschutz Mittel ergreifen, die sonst gegen das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis verstoßen. Behörden dürfen nicht ohne Genehmigung und gesicherten Verdacht die Telefonate von Bürgerinnen und Bürgern abhören. Auf Basis des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel-10-Gesetz) ist dies aber möglich, sobald eine Gruppierung als Verdachtsfall eingestuft ist. Dabei werden nicht alle Personen der Gruppe unter Generalverdacht gestellt, sondern jene überwacht, die etwaige Tendenzen aufweisen.
Diese Mittel müssen vom Bundesinnenministerium und der G10-Kommission geprüft und genehmigt werden. Erst ab der Freigabe dürfen dann beispielsweise Gespräche abgehört und aufgenommen werden. Allerdings muss der Verfassungsschutz immer das mildeste Mittel nutzen, um ein gesetztes Ziel zu erreichen. Zum größten Teil sammelt und prüft die Behörde Informationen aus öffentlichen Quellen wie den sozialen Medien, Veranstaltungen und freiwilligen Auskünften.
Sind diese Mittel ausgeschöpft, können nachrichtendienstliche Wege eingeschlagen werden. Zu dieser "geheimen Beschaffung" zählen unter anderem V-Leute, also Personen, die bereits im jeweiligen Umfeld sind und Einblicke geben können. Darüber hinaus kann der Verfassungsschutz verdächtige Personen beschatten, geheim fotografieren oder abhören. Aber: "In keinem Fall darf der Verfassungsschutz den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung – beispielsweise die Intimsphäre – verletzen."
- Verfassungsschutzbericht 2022
- verfassungsschutz.de: "Was macht eigentlich der Verfassungsschutz?"
- ndr.de: "Verfassungsschutz: Lage ist 'Hochzeit für Extremisten'" (Stand: 24.08.2022)
- Eigene Recherche