153 Tote nach Massenpanik in Seoul "Dies ist eine von Menschen verursachte Katastrophe"
Nachdem eine Massenpanik in Seoul mehr als 150 Menschen das Leben gekostet hat, wird Kritik an der Polizei laut. Verletzte hätten nicht schnell genug behandelt werden können.
Es sollte ein ausgelassenes Halloweenfest werden – und endete in einer Katastrophe: Die Zahl der Todesopfer bei der Massenpanik in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul ist auf 153 gestiegen. Das berichtete der öffentlich-rechtliche Sender KBS am Sonntagabend (Ortszeit) unter Berufung auf die Feuerwehr. Die aktuelle Zahl der Verletzten wurde demnach mit 103 angegeben. Von ihnen hätten 19 schwere Verletzungen erlitten.
Unter den Todesopfern befanden sich laut Feuerwehr 22 Ausländer, das Innenministerium gab die Zahl hingegen mit 20 an. Die Opfer stammten den Angaben zufolge aus China, dem Iran, Russland, den USA, Frankreich, Australien, Vietnam, Usbekistan, Norwegen, Kasachstan, Sri Lanka, Thailand und Österreich. Das Auswärtige Amt meldete am Sonntag, bislang seien keine Deutschen unter den Opfern gemeldet worden. Die Lage war teilweise unübersichtlich. Die Zahl der Toten und Verletzten könnte demnach noch steigen.
Rund 100.000 vor allem junge Menschen hatten sich zu den ersten Halloweenfeiern seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 am Samstagabend in den engen Straßen des Viertels Itaewon gedrängt. Dabei entstand gegen 22 Uhr (Ortszeit) eine Massenpanik.
Scharfe Kritik an der Polizei
Experten kritisierten, dass zu wenige Polizisten vor Ort gewesen seien. Ersthelfer hätten daher anfangs Schwierigkeiten gehabt, durch die überfüllten Gassen zu den Opfern zu gelangen. Diese Verzögerung war laut Experten kritisch, da viele Opfer mit einem Herzstillstand demnach das entscheidende "Vier-Minuten-Fenster" überschritten haben könnten, bevor Hilfe eintraf.
Dem südkoreanischen Innenministerium zufolge erforderte jedoch eine Demonstration in einem anderen Stadtteil eine erhöhte Polizeipräsenz, sodass viele Beamte dort und nicht in Itaewon im Einsatz waren. Für die Halloweenveranstaltung waren nach Polizeiangaben nur 200 Beamte vorgesehen.
"Dies ist eine von Menschen verursachte Katastrophe, die durch mangelndes Sicherheitsbewusstsein ausgelöst wurde", sagte der Experte Shin Dong Min dem Sender YTN. Die Polizei teilte mit, es werde überprüft, ob Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften vorlägen.
Auf online geteilten Videos war zu sehen, wie die Menge zunehmend in Panik geriet, als Menschen in eine enge, bergab führende Gasse drängten, die bereits mit Feiernden vollgestopft war. "Die Leute konnten sich nicht vorwärts bewegen und drängten und drängten, und es war ein steiler Hügel, sodass die Leute übereinander fielen und zusammenbrachen", sagte der 30-jährige Jarmil Taylor der Nachrichtenagentur AFP.
"Es gab so viele Menschen, die herumgeschubst wurden"
Viele der Opfer seien erstickt, erdrückt oder niedergetrampelt worden, hieß es in Augenzeugenberichten. Alles sei sehr schnell passiert, sodass die Menschen in der Menge kaum Zeit zur Flucht gehabt hätten. "Es gab so viele Menschen, die herumgeschubst wurden, und ich wurde in der Menge eingeklemmt und konnte zuerst auch nicht heraus", sagte der 30-jährige Jeon Ga-eul der AFP. Er habe das Gefühl gehabt, dass früher oder später ein Unfall passieren würde.
"Es war wie ein Dominoeffekt", sagte ein junger Zeuge dem südkoreanischen Fernsehsender MBC. "Ich habe das Gleichgewicht verloren und bin ebenfalls hingefallen." Er habe nicht auf Liegende treten wollen. "Menschen waren bewusstlos und riefen nach Hilfe."
"Wir wussten nicht, was los war"
Fotos und Videos zeigten Menschen, die am Boden lagen und von Rettungskräften betreut wurden. Zunächst hatte die Feuerwehr von Dutzenden Menschen mit Herzstillstand gesprochen. Nach Angaben der Feuerwehr waren mehr als 140 Rettungswagen vor Ort. Polizisten sperrten den Unglücksort in dem beliebten Ausgehviertel ab.
"Da lagen Menschen auf der Straße an der Kreuzung, die reanimiert wurden", sagte Karl Sunglao aus Kalifornien, der in Seoul als Englischlehrer tätig ist, der Nachrichtenagentur dpa auf dem Rückweg aus Itaewon. Als er und seine Freundin um etwa 23 Uhr am Samstag (Ortszeit) aus der U-Bahn-Station gekommen seien, um zu feiern, hätten sie zunächst gedacht, ein Gebäude sei eingestürzt. "Es herrschte absolutes Gedränge, wir wussten nicht, was los war."
"Die Gesichter so vieler Opfer waren blass"
In einem Interview mit dem Lokalsender YTN beschrieb ein Arzt ebenso chaotische Szenen von der Tragödie. "Als ich zum ersten Mal Wiederbelebungsmaßnahmen versuchte, lagen zwei Opfer auf dem Bürgersteig. Aber kurz darauf explodierte die Anzahl und übertraf die Anzahl der Ersthelfer vor Ort", sagte Lee.
Es sei schwer, die Geschehnisse in Worte zu fassen. "Die Gesichter so vieler Opfer waren blass. Ich konnte ihren Puls oder ihre Atmung nicht fühlen und viele von ihnen hatten blutige Nasen. Als ich versuchte, sie wiederzubeleben, pumpte ich auch Blut aus ihrem Mund."
Die Leichen wurden in den Morgenstunden in eine Sporthalle transportiert, wo sie von Angehörigen identifiziert werden sollten. Bis zum Sonntagabend war die Identität der meisten Opfer bekannt. Mindestens 97 der Todesopfer seien Frauen gewesen, berichtete die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap. Die Behörden richteten zudem eine Leitung für Vermisstenmeldungen ein.
Gründliche Untersuchung angekündigt
Der südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol rief am Sonntag Staatstrauer aus und erklärte, die Regierung werde für Beerdigungen der Todesopfer zahlen sowie für die medizinische Behandlung der Verletzten. Er versprach, den Vorfall "gründlich zu untersuchen" und sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passiere.
In einer im Fernsehen übertragenen Ansprache an die Nation sagte er am Sonntag: "Im Zentrum von Seoul ist eine Tragödie und Katastrophe geschehen, die nicht hätte passieren dürfen." Am Morgen besuchte Suk-yeol den Ort des Geschehens.
Seouls Bürgermeister Oh Se-hoon, der derzeit auf Besuch in Europa ist, soll der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap zufolge sämtliche geplante Termine abgesagt und seine sofortige Rückkehr angekündigt haben.
"Dieses Jahr war es einfach nur verrückt"
Das alljährliche Halloweenfest ist eine der größten öffentlichen Feiern in der Hauptstadt. Dieses Jahr fanden die Veranstaltungen statt, nachdem die Corona-Maßnahmen weitgehend gelockert worden waren. Zehntausende Menschen zog es laut den Berichten ins Itaewon-Viertel, viele von ihnen in Halloweenkostümen verkleidet.
"In Itaewon ist es jedes Jahr extrem voll, aber dieses Jahr war es einfach nur verrückt", schrieb eine Frau auf ihrem Instagram-Account. Den Berichten zufolge machten Gerüchte die Runde, dass ein prominenter Youtuber auf dem Weg zu einem Club in der betroffenen Straße oder dort schon angekommen sei. Das habe noch einmal sehr viele Menschen angezogen.
Scholz zeigt sich erschüttert
Weltweit nahmen Staats- und Regierungschefs Anteil an der Tragödie. Bundeskanzler Olaf Scholz drückte auf Twitter sein Bedauern aus. "Die tragischen Ereignisse in Seoul erschüttern uns zutiefst. Unsere Gedanken sind bei den vielen Opfern und ihren Angehörigen. Das ist ein trauriger Tag für Südkorea. Deutschland steht an ihrer Seite", schrieb der SPD-Politiker.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock twitterte, sie sei untröstlich über die Nachrichten aus Seoul. "Sie suchten nach einer Nacht voller unbeschwerter Halloween-Feierlichkeiten, fanden aber stattdessen echten Horror und Tod", so die Grünen-Politikerin.
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US-Präsident Biden erklärte, die USA stünden in dieser tragischen Zeit "an der Seite" Südkoreas. "Wir trauern mit dem Volk der Republik Korea und wünschen allen Verletzten eine schnelle Genesung", schrieb der Demokrat auf Twitter.
EU-Ratschef Charles Michel zeigte sich ebenso erschüttert. Sein tiefstes Mitgefühl gelte den Familien und Freunden der Opfer des schrecklichen Unfalls, schrieb der Belgier am Samstag auf Twitter. Den Verletzten wünschte er eine rasche Genesung.
Ähnlich äußerte sich EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Sie sei von den Nachrichten aus der südkoreanischen Hauptstadt Seoul schockiert. "Meine Gedanken sind bei den Familien und Freunden der Todesopfer und der Verletzten."
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters