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"Tatort" im Check: Gibt es wirklich eine Pflegemafia?


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Der "Tatort"-Faktencheck
Gibt es wirklich eine Pflegemafia?

Barbara Schaefer

Aktualisiert am 12.03.2018Lesedauer: 4 Min.
Der verzweifelte Ehemann: Horst Claasen (Dieter Schad) alarmiert die Polizei, nachdem er aus Verzweiflung seine Frau (Liane Düsterhöft) getötet hat.Vergrößern des Bildes
Der verzweifelte Ehemann: Horst Claasen (Dieter Schad) alarmiert die Polizei, nachdem er aus Verzweiflung seine Frau (Liane Düsterhöft) getötet hat. (Quelle: Radio Bremen/Christine Schröder)
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Als ein Rentner seine demenzkranke Frau tötet, geraten die Bremer Ermittler tief in einen Sumpf aus Pflegenotstand und Korruption. Ist hier eine Pflegemafia am Werk, und operiert die auch im echten Leben? t-online.de macht den Faktencheck.

Das ist wohl einer der traurigsten Morde in der "Tatort"-Geschichte: Ein alter Mann bringt seine kranke Frau um. Er steckt ihr danach ein Blumensträußchen in die Hände, beginnt einen Selbstmord mit Tabletten. Und damit alles seine Ordnung hat und auch der Hund in Zukunft versorgt wird, informiert er die Polizei. Doch die rettet ihn allerdings.

Es ist alles ein Elend, in das die Bremer Ermittler Einblicke bekommen (Regie: Philip Koch). Bitter sagt der alte Mann, wie es so weit kam: Wenn man sich das Leben nicht mehr leisten kann und es nichts gibt am Horizont, auf das man sich freuen kann. Dass dahinter dann außer dem erweiterten Suizid auch noch ein Krimi steckt, ist fast nachrangig.

Es bräuchte den Korruptionsfall gar nicht, um das Desaster des Pflegenotstandes zu erkennen. Hier werde die Situation bedürftiger Menschen schamlos ausgenutzt, muss das Bremer Duo Inga Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) erkennen.

Am Ende liegt die Schuld beim korrupten Pflegedienst Domamed. Ist so ein Szenario möglich? t-online.de hat nachgefragt.

Der Faktencheck

Fragen an Dietmar Erdmeier, Pflegeexperte bei Verdi, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft.

t-online.de: Herr Erdmeier, am Ende seiner Kräfte bringt ein Rentner seine demenzkranke Ehefrau um und versucht danach, sich selbst das Leben zu nehmen. Sind Fälle bekannt, dass Angehörige aus Verzweiflung über den Pflegenotstand einen solchen Mord begehen?

Dietmar Erdmeier: Das kann ich nicht direkt bestätigen, weil ich keine Statistiken dazu kenne. Aber das Problem an sich existiert. Wenn jemand zu Hause pflegt, dann bedeutet das ja oftmals 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Und ein hoher Anteil der pflegebedürftigen Menschen zu Hause wird auch nur von ihren Angehörigen versorgt. Die Pflegeversicherung deckt nur einen Teil der Kosten ab. Und wenn dann der Partner die Pflege übernimmt, ist das ja oft auch ein alter Mensch. Menschen ab 60 sind noch wenige pflegebedürftig, auch ab 70 noch nicht, aber ab 90 sind dann 20 Prozent pflegebedürftig.

Und dann kann es zu Komplikationen kommen?

Wenn der Partner gleich alt ist, kann man sich vorstellen, wie schwierig das ist, wie hoch die Belastung ist. Vor allem auch die psychische Belastung, wenn man den demenziell Erkrankten nicht mehr als den Menschen erkennt, mit dem man Jahrzehnte verheiratet war. Dann kommt zur finanziellen Verarmung auch die Einsamkeit, weil die Pflegenden keine Zeit mehr für soziale Kontakte haben. Zusammengenommen muss man sagen: Der geschilderte Fall ist kein unrealistisches Szenario.

Im Verlauf der Handlung stellt sich heraus, dass die Überforderung einen zusätzlichen Grund hatte: Der Pflegedienst, der sich offiziell um die Frau kümmerte, war in korrupte Machenschaften verwickelt. Anstatt sich um die Frau zu kümmern, bezahlte man dem Mann etwas Geld und kassierte viel mehr von der Kasse dafür. Ist so etwas denkbar?

Ja, das gibt es. Es gibt eine Pflegemafia in der ambulanten Pflege, das sind aber einzelne schwarze Schafe, die überwiegenden Anbieter sind natürlich nicht kriminell. Einen Teil, also alles Medizinische, übernimmt die Krankenversicherung. Da geht es ums Spritzen, Zuckermessen. Aber die Grundpflege, waschen, Kompressionsstrümpfe anlegen, die Betreuung, das übernimmt die Pflegeversicherung. Diese russische Pflegemafia hat nun über die Krankenversicherung so ein Netzwerk gesponnen. Da haben Menschen eine Pflegebedürftigkeit nur vorgetäuscht, Ärzte und Apotheker haben das unterschrieben, so wurden Leistungen nicht oder nur in geringerem Maße erbracht – aber abgerechnet.

Ist so etwas schon vorgekommen?

Ja, da gab es ganz aktuelle Fälle, die nun vor Gericht kamen.

Laut Drehbuch fällt der Begriff vom sozialverträglichen Frühableben – mussten sie das schon einmal hören?

Das muss man so sehen: Wir haben nur diese unterfinanzierte Teilleistungspflege. Wenn nun jemand nicht in ein Heim möchte, obwohl er oder sie pflegebedürftig ist, aber einen hohen Pflegeaufwand hat, weil er etwa bettlägrig ist, es von der Pflegeversicherung aber nur gedeckelte Leistungen gibt, dann kann dieser Pflegebedürftige sich von dem Geld der Pflegeversicherung allein mit professioneller Unterstützung oftmals zu Hause nicht versorgen lassen.

Gibt es da Unterschiede bei den Geschlechtern?

Oft trifft das Frauen, alte Frauen, die, wie wir ja wissen, oft schlechte Einkommensverhältnisse hatten. Diese Frauen haben oft ihr ganzes Leben gearbeitet, und wollen nun niemandem zur Last fallen. Auch das Pflegeheim kostet 3.000 Euro oder mehr im Monat, da ist ein Eigenanteil von sagen wir 2.000 Euro zu zahlen. Wenn sie keine Kinder haben, oder die das auch nicht übernehmen können, dann sind diese Menschen auf staatliche Hilfe angewiesen, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben. Und das wollen sie nicht. Da kann man dann schon auf solche Gedanken kommen. Deshalb fordern wir von Verdi die Pflegevollversicherung. Damit alle pflegebedingten Kosten von der Pflegeversicherung übernommen werden.

Anderer Fall im Drehbuch: Eine Tochter pflegt ihre demente Mutter, eine äußerst aggressive alte Frau – die bei Kontrollbesuchen lammfromm auftritt. Ein bekanntes Phänomen?

Ja, das ist ein häufiges Problem. Demenziell Erkrankte können hoch aggressiv sein. Da fliegen auch im Heim schon mal Feuerlöscher übern Gang, es gibt tätliche Angriffe gegen das Personal. Bei der MDK-Prüfung zu Hause, also der Untersuchung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, stellt sich der Mensch dann oft gesünder und besser dar, als es dem Alltag entspricht. Denn vielen fällt es schwer, sich einzugestehen, dass es so nun nicht mehr geht, dass ihre Alltagskompetenz so eingeschränkt ist. Und Sie sehen es so einem Menschen ja nicht an. Wenn jemand körperlich eingeschränkt ist, das ist leicht zu erkennen. Aber auch wenn die Prüfung eine Stunde dauert, und das ist nicht immer der Fall, fällt das nicht unbedingt auf. Deswegen müssen auch neurologische Tests durchgeführt werden.

Verwendete Quellen
  • "Tatort"-Folge vom 11. März
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