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Sandra Maischberger offen: "Als ich das gehört habe, hat es mich umgehauen"


Sandra Maischberger über Propaganda
"Als ich das gehört habe, hat es mich umgehauen"

  • Steven Sowa
InterviewVon Steven Sowa

22.10.2024 - 11:10 UhrLesedauer: 8 Min.
Interview
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Sandra Maischberger: Sie ist nicht nur Moderatorin, sondern arbeitet auch als Produzentin – so wie jetzt bei dem Dokufilm "Riefenstahl".Vergrößern des Bildes
Sandra Maischberger: Sie ist nicht nur Moderatorin, sondern arbeitet auch als Produzentin – so wie jetzt bei dem Dokufilm "Riefenstahl".

Sandra Maischberger sorgt sich um Deutschland. Im Interview mit t-online spricht sie über die großen Themen unserer Zeit: das Lügen, die Neue Rechte und Russland.

Eigentlich soll es um ihren neuen Film "Riefenstahl" gehen. Sandra Maischberger hat als erste Journalistin Deutschlands Zugang zum Privatarchiv der NS-Regisseurin erhalten – und daraus einen so erschütternden wie aufsehenerregenden Film produziert. Doch schnell zieht die 58-jährige ARD-Moderatorin Parallelen zur Gegenwart und formuliert dabei nicht nur ihre Sorgen, sondern auch Lösungsansätze für die Zukunft.

t-online: Frau Maischberger, wann hat zuletzt jemand für Sie eine sprichwörtliche Schallplatte aufgelegt? Also eine, bei der eine längst bekannte Botschaft gebetsmühlenartig wiederholt wird.

Sandra Maischberger: Ich erlebe das tatsächlich sehr häufig, gerade in politischen Interviews.

Warum ist das so?

Weil politische Kommunikation genau so funktioniert: Eine Botschaft so oft zu wiederholen, dass sie am Ende verfängt.

Und bei eher persönlichen Interviews?

Auch da passiert es, dass jemand Geschichten aus der Biografie hochholt, die er schon häufig erzählt hat. Ich erwische mich selbst dabei, dass ich die einmal gefundene Antwort gebe und mich nicht um Varianz bemühe, wenn ich über mich selbst rede.

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Sie haben einen Film über Leni Riefenstahl produziert. Was macht ihre Schallplatte so besonders?

Das ist ein sehr spezieller Sound, bei dem man ganz genau hinhören muss, denn eines ist klar: Die Platte war voll mit Fake News.

Frau Riefenstahl behauptete unter anderem vehement, nichts vom Holocaust gewusst zu haben. Bei ihr nahm das pathologische Züge an: Sie redete sich ihre eigene Wahrheit offenbar ein.

Das ist genau der Punkt. Riefenstahl fing ab 1945 an, ihre Schallplatte zu pressen. Ab dem Zeitpunkt, wo sie gegenüber den Alliierten im Verhör eine Version der Geschichte erzählen musste, die sie auf keinen Fall ins Gefängnis bringen durfte. Da hat sie angefangen, eine Version ihrer Geschichte zu stricken und dann auch wiederzugeben, die sich im Laufe der Jahre verfeinert und verfestigt hat und dann eben auch unverrückbar zu ihrer Realität geworden ist.


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Aber dieses Erlebnis hat mich journalistisch geprägt: Spätestens seitdem bin ich für das Lügen sensibilisiert.


sandra maischberger


Und die natürlich aus einer mindestens geschönten Version der wahren Geschichte entstand.

Absolut. Bei ihr wurde das über die Jahre immer schlimmer. Vermutlich aus dem einfachen Grund, dass sie am Ende Teile ihrer Geschichte für wahr gehalten hat.

Das Ergebnis jahrzehntelanger, hartnäckiger Realitätsverweigerung?

Wenn man eine Lüge oft genug wiederholt, dann wird sie irgendwann zur Wahrheit. Das ist bestimmt auch ein Teil dessen gewesen, was mir als Interviewerin damals begegnet ist.

Sie haben Frau Riefenstahl im Jahr 2002 in ihrem Haus in Pöcking am Starnberger See besucht und sie interviewt. Sie war damals fast 100 Jahre alt.

Ich wusste zu der Zeit nicht genau, ob sie mich anlügt oder ob sie sich schon so lange selbst belogen hat, dass sie glaubt, was sie sagt. Aber dieses Erlebnis hat mich journalistisch geprägt: Spätestens seitdem bin ich für das Lügen sensibilisiert. Im politischen Gespräch weiß man es ja häufig, wenn jemand Fakten verdreht. Aber man kann es auch merken, an der Körperhaltung, an der Mimik, an Formulierungen, manchmal auch an der Unsicherheit, dass jemand das, was passiert ist, so nicht sagen möchte.

In welchen Situationen fällt Ihnen besonders auf, dass das Lügen funktioniert, weil sich Versatzstücke davon in den Köpfen der Menschen festsetzen?

Etwa wenn der Sprecher des russischen Präsidenten sagt, sie hätten die Ukraine nicht überfallen. Das ist ein Narrativ, das in Russland gegenüber der russischen Bevölkerung so oft wiederholt wurde, dass es sich verfestigt – zum Teil mit haarsträubend gefakten Belegen. Aber die Menschen glauben es, weil es oft genug und als einzige Wahrheit dargestellt wurde. Und dann wiederholen sie diese Lüge ganz selbstverständlich. Von außen betrachtet erscheint es unglaublich, weil man sich gar nicht vorstellen kann, dass jemand so unverfroren gegen alle objektive Wahrheit lügt und trotzdem dabei bleibt.

Sehen Sie bei der russischen Kommunikationspolitik Parallelen zur NS-Propaganda?

Inzwischen ist vielfach belegt, dass aus Russland gesteuerte Propaganda bei uns auf Social Media auftaucht, mit Lügen, die erfunden wurden und sich trotzdem verselbstständigen und zu einer gefühlten Wahrheit werden.

Also ja?

Eine Parallele zur NS-Zeit ist sicherlich, dass es in Russland eine Führungsperson gibt, der absoluter Gehorsam geleistet werden muss. Und alle, die sich dagegen wenden, werden nicht als Kritiker gesehen, sondern als Feinde des Systems – und diese werden gejagt und vernichtet. Außerdem baut die russische Führung auf Mechanismen der imperialistischer Macht. Die Grenzen der Nachbarn interessieren sie nicht. Sie nehmen sich, was sie wollen oder versuchen es zumindest und wenn sie auf Gegenwehr treffen, verdrehen sie die Wahrheit und stilisieren sich als Opfer.

1999: Leni Riefenstahl kontrolliert ihr Aussehen für die Aufzeichnung einer Speer-Doku.
Leni Riefenstahl 1999 (Quelle: Bavaria Media)

"Riefenstahl" startet am 31. Oktober im Kino

Leni Riefenstahl hat ihre ideologische Nähe zum NS-Regime nach dem Zweiten Weltkrieg stets zu leugnen versucht. Regisseur Andres Veiel ("Beuys") und TV-Journalistin Sandra Maischberger sichteten ihren aus 700 Kisten bestehenden persönlichen Nachlass erstmals – und entlarvten zahlreiche Lügen der 2003 verstorbenen Filmemacherin.

Das Ende Ihres Films hält einen Schock für das Publikum bereit. Aufzeichnungen eines Telefonats werden eingespielt. Es werde "ein, zwei Generationen" dauern bis man zu "Moral, Anstand und Sitte" zurückkomme, ist dort zu hören und Riefenstahl antwortet: "Das deutsche Volk hat ja die Anlage dafür".

Wahnsinn, oder?

Es zeigt, wie sehr Riefenstahls Weltbild von der Ideologie der Nazis verseucht war.

Es ist der Anrufer, der ihr vom 30-jährigen Krieg erzählt und Analysen über die Zeitläufe anstellt. Es scheint jemand zu sein, der die Historie gut studiert hat oder zumindest erkannt hat, dass Geschichte manchmal in Wellenbewegungen abläuft. Dass Leni Riefenstahl "das deutsche Volk" dazu setzt, macht diesen Cocktail so explosiv. Als ich das zum ersten Mal gehört habe, hat es mich umgehauen. Ich bin in Schockstarre aus dem Schneideraum gegangen. Ich fragte mich, wie viel Menschen, mit denen ich das Land teile, so denken. Das war schon sehr gespenstisch.

Ich höre heraus, dass Ihnen die Entwicklung in unserem Land Angst macht.

Ich würde lügen, wenn ich alles zusammenzähle, was gerade passiert und ich dann noch sage, dass es mir keine Angst macht. Wir haben in Amerika einen Mann, der redet wie Hitler, wenn der sagt: "Nicht der Staat befiehlt uns, sondern wir befehlen den Staat. Nicht der Staat erschafft uns, sondern wir erschaffen unseren Staat." Oder nehmen wir den Geschichtslehrer, der behauptet, er habe nicht gewusst, dass "Alles für Deutschland" eine SA-Parole war.

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Trotzdem ist die Frage, wie wir weitere politische Krisen lösen, wenn die aktuelle Regierung mit ihrer unterschiedlichen politischen Färbung permanent Uneinigkeit ausstrahlt. Das kann einen nervös machen.


sandra maischberger


Sind das Symptome unserer Zeit? Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dieser Auswüchse?

Wir leben in einer krisenhaften Zeit, die unsere modernen Gesellschaften vor Probleme stellt, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Die Migrationsbewegung ist komplex, der Klimawandel ist komplex, die global vernetzte Weltwirtschaft, das Aufkommen neuer Mächte wie China, eine aus dem Gleichgewicht geratene Machtbalance – und dann tauchen Verführer auf, die den Menschen suggerieren, es gibt auf all die schwierigen Probleme ganz einfache Antworten.

Ist das die Analogie zum Aufkommen des Nationalsozialismus, die Sie mit Ihrem Film über Leni Riefenstahl aufzeigen wollen?

Wir leben sicher nicht in der Weimarer Republik, aber manche Parallelen sind jedenfalls frappierend – in nahezu allen Lebensbereichen. Wir erleben auch einen bestimmten Körperkult, dem wir verfallen. Ein Optimierungswahn, der ungesunde Züge annimmt. Denn das Hinterherlaufen von Schönheitsidealen ist immer so lange gut, bis es dazu führt, dass die vermeintlich Hässlichen und Kranken abgewertet werden. Wie kurz ist dann der Weg zur Eliminierung, die teilweise schon rhetorisch anklingt? Warum sind Verbände für Behinderte so nervös? Warum sind die jüdischen Gemeinden wieder nervös? Warum sind Homosexuelle wieder nervös? Es gibt zu viele Dinge, die eine gegenwärtige Bedrohungslage zeichnen.

Ist die Ampelregierung in eine Zeit gerutscht, der sie nicht gewachsen ist?

Anfangs hat diese Regierung gut auf die Krisen reagiert. Stichwort Zeitenwende oder nehmen wir den ersten Kriegswinter, in der die Lichter und Heizungen nicht ausgingen. Trotzdem ist die Frage, wie wir weitere politische Krisen lösen, wenn die aktuelle Regierung mit ihrer unterschiedlichen politischen Färbung permanent Uneinigkeit ausstrahlt. Das kann einen nervös machen.

Haben Sie eine Lösung für dieses Dilemma?

Ich glaube, der Schlüssel aus der Betrachtung unserer Wirklichkeit heute ist, dass man nicht die Augen verschließen darf vor Alarmzeichen, die es in der Wirtschaft und in der Industrie gibt, die sind real und die reden wir uns nicht ein. Man darf dabei aber nicht in Fatalismus verfallen, sondern muss das Ganze als Aufforderung verstehen, dagegen anzugehen und etwas dagegen zu tun. Das betrifft die Politik, aber auch uns als Gesellschaft.

Sie tun also auch persönlich etwas, um dem beizukommen?

Ich engagiere mich ehrenamtlich, in dem ich mit einem Verein, den ich gegründet habe, Bildungsprojekte an Berliner Schulen veranstalte. Das sind Beiträge, von denen ich glaube, dass sie wichtig sind, nicht nur, weil wir gesellschaftlich Dinge verändern können, sondern weil sie uns selbst auch ein bisschen aus der Ohnmacht holen. Manchmal habe ich das Gefühl, wir gefallen uns in dieser Ohnmacht, weil wir uns einreden, die Welt gehe unter und man könne gar nichts tun. Aber das stimmt nicht.

Wie gehen Sie aus journalistischer Sicht damit um?

Wir versuchen, neue Wege einzuschlagen. Im Umfeld der AfD gibt es die, die sich auf den Volksempfänger berufen haben und meinten: "Was dem Goebbels sein Volksempfänger war, ist für uns Social Media". Deren Ziel ist es, die eigenen Kanäle so zu stärken, dass nur noch die eigene Wahrheit durchdringt, unwidersprochen. Wenn bei Wahlveranstaltungen keine Journalisten mehr zugelassen werden, die unabhängig und kritisch berichten, dann sind das Entwicklungen, gegen die wir vorgehen müssen. Wir müssen unsere Pressefreiheit verteidigen und wir müssen gleichzeitig in die Kanäle gehen, die heute Menschen erreichen.

Und das machen Sie?

Unsere Sendung im Ersten wird nicht nur linear ausgestrahlt, sie findet auch auf YouTube und auf Instagram statt.

Reicht das?

Vermutlich ist das alles viel zu wenig. Wir müssen die Eins-Zu-Eins-Kommunikation, die eindimensional erfolgt, mit anderen Wahrheiten anreichern, stören und ergänzen. Das ist die Aufgabe von uns Journalisten, und da dürfen wir überhaupt nicht nachlassen.

Aber warum sind Populisten auf diesen Kanälen so erfolgreich?

Aus zwei Gründen. Einmal, weil die rechtspopulistischen Kräfte – nicht nur in Deutschland, sondern überall – sehr viel besser verstanden haben, dass diese Ausspielungswege für sie die bessere Kommunikationsplattform sind, weil sie da unwidersprochen von Fragestellern oder journalistischen Faktencheckern agieren können.

Und der andere Grund?

Die Algorithmen. Denn diese spülen Dinge nach oben, die auf einer emotionalen Ebene besonders gut funktionieren. Da sind die Populisten klar im Vorteil gegenüber der Kant’schen Vernunft. Ein Argument vernünftig zu erklären, das Pro und Kontra aufzuzeigen, die Fallstricke, die in einfachen Antworten stecken, aufzulösen, das ist unendlich viel komplizierter, als eine kurze knackige Botschaft wie "Ausländer raus" oder "Deutschland den Deutschen" zu verbreiten.

Was heißt das für uns? Sollten wir gute Populisten ins Werk setzen?

Vielleicht fehlt so ein Volkstribun, nicht den populistischen Manipulator, sondern einen, der im besten Sinne des Wortes den Bürgern eine Stimme gibt gegenüber den Mächtigen. Und Staatsmänner und -frauen, die ihren Bürgern auch unbequeme Wahrheiten erzählen können und damit die Mehrheit finden. Helmut Schmidt hat mal gesagt: "Ein guter Politiker ist auch ein Stück weit ein Staatsschauspieler. Er spielt Empörung, wenn er möchte, dass andere empört sind." In seinen besten Tagen konnte er das: Mit seiner Klarheit und seiner natürlichen Autorität auch komplizierte Dinge an die Menschen bringen. Auch heute gibt es ein paar Begabte. Sie müssen sich nur trauen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Sandra Maischberger
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