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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Streit hält Schach-Welt in Atem Niemann-Mentor wehrt sich gegen heftige Carlsen-Vorwürfe
Der Zoff zwischen Weltmeister Magnus Carlsen und Großmeister Hans Niemann geht in die nächste Runde. Nun äußert sich ein Vertrauter des Beschuldigten.
Seit dem 5. September halten die Betrugsvorwürfe von Magnus Carlsen gegen Hans Niemann die Schachwelt in Atem (mehr dazu lesen Sie hier). Nun hat sich Niemanns langjähriger Mentor Maxim Dlugy zu den Anschuldigungen geäußert – und Carlsens Vorwürfe vehement zurückgewiesen.
In einer 15.000 Zeichen langen Klarstellung holt Dlugy zum Rundumschlag aus: Carlsens Behauptungen seien "absurd" und "verleumderisch". Außerdem erklärt er seine Beziehung zu Hans Niemann. "Ich betrachte mich selbst als eine Art Mentor für Hans." Demnach habe er 2014 drei bis vier Monate intensiv mit ihm gearbeitet, ehe das wegen familiären Umständen und eines Umzuges nicht mehr möglich gewesen sei. Später habe er Niemann zugesichert, ihm "jederzeit Ratschläge, Hilfe oder Ideen zur Verbesserung seines Schachspiels" zu geben. Intensiv zusammengearbeitet hätten die beiden aber nur noch einmal: 2021, als sie mehrere Stunden lang verschiedene Endspielsituationen durchgingen. Dlugy sei aber nicht der Trainer Niemanns, dies sei ein anderer, der nicht namentlich genannt werden könne.
Carlsen machte diverse Andeutungen
Schach-Superstar Carlsen hatte Anfang September gegen Niemann verloren und danach Betrugsvorwürfe erhoben (mehr dazu lesen Sie hier). Im Rahmen des renommierten Julius-Bär-Generationen-Pokals (18.-25. September) äußerte sich Carlsen dann detaillierter und nahm dabei vor allem Dlugy ins Visier: "Leider kann ich nicht eindeutig darüber sprechen, aber die Leute können ihre eigene Schlüsse ziehen, und das haben sie auch getan", erklärte der Norweger damals – und fügte vielsagend an: "Ich muss sagen, dass ich von Niemanns Spielweise sehr beeindruckt bin und ich denke, dass sein Mentor Maxim Dlugy hervorragende Arbeit geleistet haben muss."
Diese Aussagen wurden vielfach so interpretiert, dass Carlsen Dlugy für den Komplizen von Niemann hält. Zudem wurde kurz darauf bekannt, dass Dlugy in der Vergangenheit ebenfalls mehrmals (2017 und 2020) auf der populären Seite chess.com betrogen haben soll. In diesem Zusammenhang wurden Mails enthüllt, in denen der Großmeister zugab, dass ihm seine Schüler geholfen hatten, indem sie ihm mitteilten, welche Züge der Computer-Gegner suggeriert. Auch dazu äußerte sich Dlugy nun ausführlich: Beim ersten Mal habe ein Schüler ihm Tipps gegeben, ohne, dass er es mitbekommen habe. Beim zweiten Mal sei er ohne konkreten Anlass wegen des Verdachts auf Fair-Play-Verstöße von einem Online-Turnier ausgeschlossen worden. Im Anschluss habe er die Vorwürfe zugegeben, weil ihm sonst ein öffentlicher Skandal gedroht hätte.
Dlugy: Carlsen wurde "von seinen Beratern angewiesen"
Auch Niemann soll in der Vergangenheit mehr als 100 Mal bei Online-Turnieren betrogen haben (mehr dazu lesen Sie hier). Carlsen schloss daraufhin zukünftige Spiele gegen den 19-Jährigen aus. In diesem Zusammenhang finden Ermittlungen statt (mehr dazu lesen Sie hier). Niemann stritt die Behauptungen seines Kontrahenten bisher konsequent ab, wenngleich er zugab, in der Vergangenheit gegen die Regeln verstoßen zu haben.
Dlugy schrieb nun zu Carlsens Vorwürfen: "Es sieht so aus, als sei Magnus von seinen Beratern angewiesen worden, direkte Anschuldigungen zu vermeiden und mit Unterstellungen zu arbeiten. Er deutete an, dass Hans in ihrem Spiel betrogen hat, ohne dies auszusprechen, und als es an der Zeit war, etwas Nennenswertes zu sagen, deutete er an, dass Hans einen Mentor hat, nämlich mich, der ihm sehr dabei hilft, gut zu spielen, was für Magnus nun gleichbedeutend mit Betrug ist."
Betrug kaum möglich?
Dabei sei es laut Dlugy kaum möglich, zu betrügen, weil eine Verbindung zu einem Komplizen über ein Gerät wegen der vorgeschriebenen Vorsichtsmaßnahmen kaum möglich sei. Er wies zudem darauf hin, dass diverse Untersuchungen in dieser Richtung zu keinem Ergebnis geführt hätten. Außerdem habe Niemann im fraglichen Spiel gegen Carlsen zwei Fehler gemacht, die ihm mit technischer Unterstützung nicht passiert wären. Dlugys Meinung nach gebe es keine plausible Methode, mit der er als Komplize von Niemann hätte agieren können. Zudem stellt er klar, dass er zum Zeitpunkt des Spiels in New York City gewesen sei und somit als Helfer von Niemann ausgeschlossen sei.
Der anhaltende Konflikt führte zu riesigen Diskussionen und Spekulationen in der Schachwelt. Ein Schach-Großmeister vermutete unter anderem, dass Niemann möglicherweise über Analkugeln Vibrationssignale empfängt. Selbst Elon Musk mischte sich zwischenzeitlich in die Debatte ein (mehr dazu lesen Sie hier).
So oder so darf man stark davon ausgehen, dass in diesem großen Schach-Streit noch lange nicht das letzte Wort gesprochen ist.
- Gamemaster Maxim Dugly: Meine Stellungnahme zur Hans-Magnus-Angelegenheit (Englisch)
- chessdom.com: Motherboard prüft E-Mails, in denen Maxim Dlugy Betrug auf chess.com zugibt (Englisch)