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Olympiasieger Thomas Röhler: "Im schlimmsten Fall ist morgen alles vorbei"


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Thomas Röhler
"Im schlimmsten Fall ist morgen alles vorbei"

InterviewEin Interview von Benjamin Zurmühl

Aktualisiert am 10.07.2019Lesedauer: 8 Min.
Fokussiert: Olympiasieger und Europameister Thomas Röhler.Vergrößern des Bildes
Fokussiert: Olympiasieger und Europameister Thomas Röhler. (Quelle: Sebastian Wells/imago-images-bilder)

Immer wieder müssen Leistungssportler aus Geldnot um ihre Karriere bangen, auch in Deutschland. Olympiasieger Thomas Röhler warnt vor diesem Zustand.

Wenn Thomas Röhler Anlauf nimmt, fliegt kurz danach ein Speer in Richtung der Bestweite. 86,51 Meter waren es am Dienstag beim Meeting in Luzern – der Sieg, mal wieder. Der Jenaer ist einer der besten Speerwerfer der Welt. 2016 wurde er Olympiasieger, 2018 holte er den EM-Titel. Zusammen mit Johannes Vetter (Dresden) und Andreas Hofmann (Heidelberg) dominiert er die Weltspitze.

Auch wenn Röhler einen Erfolg nach dem anderen feiert und im Rampenlicht seiner Sportart steht, muss er sich über das Thema Finanzen immer wieder Gedanken machen. Im Gegensatz zu Stars aus anderen Sportarten verdient der 27-Jährige keine Millionen. Er ist angewiesen auf die Hilfe von Sponsoren – und damit nicht der einzige Einzelsportler. Immer wieder müssen Athleten ihre Karriere aufgrund der finanziellen Lage überdenken. Einen Monat vor den Deutschen Meisterschaften in Berlin sprach er mit t-online.de über eine Idee und erklärte, warum die zu noch besseren Leistungen führen würde.

t-online.de: Herr Röhler, waren Sie schon immer Einzelsportler?

Thomas Röhler: Ja, kann man schon sagen. Im Sportunterricht in der Schule habe ich natürlich auch diverse Mannschaftssportarten ausprobiert, aber privat habe ich schon sehr früh mit dem Einzelsport begonnen. Mit sieben Jahren bin ich zur Leichtathletik gekommen und ihr bis heute treu geblieben (lacht).

Woher kommt diese Begeisterung für den Einzelsport?

Als Kind kategorisiert man das gar nicht danach, ob es jetzt Einzel- oder Teamsport ist. In dem Alter trainierst du ja in einer Gruppe. Da kommt dir das nicht so vor, als wärst du Einzelsportler. Aber auch damals war klar, dass die Leistung ganz anders bewertet wird. Wenn du gewonnen hast, warst du der einzige Sieger und wenn du verloren hast, musstest du das auch ganz allein mit dir ausmachen. Genau dieses Ich-bezogene macht auch bis heute für mich den Reiz aus. Du allein trägst die volle Verantwortung für das Ergebnis.

Hat Sie das auch in der Kindheit geprägt?

Ich glaube schon, dass ich dadurch ein sehr hohes Verantwortungsbewusstsein für mein eigenes Handeln entwickelt habe. Wobei ich das den Teamsportlern auch nicht absprechen will. Dort gibt es ja auch Kapitäne und Führungsspieler, die viel Verantwortung übernehmen. Aber es gibt dort die Möglichkeit, einen schlechten Tag einer Einzelperson als Team abzufangen. In der Leichtathletik geht das nicht. Da sieht jeder, wenn ich schlecht drauf bin. Da kann ich keinen Teamkollegen vorschicken.

Sie haben nicht als Speerwerfer begonnen, sondern starteten Ihre Karriere im Hoch- und Dreisprung. Wie kam es dazu?

Deutschland ist geprägt von Normen. Ich bin als Kind erst spät gewachsen. Der Speerwurf ist aber eine physisch anstrengende Sportart. Das hätte damals für mich keinen Sinn gemacht, da ich die Normen nicht erfüllen konnte. Deshalb bin ich erst mal gesprungen. Das war aber nie meine Leidenschaft. Ich habe schon als Kind gerne Dinge geworfen.

Mit 17 wechselten Sie dann zum Speerwurf.

Physisch war ich dafür endlich bereit. Als junger Sportler musste ich aber auch erst mal den Mut entwickeln, zu sagen, was ich tun will und was meine Leidenschaft ist. Auch wenn meine Technik damals noch miserabel war, hatte ich am Speerwurf einfach viel mehr Spaß. Da habe ich lieber auf regionaler Ebene gewonnen, als auf mitteldeutscher Ebene Erster im Dreisprung zu sein. Ich wollte nicht länger gefangen sein in einer Sportart, die ich nicht liebe. Wenn ich Olympische Spiele im Fernsehen gesehen habe, haben mich die Speerwerfer inspiriert, nicht die Dreispringer.

So spät die Sportart noch mal zu wechseln, kann aber auch riskant für die eigene Karriere sein. Schließlich sind Ihnen andere Athleten viele Trainingsstunden voraus gewesen. Haben Sie damals wirklich daran geglaubt, es noch in die Weltspitze schaffen zu können?

Zu Beginn nicht. Das erste Jahr hat sich angefühlt wie ein Experiment. Aber ich habe jeden Tag Fortschritte gesehen, nachdem ich stetig meine Technik angepasst habe. Dann ging es auch relativ schnell nach oben. Es hat nur anderthalb Jahre gedauert, bis ich im Jugendbereich das Nationalmannschaftstrikot anhatte.

Wäre solch ein Wechsel in einer Teamsportart möglich gewesen? Also könnte ein Handball-Profi sich plötzlich für den Fußball entscheiden und es in die Weltspitze schaffen?

So würde ich das nicht vergleichen. Das sind völlig verschiedene Sportarten, ich bin einfach nur innerhalb der Leichtathletik einen anderen Weg gegangen. Das könnte man eher damit vergleichen, dass im Fußball ein Stürmer zum Abwehrspieler wird. Das ist zwar immer noch der gleiche Sport, aber man hat eine bestimmte Position in der Gruppe inne und feste Aufgaben in dem Konstrukt. Da auszubrechen und sich neu zu orientieren, erfordert Mut. Als Einzelsportler musst du diese Entscheidung nur mit dir ausmachen und erklärst es dann deinem Umfeld oder auch nicht.

Sie haben diesen Wechsel schlussendlich gemacht und sind schnell erfolgreich gewesen. Sie gewannen ab 2012 fünf Deutsche Meisterschaften in Serie, holten 2016 Olympia-Gold in Rio de Janeiro und 2018 den EM-Titel in Berlin. Sind die großen Wettbewerbe Ihre Stärke?

Ich brauche schon das Adrenalin. Das ist in solchen Wettbewerben natürlich da. Aber an sich basieren die Erfolge meist auf der Planung und Zielsetzung. Wir richten ja den Trainingsplan genau so aus, dass ich bei den großen Wettbewerben in Topform bin. Bestes Beispiel ist das aktuelle Jahr. Andere zielen da auf gute Ergebnisse im Mai ab. Mich interessiert das nicht. Mein Kopf verfolgt ein völlig anderes Ziel. Wir haben im Herbst die WM, nächstes Jahr kommen die Olympischen Spiele. Darauf richtet sich mein Trainingsplan aus.

Welche Sportler inspirieren Sie in Ihrem Training?

Ich habe natürlich Vorbilder, was die Technik angeht. Aber in vielen Punkten wie Einstellung oder Disziplin habe ich mir auch was von Sportlern aus anderen Sportarten abgeschaut. Kobe Bryant (Basketball-Legende aus den USA, Anm. d. Red.) zum Beispiel, der durch harte Arbeit zur Legende wurde. Er war sehr konsequent und diszipliniert in dem, was er gemacht und wie er trainiert hat.

Kobe Bryant spielte oft unter Schmerzen und mit Verletzungen. Die Fans feierten ihn dafür, seine Verletzungen wurden dadurch aber schlimmer. Wie schwer ist es für Sie als Sportler, den Zwiespalt zwischen Einsatz und Gesundheit zu meistern?

Das ist nicht leicht. Bei uns Leichtathleten kommt dazu noch ein anderer Aspekt. Unser finanzielles Lebenskonstrukt hängt von Erfolg und Misserfolg ab. Je mehr Wettbewerbe ich bestreite, desto mehr Geld kann ich verdienen. Bei Sportarten wie Basketball oder Fußball hast du in der Spitze ein regelmäßiges Gehalt. Ich bin davon abhängig, was mein Körper schafft. Ich stecke immer in einem Zwiespalt. Zum einen denke ich mir oft: "Ich mache lieber dieses Jahr einen Wettkampf mehr. Wer weiß, was nächstes Jahr ist?" Zum anderen denke ich mir auch oft: "Du musst dich erholen für diesen einen großen Erfolg." Bisher haben mein Trainer und ich da zum Glück den richtigen Weg gefunden.

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Wie betrachten Sie sich selbst als Sportler?

Man muss sich der Situation bewusst sein, dass man ein irrsinnig leistungsgetriebener Sportler ist. Das steckt in den meisten Athleten, die ich auf höchstem Niveau kennengelernt habe. Die investieren so viel Zeit da rein, dass es manchmal krankhaft ist. Man will immer mehr und will immer der Beste sein. Aber man muss das große Ganze sehen und sich klar machen, dass der Spaziergang mit der Partnerin am Abend genauso dazugehört, um in der Sportart erfolgreich zu sein. Regeneration ist essenziell.

Wie würde sich das denn auf das Leben und auf die Leistungen dieser Sportler auswirken, wenn es für Leichtathleten ein festes Grundeinkommen gäbe?

Das wäre ein total spannendes Experiment. Ich glaube: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Einzelsportler auf diesem Niveau würde zu besseren Leistungen führen. Ich kenne genug Olympiasieger aus Deutschland, die leider von ihrem Sport nicht leben können. Sie sind auf Förderungen und familiäre Unterstützung angewiesen. Ich bin mir sicher, dass diese Personen viel rationalere und bessere Entscheidungen treffen könnten, wenn sie diese finanzielle Sicherheit hätten.

Kann man diese finanzielle Ungewissheit, die es bei vielen Athleten und Athletinnen gibt, überhaupt als Motivation sehen oder ist das einfach nur purer Druck?

Das ist bei jedem unterschiedlich, aber der sportliche Wettkampf ist Motivation genug. Das sind ja Instinkte: Ich will gewinnen. Das kennt jeder vom Schulhof. Wenn es irgendwann nur noch um den Lebensunterhalt geht und Sport nur noch ein reiner Beruf ist, ist das schade. Klar, es ist an sich für jeden der Beruf, aber ein Stück weit ist es auch Leidenschaft und die muss immer erhalten bleiben.

Wer könnte solch ein bedingungsloses Grundeinkommen umsetzen?

Der einzige Verband, der das könnte, ist das IOC. Wir Sportler ermöglichen ein Unterhaltungsprodukt, das kommerzieller kaum sein könnte. Wenn man sich die Zahlen anschaut, bliebe für jeden Teilnehmer bei fairer Verteilung der Gelder ein sehr großer Betrag, für den eine alte Frau sehr lange stricken müsste. Sport ist nun mal eine Unterhaltungsdienstleistung, wenn man das Historische und Heroische mal rauslässt. Die Olympischen Spiele sind das größte Event, bei dem weltweit Leute begeistert zusehen und wir bekommen Nullkommanull Gage. Wenn wir Glück haben, bekommen wir eine kleine Förderung von unserem Land, bei der wir hundertmal Danke sagen müssen. Wir sind abhängig von den Erfolgen bei den Wettbewerben während der Saison und den Sponsoren, die wir haben.

Das heißt, Sie plädieren für ein System, bei dem das Grundeinkommen den nötigen Bedarf an Kosten zum Leben abdeckt. Dazu kommen die Preisgelder aus den Wettbewerben als Boni. Korrekt?

Genau. Leistungssport ist immer eine Risikoentscheidung. Als junger Mensch stehst du nach dem Abitur oder deiner Ausbildung vor der Wahl, ob du die Sportkarriere eingehst oder nicht. Allein beim Speerwurf ist so viel Kraft im Spiel. Bei Weiten von 85 Metern reden wir von einer Last von einer Tonne auf dem Standbein. Wenn ich nur ein Stückchen schneller anlaufe, bedeutet das noch mehr Kraft und noch mehr Last. Im besten Fall führt das zu einer neuen Bestweite. Im schlimmsten Fall kann morgen schon alles vorbei sein. Genau dieses Spiel auf der Risikoschwelle, also laufe ich dieses Stückchen schneller oder nicht, macht den Leistungssport aus. Das sorgt für Topleistungen und Weltrekorde. Dieses Risiko muss gepuffert werden, sodass die Athleten getrost diese Entscheidung dafür treffen können. Dann sehen wir noch viel größere Leistungen im Olympischen Sport.

Apropos Olympia. Bis zu den Spielen in Tokio ist es noch etwas mehr als ein Jahr hin. Wie fühlen Sie sich aktuell?

Ich bin gesund, das ist das Wichtigste. Die Grundvoraussetzungen sind da und die Motivation stimmt. Auch die Planung läuft schon. Das Training ist auf diesen Wettbewerb ausgerichtet und wir bewegen uns Schritt für Schritt in Richtung Tokio.

Ist eine Medaille Pflicht als Titelverteidiger?

Wenn man sich einmal in die Weltspitze geworfen hat, will man da auch bleiben. Die realistische Antwort kann man erst am Wettkampftag geben, wenn man weiß, wie man sich fühlt. Natürlich kämpft man um eine Medaille. Ich kann aber auch einordnen, wie schwer es werden wird, eine zu bekommen.

Der Speerwurf wird seit einigen Jahren von deutschen Athleten dominiert. Zusammen mit Johannes Vetter und Andreas Hofmann gehören Sie zur Weltspitze. Ihre schärfsten Konkurrenten sind also gleichzeitig Landsmänner. Wie ist Ihre Beziehung zueinander?

Von außen denken viele, dass das eine totale Hackerei und ein erbitterter Konkurrenzkampf ist. Dabei ist es ganz anders. Wir kannten uns schon in der Jugend, auch wenn wir in völlig unterschiedlichen Regionen Deutschlands waren. Wir wussten immer, dass die Wettkämpfe kompetitiv werden. Dieser stetige Wettbewerb mit so guten Konkurrenten hat dafür gesorgt, dass wir immer besser wurden. Und wir haben eben überlebt (lacht).

Inzwischen sind wir fünf Deutsche auf Weltniveau. Wir gehen in dieselben Trainingslager, trinken zusammen Kaffee und reden miteinander. Trotzdem ist es ein normaler Sport. Jeder will gewinnen und der Beste sein. Dabei gehen wir aber natürlich respektvoll miteinander um, weil jeder weiß, wo der andere herkommt und was für eine Arbeit hinter dieser Leistung steckt. So ist der Speerwurf.

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