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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ex-Footballer über Spätfolgen "Klar, dass es bleibende Schäden gibt"
American Football wird auch in Deutschland beliebter. Ex-NFL-Profi Sebastian Vollmer gilt hierzulande als Experte Nummer eins. Im Interview spricht er über Superstar Tom Brady und die Schwierigkeiten des Sports.
Die durchschnittliche Karriere eines Footballspielers soll drei bis vier Jahre dauern. Zu groß sind die körperlichen Verschleißerscheinungen, wenn man erst einmal in der NFL – dem großen Traum eines jeden Spielers – angekommen ist. Das beste Beispiel, dass es aber auch länger gehen kann, ist Sebastian Vollmer. Ganze acht Jahre hielt der Deutsche durch, im Trikot der New England Patriots. Dabei immer an seiner Seite: Quarterback-Legende Tom Brady.
Zusammen haben sie zweimal den Super Bowl gewonnen, sich die Krone aufgesetzt. Auch deshalb gilt Vollmer, der nach seiner Karriere TV-Experte und Autor wurde, als erster Ansprechpartner in Deutschland, wenn es um Football geht. Im t-online-Interview spricht der gebürtige Rheinländer unter anderem über den Trubel um Brady, die Schwierigkeiten, die der Sport so mit sich bringen kann – und über den Boom in "good old Germany".
Wie überrascht waren Sie, dass Tom Brady nun doch entschieden hat, weiterzumachen?
Die Zeit nach einer Saison ist immer sehr emotional und aufregend. Nach einiger Zeit legt sich das dann. Vielleicht kann man so seinen Gemütszustand und das Hin und Her seiner Entscheidung erklären. Geschockt war ich von der Entscheidung nicht. Hätte ich das so erwartet? Keine Ahnung. Es hat mich nur gefreut, dass er das macht, was er für richtig hält – und darum geht es.
Es gab einige kritische Stimmen, warum er sich vor seiner ursprünglichen Rücktrittsankündigung nicht einfach mehr Zeit genommen hat.
Da sollte man ein bisschen vorsichtig sein, denn die Entscheidung wurde ihm ja vorweggenommen. Die Nachricht kam raus, bevor er was gesagt hat. Und dann war er fast schon gezwungen, Stellung zu nehmen. Sogar die Leute in Deutschland haben über die Rücktrittsnachricht gesprochen, da kann er mit einer Reaktion ja keine vier bis sechs Wochen warten.
War am Ende also der Druck zu groß?
Na ja, Tom Brady ist kein Mensch, der eine solche Nachricht einfach stehen und unkommentiert lässt. Der normale Weg wäre gewesen, mit dem Coach zu reden und zu sagen: 'Wenn ich meinen Kopf frei habe, dann melde ich mich. Und wenn ihr einen Platz frei habt, ist gut. Wenn nicht, verstehe ich das.' Dann ist das intern geklärt und er sagt nach sechs Wochen offiziell, dass er in Rente geht. Aber das ging so eben nicht mehr, weil schon wild über seinen Rücktritt spekuliert wurde.
Halten Sie Bradys Entscheidung, noch eine Saison dranzuhängen, für richtig?
Ich würde mir niemals anmaßen, da einen Ratschlag zu geben. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er – nachdem er sechs Monate zuvor eine so hervorragende Saison gespielt hat – nun nicht mehr spielen kann. Das glaube ich nicht.
Haben Sie seit dem Rücktritt vom Rücktritt schon mit ihm gesprochen?
Ja, dass der "Avocado Tequila" also noch ein bisschen warten muss (lacht).
Zusammen haben Sie zwei Super-Bowl-Siege gefeiert. Tragen Sie Ihre Meisterschaftsringe eigentlich auch mal, jetzt so im Ruhestand?
Für mich trage ich sie nie. Die kommen nur zu besonderen Anlässen zum Einsatz. Wenn ich zum Beispiel kranke Kinder besuche und ihnen damit eine Freude machen kann. Oder die vom Fernsehen mich nötigen (lacht). So ein Super-Bowl-Ring ist ja jetzt auch nicht gerade klein, sondern ein ganz schöner Brocken.
Über Ihre aktive Karriere haben Sie nun ein zweites Buch geschrieben. Darin berichten Sie unter anderem von einem "Raubbau am Körper", einem "goldenen Rollstuhl", von Druck, Ängsten und Selbstzweifeln. Man könnte fast denken, Football habe Ihnen gar keinen Spaß gemacht. Täuscht der Eindruck?
Auf jeden Fall hat sich das gelohnt. Ich habe die Zeit sehr genossen und würde das genau so noch mal machen. Aber das Buch habe ich geschrieben, um ehrlich zu beschreiben, was in diesem Sport passieren kann. Am Ende muss jeder für sich selbst entscheiden, ob es das wert ist. Für mich waren es diese acht Jahre absolut wert, trotz der vielen Verletzungen, die ich hatte. Wie in jedem anderen Beruf auch gibt es Höhen und Tiefen. Und natürlich gibt es andere Spieler, die ungeschorener durch ihre Profikarriere gekommen sind – wie Tom Brady zum Beispiel.
Bemerken Sie denn nun körperliche Einschränkungen im Alltag?
Durch die vielen durch Football verursachten Operationen, viel Knorpelverschleiß, ist klar, dass es bleibende Schäden gibt. Ich habe 30 bis 40 Kilo verloren, damit es in den Knien und der Hüfte nicht mehr so wehtut. Aber ich kann alles machen, was ich möchte. Ich kann mit meinen Kindern spielen, zehn Stunden durch die Stadt laufen, wenn ich will – ich kann mein Leben absolut genießen.
Das geht nicht allen Footballern so. Immer wieder werden ehemalige oder aktuelle Spieler der NFL mit Gewaltverbrechen in Verbindung gebracht. Zurückgeführt wird das vor allem auf Kopfverletzungen. Ist es zu einfach, das darauf herunterzubrechen?
Ich habe das nie erlebt in meinem Bekanntenkreis. Ich glaube, die negativen Geschichten bleiben einfach schneller hängen. Spieler solcher Storys werden dann schnell zu Stereotypen gemacht. Wenn Hunderte von NFL-Spielern an einem Dienstag Krankenhäuser besuchen, Spielplätze bauen oder Essen in Obdachlosenheime bringen – darüber wird kaum berichtet. Es gibt leider solche Fälle, die schwarzen Schafe in der Branche, das ist keine Frage. Man sollte das nur nicht auf jeden Footballspieler beziehen, also alle über einem Kamm scheren.
Hat Football im Vergleich mit anderen Sportarten einen zu schlechten Ruf?
Zumindest in Deutschland, den Eindruck habe ich schon. Es ist natürlich ein Kontaktsport, es gibt harte Szenen. Wenn man sich Highlights aus früheren Zeiten anguckt, hat man den Eindruck, als würden sich die Spieler gegenseitig den Kopf abreißen. Inzwischen wird jede Szene, die brutal sein könnte, abgebrochen. Das ist auch gut so, gerade für die nächste Generation an Spielern. Nimmt man jedoch die Brutalität bei MMA-Kämpfen oder auch beim Boxen, darüber spricht keiner. Das sind vielleicht Sportarten, die nicht so polarisierend sind.
Was kann die NFL Ihrer Meinung nach unternehmen? Sollte sich die Liga mehr um ihre Spieler kümmern?
In jedem Vertrag zwischen der Liga und der Spielergewerkschaft sind einige sehr gute Programme aufgeführt, die die Spieler nach der Karriere nutzen können. So werden sie aufgefangen und etwas abgesichert. Nicht nur durch Geld oder Versicherungen oder durch Hilfe bei nötigen Operationen. Dazu muss man sagen: Je länger du gespielt hast, desto länger kannst du das auch in Anspruch nehmen. Natürlich wäre es schön, alle Spieler aufzufangen. Aber sie müssen die Hilfe auch wollen.
Würden Sie Ihren Kindern denn erlauben, professionell Football zu spielen?
Ich habe zwei groß gewachsene Söhne, die Frage wird mit Sicherheit kommen. Ich habe mit 17 Jahren angefangen, Football zu spielen. Ich finde nicht, dass man mit zwei oder drei Jahren schon anfangen sollte, Football zu spielen, wie es viele in den USA machen. Man muss etwas finden, an dem man Spaß hat. Wenn es dann Football ist, ist das super. Aber ich werde beide nicht dazu zwingen, damit anzufangen. Sie müssen einfach mental in der Lage sein, einschätzen zu können, was passieren könnte. Es ist ein Kontaktsport, der Konsequenzen haben kann.
Der Football-Boom in Deutschland hält an, die NFL kommt in diesem Jahr nach München. Könnte das vielleicht zu einem Umdenken bei vielen Menschen führen, die den Sport zu brutal finden?
Ich hoffe es. Deutschland ist, nach den USA, der Markt Nummer eins. Wenn die Leute dann mal wirklich im Stadion sind, realisieren, wie groß, stark, schnell und athletisch die Spieler sind – da gewinnt man ganz andere Eindrücke als vor dem Fernseher.
Brady wird mit den Tampa Bay Buccaneers in Deutschland spielen. Welchen Effekt auf die eh schon große Nachfrage wird das haben?
Das schadet auf keinen Fall, dass Tom Brady nun dabei ist (lacht). Und ob man ihn nun mag oder nicht, man sollte wertschätzen, was er für ein Sportler ist und was er immer noch für Leistungen bringt. Das ist vergleichbar mit anderen Topathleten wie LeBron James, Tiger Woods oder früher Michael Jordan. Da sollte man sich als Fan freuen, dass man einen solchen Star noch mal spielen sehen kann.
- Telefoninterview mit Sebastian Vollmer